Jobcenter müssen bei einer nicht lückenlosen Weiterbeantragung von Bürgergeld die Ursachen dafür nicht erforschen oder Hausbesuche durchführen.
Eine Nachsichtgewährung, der für Fälle besonderer Härte von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum SGB 2 bei Überschreitung von gesetzlichen Antragsfristen ( vgl. BSG, Urt. v. 16.05.2012 – B 4 AS 166/11 ) entwickelt worden ist, kommt hier nicht in Betracht, denn das Jobcenter hat sofort nach Antragstellung erneut Leistungen gewährt und die Klägerin hat durch die fehlende Antragstellung auch der Arbeitsvermittlung des Jobcenters für den streitigen Zeitraum nicht zur Verfügung gestanden.
Leistungen nach dem SGB II werden gemäß § 37 SGB II nur auf Antrag erbracht. Leistungen werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht.
Auch eine psychisch schwer erkrankte Leistungsbezieherin hat ausnahmsweise kein Anspruch auf rückwirkendes Bürgergeld, wenn ihr Weiterbewilligungsantrag zu spät vorlag. Die Leistungsgewährung an die Hilfebedürftige scheitert an dem Fehlen eines Leistungs- bzw. Fortzahlungsantrags nach dem SGB 2.
Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kann von der Klägerin nicht begründet werden
Es ist nämlich nicht Aufgabe des Jobcenters und kann von diesem auch gar nicht geleistet werden, in jedem Fall die Ursachen bei einer nicht lückenlosen Weiterbeantragung von Leistungen zu ermitteln oder Hausbesuche durchzuführen.
Auch der Gedanke der Nachsichtgewährung, der für Fälle besonderer Härte von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ( BSG Az. B 4 AS 166/11 ) zum SGB 2 entwickelt worden ist, kommt hier nach Auffassung des Gerichts nicht in Betracht.
So das Landessozialgericht Hamburg mit Urteil vom 25.05.2025 – L 4 AS 56/24 – .
Sachverhalt und Begründung Gericht
Auch die Ermittlung von Amts wegen ist nicht verletzt worden ( § 20 SGB X ).
Nach Auffassung des Gerichts haben überhaupt keine Anhaltspunkte vorgelegen, die zu Ermittlungen hätten Anlass geben können. Zudem habe die Klägerin die regelmäßig versandte Mitteilung zum Ablauf des Bewilligungszeitraumes mit Antragsvordruck für die Weiterbewilligung erhalten.
Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft, verletzt habe. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Schließlich müsse der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch dürfe auch dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen.
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Bescheid prüfenIm vorliegenden Fall liegt bereits keine Pflichtverletzung des Jobcenters vor, denn der Grundsicherungträger ist seiner Verpflichtung zur Unterrichtung der Klägerin vom Ablauf des Bewilligungszeitraums und des Erfordernisses einer Weiterbeantragung von Leistungen mit dem Hinweisschreiben nachgekommen. Weitere Pflichten des Jobcenters zur Beratung bestanden nicht.
Wiedereinsetzung in den Stand der rechtzeitigen Antragstellung für einen früheren Leistungsbeginn kommt nicht in Betracht
Nach § 27 Abs. 1 SGB X ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Bei der Frist in § 37 SGB II handelt es sich nicht um eine gesetzliche Frist, so dass eine Wiedereinsetzung schon aus diesem Grund ausscheidet. Die Antragstellung selbst ist nicht an eine Frist gebunden und der Ausschluss der Leistungsgewährung vor dem Tag der Antragstellung stellt keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist dar.
Letzte Möglichkeit – Gewährung einer Nachsichtgewährung bei Überschreitung von gesetzlichen Antragsfristen
Das Bundessozialgericht hat auch zum SGB 2 eine Nachsichtgewährung bei Überschreitung von gesetzlichen Antragsfristen für zulässig und geboten gehalten.
Danach kann in bestimmten Fällen eine Berufung der Verwaltung auf eine Fristversäumung als treuwidrig und damit als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Tragende Überlegung für das richterrechtliche Institut der Nachsichtgewährung ist, dass an einen geringfügigen Verstoß weittragende und offensichtlich unangemessene (unverhältnismäßige) Rechtsfolgen geknüpft werden oder der Rechtsausübung kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt.
Das ist hier aber – nicht der Fall, da das Jobcenter sofort nach Antragstellung erneut Leistungen gewährt hat und die Klägerin durch die fehlende Antragstellung auch der Arbeitsvermittlung des Jobcenters für den streitigen Zeitraum nicht zur Verfügung gestanden hat.
Anmerkung vom Verfasser zur Nachsichtgewährung, der für Fälle besonderer Härte von der Rechtsprechung entwickelt worden ist
1. Psychisch scher kranke Hilfeempfängerin, welche ihre Wohnung aufgrund Mietschulden verloren hat und erst später unter Betreuung stand, kann hier ihren Anspruch auf Bürgergeld – nicht durchsetzen aufgrund eines fehlenden, rechtzeitigen Weiterbewilligungsantrages.
2. 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II enthält keine Fristenregelung ,daher kommt auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Verhinderung an einer früheren Antragstellung in Betracht (vgl. dazu BSG Urteil vom 16.05.2012- B 4 AS 166/11 – ).
3. Der Gedanke der sogenannten Nachsichtgewährung, der für Fälle besonderer Härte von der Rechtsprechung entwickelt worden ist (vgl. BSG, SozR 5750 Art. 2 § 51 a Nr. 55; Hünecke in Gagel, SGB II und SGB III, § 37 SGB II Rn. 40), ist in Anbetracht der Geringfügigkeit des Leistungsausschlusses (im vorliegenden Fall für 8 Tage ) hier nicht anzuwenden. ( Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 19 B 63/09 AS vom 17.04.2009 – rechtskräftig , Beschluss ).
Bei der psychisch kranken Antragstellerin sind es ganze 4 Monate ( 120 Tage ) und nach meiner Meinung sprechen wir da nicht mehr von einer – Geringfügigkeit des Leistungsausschlusses.
Man hätte der Antragstellerin trotz fehlendem, rechtzeitigem Weiterbewilligungsantrag das Bürgergeld – ausnahmsweise rückwirkend – zusprechen können und zwar als Nachsichtgewährung, der für Fälle besonderer Härte von der Rechtsprechung entwickelt worden ist, in Anbetracht der Nicht- Geringfügigkeit des Leistungsbezuges (hier ganze 4 Monate).