Bürgergeld: Heizkostenbeihilfe-Anspruch trotz Obdachlosigkeit

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Auch obdachlosen Menschen kann ein Anspruch auf Erstattung ihrer Heizkosten zustehen. Denn:

1. Beim Bürgergeld setzen Leistungen für den Bedarf für Heizung nicht zwingend das Vorhandensein einer Unterkunft voraus.

2. Eine Unterkunft im Sinne von § 22 Abs 1 S 1 SGB II kann ein Zelt darstellen.

3. Ein elementarer Bestandteil des physischen Existenzminimums ist der Bedarf für die Heizung, das zur verfassungsrechtlich gebotenen Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens unabdingbar ist (vgl BVerfG vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 – ).

4. Es handelt sich mithin um einen Bedarf von erheblichem grundrechtlichen Gewicht ( Detlef Brock – Leitsatz )

SG Freiburg S 9 AS 84/22 ER

Begründung:

Leistungen für den Bedarf für Heizung würden das Vorhandensein einer Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II voraussetzen – so das Jobcenter

Dem ist das Gericht nicht gefolgt.

Denn der Begriff Heizung ist vorrangig nach Zweck und grundrechtlicher Funktion der Norm auszulegen.

Es besteht in der Gewährleistung des unmittelbaren verfassungsrechtlichen Anspruchs auf ein menschenwürdiges Dasein, der insbesondere das physische Existenzminimum beinhaltet, zu dem das BVerfG Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit zählt ( Bundesverfassungsgericht )

Heizungsbedarf gehört zum physischen Existenzminimum

Die Zuweisung des Heizungsbedarfs zum physischen Existenzminimum macht deutlich, dass es dabei um das elementare menschliche Bedürfnis geht, sich durch eine künstliche Wärmequelle vor einer gesundheits- oder gar lebensgefährdenden Unterkühlung des Körpers zu schützen.

Es würde der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip geradezu – zuwider, wenn demjenigen, der bereits kein Dach über dem Kopf hat, gerade deswegen auch noch die Mittel vorenthalten würden, sich wenigstens zu wärmen.

Kosten für die Beschaffung von Heizmaterial für sein Zelt während des Winters

Das sind Aufwendungen für die Heizung , da er das Material zum Schutz seines Körpers vor witterungsbedingter Unterkühlung zu verwenden beabsichtigt.

Auch wenn man eine Unterkunft als Voraussetzung der Heizbeihilfe verlangt, besteht ein Anordnungsanspruch, weil der Antragsteller über eine Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfügt

Denn nach der Rechtsprechung des BSG ist unter einer Unterkunft jede Einrichtung oder Anlage zu verstehen, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (Urt. v. 17.6.2010 – B 14 AS 79/09 R – ).

Dass ein Zelt objektiv geeignet ist, seinen Bewohner vor den Unbilden des Wetters zu schützen, ist offensichtlich, handelt es sich dabei doch um den primären Zweck eines Zelts.

Anderer Auffassung Beschluss des LSG Rheinland-Pfalz vom 7.3.2013 – L 3 AS 69/13 B ER –

Denn entgegen des Beschlusses vom LSG Rheinland- Pfalz bedarf es keiner eigenen Hygieneeinrichtungen wie etwa eines Badezimmers oder einer Toilette, denn sonst würde eine Vielzahl typischer sonstiger Unterkünfte ausscheiden, wie etwa Schlafplätze in Not- oder Gemeinschaftsunterkünften, Gartenlauben, Bauwagen (vgl. LSG Hessen, Beschl. v. 28.10.2009 – L 7 AS 326/09 B ER) oder gewerbliche Räume (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.1.2015, Az. L 1 AS 5292/14 ER-B ), so ausführlich das Gericht.

Ein gewisses Maß an Komfort oder Platz ist nach der Definition des BSG für eine Unterkunft im Sinne des SGB II nicht vorauszusetzen

Denn auch durch derart unbestimmte und an Qualitätsmerkmalen orientierte Kriterien droht eine dem Gesetzeszweck und dem Grundrechtsschutz zuwiderlaufende leistungsrechtliche Exklusion unzureichend wohnraumversorgter Menschen, sie sind daher abzulehnen.

