Ein von einer Kommune allein betriebenes Jobcenter muss bei der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Grundsicherungsleistungen nicht erst prüfen, ob die kommunale Sozialhilfe vorrangig einspringt.
Auch wenn beide Behörden von ein und derselben Kommune betrieben werden, ist bei einer Erstattungsforderung nicht davon auszugehen, dass das Jobcenter Kenntnis von einem möglichen Sozialhilfeleistungsanspruch hat, urteilte am Mittwoch, 11. September 2024, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 4 AS 6/23 R).
Nur vorläufig ALG II bewilligt
Im konkreten Fall hatte ein spanisches Ehepaar geklagt, das von März 2015 bis Februar 2016 die früheren Hartz-IV-Leistungen vom Jobcenter des Lahn-Dill-Kreises erhalten hatte. Der Lahn-Dill-Kreis betreibt das Jobcenter als sogenannte Optionskommune in eigener Verantwortung und ohne Beteiligung des Bundes. Bundesweit gibt es über 100 solcher Optionskommunen.
Die Behörde hatte den Klägern das Arbeitslosengeld II nur vorläufig bewilligt. Grund war ein beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängiges Verfahren zur Frage, ob Deutschland arbeitsuchende EU-Bürger vom Anspruch auf Arbeitslosengeld II ausschließen darf.
Leistungsausschluss verstößt nicht gegen EU-Recht
Die Luxemburger Richter urteilten am 15. September 2015, dass ein solcher Leistungsausschluss nicht gegen EU-Recht verstößt (Az.: C-67/14; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag).
Nach dem EuGH-Urteil setzte das Jobcenter den Arbeitslosengeld-II-Anspruch der Kläger auf null Euro fest und forderte die vorläufig bewilligten Leistungen, 3.777 Euro von der Ehefrau und 4.958 Euro vom Ehemann, zurück.
Inzwischen hatte das BSG allerdings am 20. Januar 2016 entschieden, dass EU-Bürger unter bestimmten Voraussetzungen statt Hartz IV Sozialhilfe beanspruchen können (Az.: B 14 AS 15/15 R).
Die Kläger hielten die Erstattungsforderung für rechtswidrig.
Sie meinten, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen das Jobcenter als kommunale Behörde Kenntnis von ihrem kommunalen Sozialhilfeanspruch hätte haben müssen. In diesem Fall hätte der Sozialhilfeträger die Hartz-IV-Leistungen vorrangig erstatten müssen.
Kommunales Jobcenter muss sich nicht mit Sozialhilfeträger einigen
Die neue BSG-Präsidentin und Vorsitzende des 4. Senats, Christine Fuchsloch, stellte jedoch in ihrer ersten BSG-Sitzung klar, dass das Jobcenter den Arbeitslosengeld-II-Anspruch rechtmäßig auf null gesetzt und die gewährten Leistungen zurückgefordert habe.
Ein Anspruch darauf, dass das Jobcenter die Erstattung der Leistungen vorrangig vom Sozialhilfeträger hätte einfordern müssen, bestehe nicht. Lediglich die vom Jobcenter gewährten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für den inzwischen verstorbenen Ehemann könnten nicht zurückgefordert werden.
Der Rückforderungsbetrag verringere sich dadurch um etwa ein Viertel. Da die Ehefrau familienversichert gewesen sei, seien für sie keine Versicherungsbeiträge angefallen. fle