Neue Grundsicherung statt Bürgergeld: Weitreichende Verschärfung bei Umzügen

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Mit der „Neuen Grundsicherung“ will die Bundesregierung das bisherige Bürgergeld umbauen. Ein Referentenentwurf zum 13. Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) liegt vor. Er verschiebt, präzisiert und teils verschärft Regelungen zu Unterkunftskosten, Karenzzeiten und Zusicherungsverfahren.

Für Umzüge ist besonders eine Passage bedeutsam, die die Anerkennung der Wohnkosten nach „nicht erforderlichen“ Umzügen neu verortet und sprachlich zuspitzt. Der Entwurf stammt vom 16. Oktober 2025 und ist als Arbeitsstand ausgewiesen. Änderungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren sind möglich.

Inhalt der geplanten Neuregelung

Künftig soll in § 22 Absatz 4 Satz 4 SGB II geregelt werden: Ziehen Leistungsberechtigte innerhalb desselben für die Angemessenheitsprüfung maßgeblichen Gebiets um und war dieser Umzug nicht erforderlich, werden „höchstens“ die bisherigen Unterkunftskosten anerkannt.

Damit wird eine Obergrenze festgeschrieben, die sich an den alten – nicht an den neuen – Mietaufwendungen orientiert. Gleichzeitig bindet der Entwurf die Anerkennung höherer als angemessener Mieten nach Umzug noch stärker an eine vorherige Zusicherung des zuständigen Trägers.

Was bislang gilt

Schon das geltende Recht kennt eine Deckelung: Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, „wird nur der bisherige Bedarf anerkannt“.

Diese Regel steht derzeit in § 22 Absatz 1 Satz 6 SGB II. Sie hat in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seit Jahren Konturen: Die Leistungen werden auf die frühere, als angemessen anerkannte Gesamtsumme begrenzt; die Differenz zur neuen Miete müssen Betroffene selbst tragen.

Was sich tatsächlich ändert – und was nicht

Der Entwurf verlagert die Deckelung systematisch in Absatz 4 und verknüpft sie ausdrücklich mit Umzügen „innerhalb“ des maßgeblichen Vergleichsraums. In der amtlichen Begründung heißt es zugleich, in Satz 4 werde die bisherige Begrenzung „inhaltlich gleich“ übernommen.

Das spricht formal für Kontinuität, gleichwohl setzt die Formulierung „höchstens der bisherige Bedarf“ eine harte Obergrenze und könnte die Verwaltungspraxis vereinheitlichen – gerade in Fällen, in denen bislang noch Ermessensspielräume gesehen wurden.

Der Vergleichsraum als Dreh- und Angelpunkt

Entscheidend ist der „für die Prüfung der Angemessenheit maßgebliche“ Vergleichsraum. Jobcenter definieren Angemessenheitsgrenzen auf Basis lokaler Mietspiegel und „schlüssiger Konzepte“.

In der Rechtsprechung wird zwischen Umzügen innerhalb eines Vergleichsraums und vergleichsraumübergreifenden Umzügen unterschieden; das hat praktische Folgen für Zusicherungen und Kostentragung. Je klarer der Vergleichsraum bestimmt und mit einem schlüssigen Konzept hinterlegt ist, desto belastbarer ist die Kappung. Fehlt es daran, kann eine Deckelung rechtswidrig sein.

Wann ein Umzug „erforderlich“ ist

Ob ein Umzug erforderlich ist, entscheidet sich nach objektiven Gründen. Anerkannt werden in der Praxis insbesondere behördlich veranlasste Umzüge, solche zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit, bei unbewohnbaren Wohnungen, bei gravierenden gesundheitlichen Gründen oder zur Aufnahme einer Arbeit am neuen Wohnort.

Ist der Umzug erforderlich, greift die Deckelung nicht; bei nicht erforderlichen Umzügen bleibt es bei der bisherigen Summe. Diese Linie entspricht der gefestigten Verwaltungspraxis und Rechtsprechung.

Mehr Macht für Jobcenter?

