Rentenurteil: LSG stoppte die Rente nach einer Beitragserstattung

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Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hat am 12. Februar 2025 im Berufungsverfahren entschieden: Wer sich seine Rentenbeitrรคge erstatten lรคsst, verliert damit die Ansprรผche aus den bis dahin zurรผckgelegten rentenrechtlichen Zeiten.

Im konkreten Fall blieb der Antrag auf eine Regelaltersrente erfolglos, obwohl der Klรคger Jahrzehnte zuvor Beitrรคge gezahlt hatte. Das Verfahren lief unter dem Aktenzeichen L 3 R 471/23. Die Entscheidung bestรคtigt die strenge Rechtsfolge des ยง 210 SGB VI und die Bindungswirkung eines bestandskrรคftigen Erstattungsbescheids.

Der Sachverhalt

Nach รถffentlich zugรคnglichen Kurzdarstellungen betrifft der Fall einen in Polen geborenen Mann, der Anfang der 1980er Jahre nach Deutschland kam, hier pflichtversichert war und sich wenige Jahre spรคter die bis dahin entrichteten Beitrรคge erstatten lieรŸ.

Jahrzehnte spรคter beantragte er eine Regelaltersrente. Die Sozialgerichte โ€“ zuletzt das LSG NRW โ€“ verneinten den Anspruch, weil mit der damaligen Beitragserstattung das bis dahin bestehende Versicherungsverhรคltnis beendet und die zurรผckgelegten Zeiten nicht mehr rentenrechtlich verwertbar sind.

Der rechtliche Rahmen: ยง 210 SGB VI

Inhalt der Entscheidung ist ยง 210 SGB VI. Die Norm erlaubt unter engen Voraussetzungen die Erstattung von Beitrรคgen.

Besonders folgenreich ist Absatz 6: Der Erstattungsantrag kann nicht auf einzelne Zeiten beschrรคnkt werden; mit der Erstattung wird das bisherige Versicherungsverhรคltnis aufgelรถst, und Ansprรผche aus den bis zur Erstattung zurรผckgelegten Zeiten bestehen nicht mehr.

Das Gesetz zielt damit auf Rechtssicherheit und Kontenklarheit โ€“ wer Erstattung wรคhlt, beendet die Verwertbarkeit dieser Zeiten fรผr kรผnftige Rentenansprรผche.

Die Entscheidungslinie des LSG NRW

Das LSG NRW folgt dieser gesetzlichen Systematik und der gefestigten hรถchstrichterlichen Rechtsprechung: Ein bestandskrรคftiger, begรผnstigender Erstattungsbescheid entfaltet Bindungswirkung und steht spรคteren Leistungsansprรผchen aus den erstatteten Zeiten entgegen.

Selbst wenn sich Jahre spรคter herausstellt, dass der Erstattungsbescheid ursprรผnglich rechtlich zweifelhaft war, kann er in aller Regel nicht mehr rรผckgรคngig gemacht werden; maรŸgeblich sind Bestandskraft und Vertrauensschutzgesichtspunkte. Im Ergebnis blieb die Berufung des Klรคgers ohne Erfolg.

Bindungswirkung und hรถchstrichterliche Leitplanken

Die Linie, an die das LSG anknรผpft, ist alt und klar: Das Bundessozialgericht hat bereits in den 1980er-Jahren entschieden, dass ein bestandskrรคftiger Erstattungsbescheid die spรคtere Inanspruchnahme von Rentenleistungen aus den erstatteten Zeiten ausschlieรŸt.

Dieser Grundsatz dient Rechtsklarheit und Schutz des Versicherungssystems vor rรผckwirkender โ€žDoppelverwertungโ€œ derselben Beitrรคge. Die LSG-Entscheidung bestรคtigt damit kein neues Dogma, sondern wendet bekannte Grundsรคtze auf einen besonderen Lebenssachverhalt an.

Was die Entscheidung nicht sagt

Das Urteil bedeutet nicht, dass nach einer Beitragserstattung jede spรคtere Rente ausgeschlossen wรคre. Mรถglich bleibt, nach der Erstattung erneut rentenversicherungspflichtig zu werden und neue Anwartschaften aufzubauen. Ausgeschlossen sind lediglich Ansprรผche aus den bis zur Erstattung zurรผckgelegten Zeiten.

