Bürgergeld: Jobcenter muss nach Flucht ungewöhnlich hohe Kosten tragen

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Wenn leistungsberechtigte Frauen (und auch ihre Kinder) in einem Frauenhaus unterkommen müssen, dann kann das Jobcenter in der Regel die Kosten übernehmen.

So regelt der Paragraf 36 des Sozialgesetzbuches II, dass der kommunale Träger des ursprünglichen Aufenthaltsorts die Kosten übernehmen muss. Betroffene müssen für die Kostenübernahme einen Antrag bei der zuständigen Stelle einreichen, also bei dem Jobcenter oder dem Sozialamt.

Das heißt: Wenn Sie aus Ihrer Wohnung fliehen müssen, im Leistungsbezug sind und in ein Frauenhaus kommen, das außerhalb Ihres Wohnortes liegt, trägt die Kosten dennoch das Jobcenter, bei dem sie gemeldet sind. Wie sieht es jetzt aus, wenn nach dem Umzug weitere Kosten Ihrer alten Wohnung anfallen?

Das Gericht steht auf der Seite der Frau

Wenn vorübergehend Kosten sowohl für das Frauenhaus wie für die alte Wohnung anfallen, dann fällt die gültige Rechtslage laut einem Gerichtsurteil zugunsten der Betroffenen aus.

Wenn eine Leistungsberechtigte vor ihrem gewalttätigen Partner ins Frauenhaus zieht, muss das Jobcenter vorübergehend doppelte Unterkunftskosten zahlen. So entschied das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (L 5 AS 725/17).

Jobcenter zahlte die Mietkosten

Die Betroffene lebte mit ihrem Sohn und dem Kindesvater in einer Wohnung im Raum Halle und bezog Leistungen der Grundsicherung. Das Jobcenter zahlte die Mietkosten in Höhe von 414 Euro pro Monat.

Partner ist gewalttätig

Der Vater wurde gegenüber der Frau wiederholt gewalttätig, und diese floh zusammen mit dem Sohn in ein Frauenhaus im Salzlandkreis. Ihre Wohnung kündigte sie mit einer Frist von drei Monaten, nachdem sie den Vermieter erfolglos um eine kürzere Frist gebeten hatte.

Jobcenter zahlt für Frauenhaus, aber nicht für Wohnung

Das Jobcenter übernahm die Kosten für die Unterbringung im Frauenhaus, weigerte sich jedoch, die Kosten für die Wohnung bis zum Ende der Kündigungsfrist zu tragen.

Dabei ging es um 775 Euro. Die Behörde rechtfertigte dies damit, dass sie nur die Kosten für die tatsächlich genutzte Unterkunft übernehmen könnten. Dies gelte nicht für die während der Kündigungsfrist anfallenden Mietschulden.

Landessozialgericht entscheidet zugunsten der Leistungsberechtigten

Der Fall ging bis zur zweiten Instanz, vor das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt. Dieses ließ sich von den Argumenten des Jobcenters nicht überzeugen.

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So sei es zwar grundsätzlich richtig, dass die Kosten nur üfr die tatsächlich genutzte Unterkunft übernommen würden. In zeitweisen Situationen gebe es aber Ausnahmen, und dieser Fall stelle eine solche Ausnahme dar.

Umzug ins Frauenhaus war notwendig

So sei erstens der Umzug ins Frauenhaus notwendig gewesen, und zweitens hätte die Leistungsberechtigte sich bemüht, eine vorzeitige Kündigung zu erreichen.

Die gesetzlichen Kündigungsfristen hätten die Kosten der alten Wohnung zu einer unvermeidlichen Folge der Deckung des Grundbedarfs Wohnen gemacht. Deshalb müsste das Jobcenter sie tragen.

Jobcenter muss auch ungewöhnlich hohe Kosten übernehmen

Jobcenter müssen in besonderen Situationen auch außergewöhnlich hohe Kosten für die Unterbringung in einem Frauenhaus übernehmen. So entschied das Sozialgericht München in einem anderen Fall und entschied damit zugunsten einer Leistungsberechtigten. (S 52 AS 538/13).

In diesem Fall war das Frauenhaus nur gering belegt, sodass eine Unterbringung teurer wurde als normalerweise. Hier erkannten die Richter, dass die Unterbringung erstens notwendig war, und dass es zweitens in der konkreten Situation keine kostengünstigere Alternative gab.

Jobcenter muss auch psychosoziale Unterstützung übernehmen

Leistungsberechtigte Frauen, die vor häuslicher Gewalt ihres Partners in ein Frauenhaus fliehen, haben nicht nur Anspruch auf die Übernahme der Wohnkosten.

Das Jobcenter muss im Rahmen der Eingliederungshilfe auch die Kosten für eine psychosoziale Betreuung zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt tragen. So entschied das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Münster (L 6 AS 1315/15).

Dasselbe Gericht hatte schon in einem vorherigen Urteil betont, dass der Begriff der psychosozialen Betreuung dabei weit auszulegen sei. (L 1 AS 36/09)

Auch Kinderbetreuung zählt zu den übernommenen Kosten

Das Sozialgericht Stuttgart wies in einem Urteil daraufhin, dass psychosoziale Betreuung vom Jobcenter getragen werden muss,wenn die psychische, soziale und rechtliche Stabilisierung Voraussetzung für eine Eingliederung ins Erwerbsleben ist.

Zu diesen betreuungsleistungen bei einem Aufenthalt im Frauenhaus gehört den Stuttgarter Richtern zufolge ausdrücklich auch die Kinderbetreuung. (S 25 AS 6915/08).