Bürgergeld-Bezieher haben einen Anspruch, Fahrtkosten zu Meldeterminen vom Jobcenter erstattet zu bekommen. Ein solcher Antrag gilt für Fahrten mit Kraftfahrzeug, Bus oder Bahn. Das Sozialgericht Leipzig stellte klar, dass der Anspruch auf Erstattung auch bei Fahrten mit dem Fahrrad gilt. (Az.: S 17 AS 405/19).
Inhaltsverzeichnis
Leistungsbezieher klagt erfolgreich
Geklagt hatte ein Leipziger Leistungsbezieher, dieser bezog seinerzeit Leistungen nach Hartz IV. Er musste einen Meldetermin wahrnehmen, zu dem ihn das Jobcenter Leipzig bestellt hatte, damit er seiner Mitwirkungspflicht nachkam.
Der Leistungsbezieher fuhr mit seinem Fahrrad zum Jobcenter und beantragte dafür eine Fahrtkostenerstattung. Das Jobcenter lehnte diese ab. Auch nach einem Widerspruch des Leistungsbeziehers bestand die Behörde darauf, dass Fahrtkosten für eine Anreise mit dem Fahrrad nicht erstattet würden.
Das Jobcenter begründete dies damit, dass dem Mann durch die Fahrradfahrt keine nennenswerten Kosten entstanden seien. Dies sei jedoch bei öffentlichen Verkehrsmitteln ebenso der Fall wie bei einer Fahrt mit dem Auto.
Der Mann akzeptierte diese Begründung nicht und klagte vor dem Sozialgericht Leipzig.
Was ist der Unterschied zwischen Fahrrad und anderen Verkehrsmitteln?
Tatsächlich gibt es bei Fahrten mit dem Pkw oder den öffentlichen Verkehrsmitteln Kosten, die bei einer Fahrradtour nicht anfallen. Für das Auto fallen Spritkosten an und für die öffentlichen Verkehrsmittel muss ein Ticket bezahlt werden. Beim Fahrrad können Kosten für den Verschleiß der Reifen oder der Bremsen entstehen.
Das Gericht gibt dem Kläger Recht
Trotzdem urteilte das Gericht im Sinne des Fahrradfahrers. Das Jobcenter hatte nicht behauptet, dass die Fahrradtour überhaupt keine Kosten verursache, sondern “keine nennenswerten” Kosten.
Die genaue Formulierung lässt es als möglich erscheinen, dass zwar Kosten anfielen, diese aber geringfügig waren. Das Gericht argumentierte jetzt, dass auch geringe Mehrkosten einen Einfluss auf das Existenzminimum eines Empfängers von Grundsicherung hätten.
Die Bagatellgrenzen der Verwaltungsvorschriften zum Bundesreisekostengesetz dürften bei dem Existenzminimum nicht zur Anwendung kommen.
Die Höhe der Erstattung bleibt offen
Wie hoch diese Ausstattung bei Fahrradfahrten ausfällt, blieb im Gerichtsverfahren offen.
Die gleiche Kostenerstattung wie bei Fahrten mit dem Auto sei jedoch nicht gerechtfertigt. Auch müsste das Jobcenter keine Kosten tragen, die der individuellen Lebensführung zuzuschreiben seien, wie eine Dusche nach der Fahrradtour oder der Kauf wetterfester Kleidung.
Das Gericht betonte jedoch auch, dass es im Ermessen des Jobcenters liege, welche Kosten in welchem Umfang erstattet würden. Diesbezüglich gebe es bereits Verwaltungsvorschriften, die eine Selbstbindung der Behörde darstellen. Diese Vorschriften könnten nur eingeschränkt gerichtlich überprüft werden. Somit hatte der Kläger zwar teilweise Erfolg, jedoch ohne eine abschließende Lösung, welche konkreten Fahrradkosten das Jobcenter übernehmen muss.
Welche Kosten entstehen beim Radfahren?
Welche Kosten kommen infrage, die nicht “der individuellen Lebensführung” zuzuschreiben sind? Hier lassen sich Rückschlüsse aus den Kilometerpauschalen für Fahrten mit Kraftfahrzeugen schließen.
Diese sollen nämlich nicht nur die Spritkosten decken, sondern sind auch als Zuschuss gedacht, um Verschleißkosten zu tragen. Kurz gesagt: Je mehr ich ein Auto fahre, desto mehr Reparaturen werden fällig durch Verschleiß der Reifen oder der Bremsen, und auch ein Ölwechsel kostet.
Dies lässt sich, im Unterschied zu den Spritkosten, auf Anreisen mit dem Fahrrad übertragen. Auch hier verschleißen die Reifen, auch hier müssen bei häufigem Fahren Teile ersetzt werden.
Tarifliche Regelungen zur Fahrtkostenerstattung: Nicht für Arbeitslose anwendbar
Es existieren zwar tarifliche Regelungen zur Fahrtkostenerstattung, die auch die Nutzung von Fahrrädern betreffen, doch gelten diese ausschließlich für Arbeitsverhältnisse. So gibt es z. B. in bestimmten Tarifverträgen Regelungen, wonach Fahrradnutzern eine Kilometerpauschale zusteht. Für Empfänger von Bürgergeld sind solche Regelungen jedoch nicht anwendbar, da sie nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen.
Bei Armut gibt es keine geringen Kosten
Insofern fallen tatsächlich Kosten an. Ob diese gering sind, hat etwas mit der finanziellen Situation zu tun. Für jemand, der am Existenzminimum lebt und oft nicht weiß, ob er sich in der letzten Monatswoche noch etwas zu essen leisten kann, gibt es keine geringen Kosten.
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors
Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.