Bürgergeld: Jobcenter muss schlussendlich Zirkusbesuch bezahlen

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Konflikte darüber, was die Jobcenter Bezieher von Bürgergeld bezahlen, drehen sich oft um kleine Summen. Auch bei diesen geht es bisweilen um grundsätzliche Fragen, die juristisch geklärt werden müssen. Ein aktuelles Urteil zu einem Zirkusprojekt an einer Schule zeigt dies.

Das zuständige Jobcenter hatte sich geweigert, einer Leistungsbezieherin den Besuch eines Zirkusses auf dem Schulgelände zu bezahlen. Die Betroffene klagte deshalb, um die Kosten von zehn Euro für die Teilnahme erstattet zu bekommen.

Vom Sozialgericht Cottbus hatte sie am 28. November 2019 Recht bekommen, der Beklagte hatte Berufung eingelegt, und das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hatte ihm Recht zugesprochen, der Klägerin die Zahlung zu verweigern. Der Fall ging in der dritten Instanz bis zum Bundessozialgericht. Dieses entschied nunmehr 2023 zugunsten der Klägerin (B 7 AS 9/22 R).

Das Jobcenter muss nicht nur die Kosten für den Zirkus rückwirkend erstatten, sondern auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens tragen.

Jobcenter weigert sich, das Zirkusprojekt zu bezahlen

Die Klägerin und ihre Mutter beziehen Leistung nach dem SGB II. Sie kam 2010 zur Welt und besuchte seit 2017 eine Schule, auf der vom 9. bis 13.4.2018 eine Zirkusprojektwoche stattfand. Veranstalter war der „Projekt Circus Aron“. An diesem Zirkusprojekt sollten alle 186 Schüler:innen der ersten bis sechsten Klasse teilhaben – bei einer Gebühr von zehn Euro.

Die Schulleiterin stellte für die betroffene Klägerin einen Antrag beim zuständigen Jobcenter, die Kosten für die Teilnahme zu tragen. Das Jobcenter lehnte dies ab. Die Klägerin nahm jetzt teil, musste dies aber aus privater Kasse bezahlten.

Zuerst erfolgreich, dann abgewiesen

Es ging vor Gericht. Die Betroffene klagte vor dem Sozialgericht Cottbus erfolgreich (Urteil am 28.11.2019). Der Beklagte ging in Berufung, und das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wies am 5.4.2022 die Klage ab.

Die Absage begründete das LSG folgendermaßen: Laut §28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB II müsste der Beklagte die Kosten für tatsächliche Aufwendungen für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten übernehmen. Zwar könnten diese ihrem Sinn nach eine Förderung des Zirkusprojekts einschließen, bei einer wortlautgetreuen Auslegung der Regelungen gelte dies aber nicht, und diese sei hier relevant.

Keine außerschulische Aktivität?

Das Zirkusprojekt falle auch nicht unter § 28 Abs 7 SGB II, denn diesem zufolge würden nur außerschulische Aktivitäten in organisierten Freizeitveranstaltungen durch den Beklagten finanziert. Der Gesetzgeber sei nicht durch die Verfassung gezwungen, sämtliche mit dem Schulbesuch einhergehenden Bedarfe durch Sonderregelungen abzudecken. Die Teilhabe am Zirkusprojekt müsse aus dem Regelbedarf gezahlt werden.

Das Landessozialgericht ließ eine Revision der Klägerin zu. Diese monierte eine Verletzung von § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II. Laut diesem sei der Sinn und Zweck der Regelung, eine Ausgrenzung von Kindern aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Eltern zu verhindern, und dies fordere die Übernahme von Kosten für alle schulischen Gemeinschaftsveranstaltungen.

Mit dem Verständnis des LSG sei es vom Zufall abhängig, ob Kosten übernommen würden. Hätte die Projektwoche nämlich außerhalb des Schulgeländes stattgefunden, wären die Voraussetzungen für einen Schulausflug gegeben gewesen.

Eine schulische Gemeinschaftsveranstaltung ist wie ein Schulausflug zu bewerten

Das Bundessozialgericht hob am 8.3.2022 das Urteil des Landessozialgerichts Berlin Brandenburg vom 5.4.2022 auf und erklärte die vom Beklagten angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Cottbus für zutreffend. Die zulässige Revision sei begründet, laut § 170 Abs 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat somit einen Anspruch, ihre zehn Euro für den Zirkusbesuch erstattet zu bekommen.

Die Begründung lautet: Im Sinn und Zweck des § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II sei die Veranstaltung (das Zirkusprojekt) von der Regelung erfasst. Es handlte sich um eine von der Schule organisierte und verantwortete, auf dem Schulgelände durchgeführte Veranstaltung, die der sozialen Teilhabe der Schulkinder im Klassen- oder Schulverband diene (schulische Gemeinschaftsveranstaltung). Diese Veranstaltung könnte ebenso außerhalb des Schulgeländes als Schulausflug stattfinden. Deshalb sei eine Analogie gerechtfertigt.