Ein über hundert Jahre altes, stark sanierungsbedürftiges Einfamilienhaus, mehrere Geschwister als Erben und alle vom Jobcenter abhängig: Was nach einer familiären Erfolgsgeschichte klingen könnte, entpuppt sich rasch als sozialrechtliches Minenfeld.
Kaum liegt der Erbschein vor, meldet sich das Bauordnungsamt mit Fristsetzungen zum Substanzerhalt. Zugleich stellt sich die Frage, wer die unabweisbaren Reparaturen bezahlen soll – zumal die Erbengemeinschaft weder angespartes Vermögen noch Kreditwürdigkeit besitzt.
Inhaltsverzeichnis
Seit Juli 2023: Erbschaften gelten grundsätzlich als Vermögen
Mit Einführung des Bürgergeldes hat der Gesetzgeber die Systematik umgestellt. Erbschaften zählen nun nicht mehr als Einkommen, sondern als Vermögen. In der zwölfmonatigen Karenzzeit bleibt Vermögen bis zu 40 000 Euro für die erste Person und je 15 000 Euro für jede weitere Person der Bedarfsgemeinschaft unantastbar; danach gilt ein Freibetrag von 15 000 Euro pro Kopf.
Für die Betroffenen bedeutet das: Übersteigt der auf die Einzelperson entfallende Erbteil diesen Rahmen, verliert man grundsätzlich den Anspruch auf reguläre Leistungen – es sei denn, das Vermögen lässt sich vorerst nicht realisieren.
Privilegierte Einmalzahlungen, laufende Leistungen und die feine Linie des § 11a SGB II
Einmalige Erbschaftszahlungen – dazu zählen auch Pflichtteilsansprüche und Vermächtnisse – sind seit der Reform ausdrücklich privilegiert. Laufende Zuwendungen, etwa eine lebenslange Apanage, werden dagegen wieder als Einkommen bewertet.
Die Bundesagentur für Arbeit spricht von einer „abschließenden Aufzählung“ privilegierter Tatbestände in ihren Fachlichen Weisungen. Damit möchte der Gesetzgeber verhindern, dass regelmäßige Zahlungen dauerhaft die Hilfebedürftigkeit überdecken, ohne als Einkommen angerechnet zu werden.
Lesen Sie auch:
– Bürgergeld: Jobcenter dürfen keine Unterlagen der Lebensgefährtin einfordern
Verwertungspflicht, Darlehen und Sicherungsgrundschuld
Wird das anrechenbare Vermögen zwar dem Einzelnen zugerechnet, lässt sich aber nicht sofort zu Geld machen – etwa weil Haus und Grund noch ungeteilt sind oder sich kein Käufer findet – springt § 24 Absatz 5 SGB II ein.
Das Jobcenter darf die laufenden Leistungen dann als zinsloses Darlehen erbringen, verlangt aber häufig eine dingliche Sicherheit, etwa eine Grundschuld. Wer dieser Absicherung nicht zustimmt, geht leer aus.
Genau diese Konstellation wurde 2025 vor dem LSG Baden-Württemberg verhandelt: Die Klägerin hätte ein Darlehen erhalten, verweigerte aber die Grundschuldbestellung – und verlor damit den Leistungsanspruch.
Lassen Sie Ihren Bescheid kostenlos von Experten prüfen.
Bescheid prüfenSelbstgenutztes Wohneigentum: Schutzbereich und Grenzen
Anders liegt der Fall, wenn der Bürgergeldempfänger das geerbte Haus selbst bewohnt.
Das Bundessozialgericht stellte 2023 klar, dass das Jobcenter Reparaturen sogar bei etwas übergroßen Eigenheimen übernehmen muss, sofern die Maßnahme unabweisbar und ausschließlich dem Substanzerhalt dient. Maßstab ist nicht allein die Wohnfläche, sondern die Angemessenheit im Einzelfall.
Damit eröffnete das Gericht Betroffenen einen Weg, notwendige Dach-, Fenster- oder Heizungsarbeiten als Kosten der Unterkunft anerkennen zu lassen – ohne Rückzahlungspflicht.
Wenn das Haus leer steht: Pflicht zur wirtschaftlichen Verwertung
Steht die Immobilie hingegen leer oder wird sie nur teilweise genutzt, wandelt sie sich vom geschützten Wohnraum zum regulär zu verwertenden Vermögensgegenstand.
Das LSG Baden-Württemberg entschied, dass selbst eine noch nicht abgeschlossene Erbauseinandersetzung keinen Leistungsverbleib mehr rechtfertigt, wenn der Nachlass werthaltig und eine Beleihung oder ein Verkauf realistisch möglich ist. Renovierungsstau oder familiärer Streit ändern daran nichts.
Praktische Stellschrauben für Betroffene
Zeitdruck kommt häufig von zwei Seiten: vom Bauordnungsamt, das Sicherungsmaßnahmen verlangt, und vom Jobcenter, das die Hilfebedürftigkeit prüft.
Wer die Immobilie selbst nutzen will, sollte zügig nachweisen, dass es sich um angemessenes, selbst bewohntes Eigentum handelt und die Arbeiten dem reinen Erhalt dienen.
Lässt sich die Verwertung nicht umgehen, ist eine frühzeitige Anfrage auf
Darlehensgewährung sinnvoll – allerdings nur, wenn man bereit ist, eine Grundschuld oder eine andere Sicherheit zu stellen. Parallel lohnt sich der Beratungsschein beim Amtsgericht, um kurzfristig anwaltliche Hilfe im Sozial- und Erbrecht zu sichern.
Erbausschlagung: letzte, aber folgenreiche Option
Manchmal überwiegen die Risiken. Wer ohnehin kein Eigenkapital besitzt und eine ruinöse Immobilie erbt, sollte binnen der gesetzlichen Frist von sechs Wochen prüfen, ob eine Ausschlagung vernünftiger ist.
Denn mit dem Erbe gehen nicht nur Werte, sondern auch Kostenpflichten gegenüber Behörden, Handwerkern und Miterben einher. Verzichten alle Beteiligten, fällt der Nachlass an den Staat, der Baupflichten dann auf eigene Rechnung erfüllen muss.
Schlussfolgerung
Das Bürgergeld schützt Erbende nicht pauschal vor sozialrechtlichen Folgen. Ob das Jobcenter zahlt, hängt zentral von der Frage der Verwertbarkeit ab – und davon, ob die Immobilie selbst genutzt wird. Zwischen Dachdecker-Rechnung, Grundschuld und Verwertungsauflage können Betroffene schnell die Übersicht verlieren.