Bürgergeld: Scharfe Sanktionen trotz Jobbewerbungen

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Das Sozialgericht Speyer klärte einen Fall, der für Leistungsberechtigte beim Bürgergeld als Richtlinie dienen kann. Demnach sind Sanktionen beim Bürgergeld nicht gerechtfertigt, wenn sich Betroffene bei einer Vielzahl von Stellenangeboten auf einige, aber nicht auf alle bewerben. (AZ. S 3 AS 113/20)

Kein wichtiger Grund notwendig

Der Betroffene sollte vom Jobcenter sanktioniert werden, nachdem er von 13 Vorschlägen der Behörde ein Vermittlungsangebot nicht angenommen hatte. Das Sozialgericht sah das anders. Wenn die Mehrzahl der Vermittlungsangebote wahrgenommen werde, sei eine Sanktion nicht gerechtfertigt. Auch müsse der Betroffene in diesem Fall keinen wichtigen Grund für die Ablehnung anführen.

30 Prozent Leistungskürzung

Der Betroffene bezog Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (heute Bürgergeld, seinerzeit Hartz IV). Im Oktober 2017 minderte das Jobcenter die zuvor zugesagte Leistung für drei Monate um 30 Prozent, da der Betroffene sich “pflichtwidrig auf einen Vermittlungsvorschlag nicht beworben hätte”.

Der Betroffene zog mit Unterstützung des DGB Rechtsschutzbüros Ludwigshafen vor das Sozialgericht. Im Verfahren wurde klar, dass der Kläger 14 Stellenangebote bekommen und fünf davon zurückgegeben hatte.

Wie ist die Rechtsgrundlage für derlei Leistungskürzungen?

Pflichtverletzungen, die zu einer solchen Sanktion führen können, sind im Paragraf 31 des Sozialgesetzbuchs II (31a) definiert.

Dort steht:

§ 31 Pflichtverletzungen

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1. sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,

2. sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,

3. eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.

Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

“Mehrere Pflichtverletzungen”

Die 30 Prozent Leistungskürzung wären dann gerechtfertigt, wenn der Betroffene bereits mehrfach seine Pflichten verletzt hätte. Das Jobcenter begründete dies damit, dass der Kläger zuvor bereits drei von 13 Vermittlungsvorschlägen rechtswidrig abgelehnt hätte. Dafür hätte er volle Sanktionsbescheide erhalten und so sei der vierte Sanktionsbescheid gerechtfertigt.

Als pflichtwidrige Verhinderung der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses gilt folgendes, laut dem Sozialgericht: “Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern.”

“Ablehnende Haltung muss erkennbar sein”

Genau das sah das Gericht nicht als gegeben an. Es ginge hier um eine Haltung, aus der heraus der Leistungsberechtigte sich weigere, das Mögliche zu tun, um die Hilfebedürftigkeit zu beenden. Zu beachten sei, dass sich der Kläger auf die Mehrheit der angebotenen Stellen beworben habe.

Eine ablehnende Haltung zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung lasse sich nicht pauschal erkennen bei Fällen, in denen Hilfebedürftigkeit etliche Stellenangebote bekämen. Vielmehr käme es auf eine Gesamtbetrachtung an.

Klar wäre eine Sanktion rechtswidrig, wenn sich ein Leistungsberechtiger auf eine von hundert Stellen nicht bewerbe, auf alle anderen schon. Umgekehrt läge eine Sanktion nahe, wenn der Betroffene sich nur auf eine von hundert Stellen bewerbe, auf alle anderen aber nicht.

“Nicht optimal, aber keine Verweigerung”

Tatsächlich hätte sich der Kläher beworben. Möglicherweise hätte er sich noch mehr bewerben können, und sein Bewerbungsverhalten sei nicht optimal gewesen. Eine Ablehnung könne ihm jedoch nicht unterstellt werden.

Der Kläger sei mit einer Fülle von Stellenausschreibungen überhäuft worden und hätte sich teilweise darauf beworben. Das Gericht könne keine Verweigerungshaltung erkennen, und die Sanktionen seien nicht gerechtfertigt.