Kritiker wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt sehen in der neuen Satzkonstruktion eine „Einladung“ an Jobcenter, die Unterkunftskosten weiter zu begrenzen. “Denn wer aus persönlichen Gründen innerhalb desselben Vergleichsgebiets umzieht – etwa wegen Partnerschaft, Familiennähe oder Barrierefreiheit –, läuft Gefahr, dauerhaft auf den alten Kosten „festgenagelt“ zu werden”, sagt Anhalt. Die Differenz muss dann “zur neuen Miete muss dann aus dem Regelbedarf oder anderen Mitteln bestritten werden”.

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Befürworter verweisen dagegen auf die offizielle Begründung, wonach lediglich redaktionell neu sortiert werde und Rechtssicherheit entstehe.

Zusicherung, Karenz und Angemessenheitsgrenzen: das Zusammenspiel

Der Entwurf stellt klar, dass höhere als angemessene Aufwendungen nach einem Umzug nur mit vorheriger Zusicherung anerkannt werden. Zugleich werden die Angemessenheitsgrenzen im Entwurf an mehreren Stellen neu gerahmt, etwa mit einer allgemeinen Obergrenze über dem abstrakt Angemessenen und besonderen Regeln in der Karenzzeit.

Für Betroffene bedeutet das: Ohne rechtzeitige Zusicherung und ohne klaren Erforderlichkeitsgrund ist nach dem Umzug die Chance gering, dass das Jobcenter eine gestiegene Miete trägt – selbst wenn die alte Miete innerhalb des Vergleichsraums nicht mehr realistisch zu finden ist.

Praktische Folgen für Leistungsberechtigte

Die geplante Norm kann Mobilitätsentscheidungen innerhalb eines Stadt- oder Kreisgebiets faktisch verteuern. Wer aus berechtigten, aber nicht „erforderlichen“ persönlichen Gründen umzieht, riskiert eine dauerhafte Finanzierungslücke. Das kann zu Spannungen mit dem Existenzsicherungszweck führen, wenn die Differenz den Regelbedarf spürbar aufzehrt.

Gleichzeitig dürfte die Verwaltungspraxis der Jobcenter stärker auf die Vorabprüfung drängen: Ohne Zusicherung keine Anerkennung erhöhter Kosten, und bei nicht erforderlichen Umzügen bleibt es in jedem Fall beim alten Betrag.

Für Streitfälle bleibt maßgeblich, ob das Angemessenheitskonzept vor Ort schlüssig ist und ob im Einzelfall besondere Umstände – etwa gesundheitliche Gründe – eine Erforderlichkeit begründen.

Offene Rechts- und Gerechtigkeitsfragen

Die Deckelung bei nicht erforderlichen Umzügen ist verfassungsrechtlich bislang im Grundsatz akzeptiert, weil sie an die Angemessenheit anknüpft und den notwendigen Lebensunterhalt sichern soll.

Konfliktträchtig bleibt aber die Anwendung im Detail: Wie eng wird „Erforderlichkeit“ definiert? Wie belastbar sind die kommunalen Mietkonzepte angesichts dynamischer Wohnungsmärkte?

Und wie wird mit Härtefällen umgegangen, in denen die Suche nach einer „alten“ Miete faktisch aussichtslos ist? Die künftige Praxis wird zeigen, ob die nun ausdrücklich formulierte „Höchstens“-Grenze vor allem Rechtsklarheit bringt – oder die Kluft zwischen normierter Angemessenheit und realen Mieten vertieft.

Fazit

Die „Neue Grundsicherung“ übernimmt die bekannte Deckelung der Unterkunftskosten bei nicht erforderlichen Umzügen, verankert sie jedoch prominent in § 22 Absatz 4 SGB II und formuliert sie als ausdrückliche Obergrenze für Umzüge innerhalb desselben Vergleichsraums.

Offiziell ist das eine systematische Umstrukturierung ohne materiellen Bruch, tatsächlich dürfte die sprachliche Zuspitzung den Steuerungswillen der Verwaltung stärken.

Für Leistungsberechtigte steigen damit die Anforderungen, vor einem Umzug die Erforderlichkeit zu klären und sich rechtzeitig eine Zusicherung zu sichern. Sozial- und verwaltungsgerichtliche Auseinandersetzungen über Vergleichsräume, Schlüssigkeit von Konzepten und Härten im Einzelfall werden an Bedeutung gewinnen.

Hinweis: Dieser Beitrag bezieht sich auf einen Referentenentwurf. Bis zum Inkrafttreten können Änderungen erfolgen.