Fazit:

1. Auch ein dauerhaft in einem Zelt lebender obdachloser Mensch kann beim Jobcenter einen Anspruch auf Anerkennung eines Bedarfs für Heizung für den Betrieb eines Camping-Gasheizstrahlers geltend machen, damit der Leistungsbezieher gerade während der Wintermonate dieses Zelt warm halten kann.

2. Das gilt selbst denn, wenn dem draußen lebenden Antragsteller sonst keine anerkennungsfähigen Kosten der Unterkunft entstehen.

3. Ein Zelt kann als eine Unterkunft aufgefasst werden, weil auch diese besondere Wohnform geeignet ist, einen Menschen vor den Unbilden der Witterung zu schützen und ihm eine gewisse Privatsphäre zu gewährleisten ( Orientierungssatz Detlef Brock )

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Auch obdachlosen Menschen kann ein Anspruch auf Erstattung ihrer Heizkosten zustehen – zu mindestens nach dieser neuen Rechtsprechung, denn in der Vergangenheit war das eher ablehnend.

Hervorzuheben ist dabei, dass in der Vergangenheit keine Kosten der Unterkunft für Zelte bzw. Heizkosten gewährt wurden.

Nach Auffassung des Gerichts zähle der Heizbedarf zu den wichtigsten menschlichen Bedürfnissen, nämlich sich durch eine künstliche Wärmequelle vor einer gesundheits- oder gar lebensgefährdenden Unterkühlung des Körpers zu schützen.

Diese Entscheidung wurde im Eilverfahren entschieden, doch nach meiner Auffassung und verschiedener Rechtsanwälte ist der Rechtsauffassung des SG Freiburg zu folgen, was heißt, Betroffene können ihre Ansprüche aufgrund dieser Entscheidung beim Jobcenter geltend machen.

Gerade wer „kein Dach über dem Kopf“ hat, dem sollten deswegen auch noch die Mittel vorenthalten werden, sich wenigstens zu wärmen, denn Wärme und Heizung gehören zum Existenzminimum, so ausdrücklich die Richter.

Zur Zeit schlafen sehr viele Menschen auf dem Campingplatz in Zelten oder veralteten Wohnwagen, weil sie die Miete sparen wollen.

ALLE SIE können einen Bedarf an Heizung oder Unterkunft ( Wohnwagen – BSG – B 14 AS 79/09 -) beim Jobcenter geltend machen, so will es das Gesetz.

Rechtstipp v. Sozialrechtsexperten Detlef Brock

LSG NRW, Urt. v. 10.02.2022 – L 19 AS 1201/21 –

Zelt eines Arbeitslosen kann Unterkunft iSd § 22 SGB II sein.

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Bei einem Zelt auf einem Campingplatz handelt es sich um eine Unterkunft. Von Jobcentern sind daher die Kosten für den Stellplatz als „Kosten der Unterkunft“ zu erstatten.

2. Wenn das Zelt auf einem umzäunten, bauordnungsrechtlich zugelassenen Campingplatz aufgestellt wird, der außerdem Sanitäranlagen und Stromanschlüsse besitzt, so sind die Mindestvoraussetzungen für eine Unterkunft erfüllt.

3. Unter den Tatbestand der Wohnung i.S.v. Art. 13 GG fallen alle zu privaten Wohnzwecken gewidmeten Räumlichkeiten, in denen der Mensch das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden, wenn die räumliche Privatsphäre nach außen als solche erkennbar ist.

Wohnmobile, Hausboote und Zelte stellen eine Wohnung i.S.v. Art. 13 GG dar, sofern sie wie Privaträume genutzt werden (vgl. BeckOK GG/Kluckert, 49. Ed. 15.11.2021, GG Art. 13 Rn. 2; Dürig/Herzog/Scholz/Papier, 95. EL Juli 2021, GG Art. 13 Rn. 10 f).