Bürgergeld: EuGH kippt Bürgergeld-Sperre für Eltern

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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 1. August 2025 mit seinem Urteil C-397/23 eine wegweisende Klarstellung getroffen: Ein Elternteil, der mit seinem minderjährigen EU-Kind in Deutschland lebt, darf beim Bürgergeld oder bei der Sozialhilfe nicht länger allein wegen seiner Staatsangehörigkeit ausgeschlossen werden.

Für Betroffene öffnet sich damit der Zugang zu existenzsichernden Leistungen – und für Jobcenter entsteht sofortiger Handlungsbedarf.

Was hat der EuGH entschieden?

Die Luxemburger Richter stellten klar, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II – der arbeitsuchende EU-Bürger grundsätzlich vom Bürgergeld ausschließt – nicht angewendet werden darf, wenn ein minderjähriges Unionskind im Haushalt lebt. Die bisherige Unterscheidung, ob das Kind die deutsche oder eine andere EU-Staatsangehörigkeit besitzt, verletzt das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Kurz gesagt: Das Wohl des Kindes und seine Freizügigkeitsrechte haben Vorrang vor nationalen Leistungsausschlüssen.

Hintergrund: Leistungsausschlüsse in SGB II und SGB XII

SGB II: Nach geltender Fassung sind Personen vom Bürgergeld ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich „allein aus dem Zweck der Arbeitssuche“ ergibt. Diese Regel traf bislang häufig Alleinerziehende ohne deutsches Kind.
SGB XII: Auch die Sozialhilfe kennt in § 23 SGB XII Leistungseinschränkungen für bestimmte Ausländergruppen.

Das EuGH-Urteil erklärt solche pauschalen Sperren für unionsrechtswidrig, sobald ein minderjähriges EU-Kind betroffen ist. Nationale Vorschriften müssen daher europarechtskonform ausgelegt oder notfalls unangewendet bleiben.

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Rechtliche Grundlage: EU-Freizügigkeit und Gleichbehandlung

Die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG garantiert Unionsbürgern, die sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, gleiche soziale Vergünstigungen wie Inländern. Das Urteil betont, dass dieses Gleichheitsgebot auch dann gilt, wenn der erwachsene Elternteil lediglich ein Aufenthaltsrecht als Arbeitsuchender besitzt.

Entscheidend ist, dass das Kind als Unionsbürger sein Recht auf Aufenthalt effektiv ausüben kann – hierzu gehört die finanzielle Absicherung der Familie. Frühere Entscheidungen wie C-709/20 „CG“ hatten diese Linie bereits vorgezeichnet; das neue Urteil konkretisiert sie für den deutschen Leistungsausschluss.

Konkrete Auswirkungen für Betroffene

  1. Automatischer Anspruch: Elternteile, die wegen § 7 SGB II bislang abgelehnt wurden, können ab sofort Bürgergeld oder zumindest Sozialhilfe beantragen.
  2. Rückwirkende Leistungen: Bestehen noch offene Widerspruchs- oder Klageverfahren, stehen die Chancen gut, Leistungen nachgezahlt zu bekommen.
  3. Kein Wechsel ins AsylbLG: Jobcenter dürfen Leistungsberechtigte nicht auf das niedrigere Asylbewerberleistungsgesetz verweisen.

Was Jobcenter jetzt beachten müssen

Jobcenter müssen ihre Bescheidvorlagen und internen Weisungen unverzüglich anpassen. Bleibt eine Behörde untätig, können Betroffene sich auf das EuGH-Urteil berufen, einstweiligen Rechtsschutz beantragen und – falls nötig – Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen.

Beratungsstellen sollten bei neuen Anträgen auf den Hinweis „EU-Kind im Haushalt – EuGH C-397/23“ achten, um automatisierte Ablehnungen zu verhindern.

Praktische Tipps für Eltern und Beratungsstellen

  • Unterlagen sammeln: Geburtsurkunde des Kindes, Nachweis des gemeinsamen Wohnsitzes und Meldebescheinigung genügen meist, um den Anspruch zu belegen.
  • Fristen wahren: Gegen ablehnende Bescheide gilt eine einmonatige Widerspruchsfrist. Wird diese versäumt, ist ein Überprüfungsantrag (§ 44 SGB X) möglich.
  • Beratung nutzen: Sozialberatungsstellen, Fachanwälte oder Gewerkschaftsangebote helfen bei der Antragstellung und vertreten Sie vor Gericht.

Ausblick: Gesetzgeberischer Handlungsbedarf

Die Entscheidung zwingt den Bundestag, die Leistungsausschlüsse im SGB II und SGB XII zu überarbeiten. Erste Stimmen aus der Fachöffentlichkeit fordern bereits, § 7 SGB II ersatzlos zu streichen und eine klarere Regelung in § 23 SGB XII zu schaffen. Bis dahin bleibt das Urteil unmittelbares Recht – Jobcenter dürfen sich nicht auf noch nicht geänderte Paragrafen berufen.