Wer die allgemeine Wartezeit (in der Regel 60 Kalendermonate) nach der Erstattung nicht erneut erfรผllt, wird aber keine Regelaltersrente erhalten. Genau an dieser Hรผrde scheiterte der Klรคger: Die erstatteten Zeiten zรคhlten nicht mehr, und neue rentenrechtliche Zeiten in ausreichendem Umfang waren nicht vorhanden.

Auslandszeiten und Koordinierungsrecht: warum es kompliziert werden kann

Besondere Brisanz erhรคlt die Thematik, wenn โ€“ wie im entschiedenen Fall โ€“ Auslandszeiten im Spiel sind. Grundsรคtzlich kรถnnen auslรคndische Versicherungszeiten unter europรคischem oder zwischenstaatlichem Koordinierungsrecht zur Erfรผllung der Wartezeit beitragen.

Die Beitragserstattung in Deutschland entfaltet jedoch ihre Wirkung unabhรคngig davon: Sie lรถscht die in Deutschland bis dahin erworbenen Zeiten, und die Frage, ob auslรคndische Zeiten (noch) zu berรผcksichtigen sind, hรคngt von der jeweils einschlรคgigen Rechtslage zum Zeitpunkt und vom anwendbaren Abkommen ab.

Das LSG betont in der Tendenz die Bestandskraft der deutschen Erstattungsentscheidung als Zรคsur.

Konsequenzen fรผr Rentenversicherte

Wer eine Beitragserstattung erwรคgt, sollte deren Endgรผltigkeit kennen. Die Erstattung ist eine Liquiditรคtsentscheidung mit langfristiger Schattenseite: Sie zerschneidet das bisherige Versicherungskonto, und die bis dahin erworbenen Zeiten sind fรผr alle kรผnftigen Rentenansprรผche verloren.

Gerade Menschen mit gemischten Erwerbsbiografien und Auslandszeiten riskieren, die allgemeine Wartezeit am Ende nicht mehr zu erreichen โ€“ mit der Folge, dass keine Regelaltersrente gezahlt wird. Diese Konsequenz ist keine โ€žneue Hรคrteโ€œ, sondern entspricht dem klaren Wortlaut des ยง 210 SGB VI und der seit Langem gefestigten Rechtsprechung.

Praxisblick: Alternativen und Vorsorge

Vor einer Erstattung lohnt stets der Blick auf Alternativen. Je nach Status und Lebensphase kommen freiwillige Beitrรคge, der Erhalt von Anrechnungszeiten oder das gezielte Nachholen von Mindestversicherungszeiten in Betracht.

Wer Deutschland verlรคsst, sollte prรผfen, ob und wie Auslandszeiten spรคter angerechnet werden kรถnnen und ob eine Erstattung rechtlich รผberhaupt zulรคssig ist. Entscheidend bleibt, dass die Erstattung โ€“ einmal bestandskrรคftig โ€“ nicht rรผckabgewickelt wird und spรคtere Leistungsansprรผche aus den erstatteten Zeiten ausschlieรŸt.

Fazit

Das Urteil L 3 R 471/23 des LSG NRW ist ein deutliches Signal fรผr die Praxis: Die Beitragserstattung ist eine Weichenstellung mit dauerhafter Wirkung. Wer sie wรคhlt, verabschiedet sich von den bis dahin erworbenen Rentenanwartschaften โ€“ und muss neue Zeiten aufbauen, um die Wartezeit wieder zu erfรผllen. Fรผr Versicherte mit Auslandsbiografie ist die Lage besonders beratungsintensiv.

Rechtlich neu erfindet das LSG nichts; es unterstreicht die Tragweite des ยง 210 SGB VI und die Bestandskraft begรผnstigender Verwaltungsakte im Rentenrecht.

Quellenhinweise: LSG NRW, Urteil vom 12.02.2025 โ€“ L 3 R 471/23 (Kurzverweise); ยง 210 SGB VI (Gesetzestext); DRV-Studientext โ€žBeitragserstattungโ€œ (Stand 01.01.2025); sowie BSG-Rechtsprechung zur Bindungswirkung von Erstattungsbescheiden.