Bürgergeld: Jobcenter kann Schuldentilgung als sozialwidriges Verhalten werten

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Wenn Bürgergeld-Leistungsberechtigte nach dem SGB II eine größere Einmalzahlung erhalten – etwa eine Abfindung, eine Versicherungsleistung oder eine Bonuszahlung –, stellt sich unmittelbar die Frage, ob und wie diese Mittel zur Begleichung bestehender Schulden eingesetzt werden dürfen.

Die Antwort ist differenziert. Sie hängt davon ab, auf welchem Weg die Zahlung erfolgt, ob sie dem Leistungsberechtigten tatsächlich zufließt und ob durch ihr Verhalten die Hilfebedürftigkeit verringert oder aufrechterhalten wird.

Einkommen, Zuflussprinzip und Hilfebedürftigkeit

Im Leistungsrecht des SGB II gilt das Zuflussprinzip. Maßgeblich ist, ob und wann dem Leistungsberechtigten „bereite Mittel“ zufließen, über die er verfügen kann. Solche Zuflüsse sind grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen und mindern den Leistungsanspruch, weil sie zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen sind.

Nicht erfasst ist „fiktives“ Einkommen, also Geld, das real nicht zur Verfügung steht.

Parallel dazu kennt das Gesetz mit § 34 SGB II einen Ersatzanspruch gegen Leistungsberechtigte, wenn diese ihre Hilfebedürftigkeit sozialwidrig herbeiführen, nicht verringern oder aufrechterhalten. Entscheidend ist somit nicht nur die einkommensrechtliche Behandlung der Zahlung, sondern auch, ob das Verhalten im Einzelfall als sozialwidrig zu bewerten ist.

Wenn die Einmalzahlung an die leistungsberechtigte Person fließt und anschließend Schulden getilgt werden

Erhält der Bürgergeldbeziehende die Einmalzahlung selbst – etwa durch Gutschrift auf dem eigenen Konto –, handelt es sich zunächst um anrechenbares Einkommen.

Diese Mittel sind grundsätzlich zur Deckung des laufenden Lebensunterhalts einzusetzen, selbst wenn dem Leistungsberechtigten dadurch die Erfüllung zivilrechtlicher Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern erschwert oder unmöglich wird.

Begleicht er gleichwohl seine Schulden, steht dieses Geld für den Lebensunterhalt nicht mehr zur Verfügung. Da im Leistungsrecht nur tatsächliche, nicht aber fiktive Verfügbarkeit zählt, führt der Schuldenabtrag in diesem Moment zwar nicht zu einer Minderung des Leistungsanspruchs; im Ergebnis besteht der Bürgergeldanspruch formal in voller Höhe fort, weil das Geld faktisch nicht mehr vorhanden ist.

Diese Konstellation bleibt jedoch nicht folgenlos. Die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wertet den Einsatz einer solchen Einmalzahlung zur Schuldentilgung als sozialwidriges Verhalten.

Wer die Mittel nicht zur Verringerung der Hilfebedürftigkeit nutzt, sondern sie den Gläubigern zuwendet und damit die eigene Bedürftigkeit aufrechterhält, muss mit der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II rechnen.

Praktisch bedeutet dies: Die unmittelbare Anrechnung als Einkommen mag im Einzelfall entfallen, der Leistungsträger kann die sodann erbrachten Leistungen aber nachträglich – unter den gesetzlichen Voraussetzungen – von der leistungsberechtigten Person zurückfordern.

Wenn die Einmalzahlung direkt an die Gläubiger fließt

Anders liegt der Fall, wenn die Zahlung ohne Zwischenschritt unmittelbar an die Gläubiger geleistet wird und dem Leistungsberechtigten keine „baren Mittel“ zufließen.

Mangels Zuflusses liegt dann kein zu berücksichtigendes Einkommen vor. Die Hilfebedürftigkeit bleibt zunächst unvermindert bestehen, wodurch der Anspruch auf Bürgergeld dem Grunde nach unberührt ist.

Gleichwohl ist auch diese Gestaltung rechtlich heikel. Denn wer durch eine direkte Tilgung der Verbindlichkeiten die eigene Bedürftigkeit nicht verringert, verhält sich ebenfalls sozialwidrig.

Auch hier kommt ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II in Betracht, weil die vorhandene Möglichkeit, die Hilfebedürftigkeit zu reduzieren, nicht genutzt wurde. Das Ergebnis ähnelt somit der erstgenannten Fallgruppe: Es erfolgt keine Anrechnung als Einkommen, aber es droht eine spätere Inanspruchnahme auf Ersatz.

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Schuldentilgung mit Hilfe Dritter ohne Rechtsverpflichtung

Eine deutlich günstigere Bewertung erfährt die Schuldentilgung, wenn Dritte – etwa Angehörige, Freundinnen oder Freunde – ohne rechtliche Verpflichtung für den Leistungsberechtigten zahlen.

Die Befreiung von Verbindlichkeiten durch einen Dritten stellt kein Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II dar, weil der Leistungsberechtigte selbst keine bereiten Geldmittel erhält. Zugleich fehlt es an der Sozialwidrigkeit: Wer auf Hilfe angewiesen ist und eine freiwillige Leistung Dritter entgegennimmt, verzichtet nicht auf eigenes Geld, das er ansonsten für den Lebensunterhalt hätte verwenden müssen.

Da kein Anspruch gegenüber dem Dritten bestand, wird durch die Entlastung keine zumutbare Möglichkeit ungenutzt gelassen, die Hilfebedürftigkeit zu verringern. Derartige Unterstützungen können Schulden wirksam reduzieren, ohne den Leistungsanspruch zu gefährden oder Ersatzansprüche auszulösen.

Darlehen zur Entschuldung

Ebenfalls grundsätzlich möglich ist die Entschuldung mittels Darlehen. Darlehensmittel sind nach § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II kein zu berücksichtigendes Einkommen, weil ihnen eine Rückzahlungsverpflichtung gegenübersteht. Das gilt unabhängig davon, ob die Darlehensgeber Privatpersonen oder andere Stellen sind. Wer ein Darlehen aufnimmt, um Schulden abzulösen, erhält damit keine anrechenbare Einnahme zur Bestreitung des Lebensunterhalts, sondern verschiebt Verbindlichkeiten.

In der Praxis ist es ratsam, die Darlehenskonditionen klar zu dokumentieren, einen Rückzahlungsplan zu vereinbaren und nachzuweisen, dass es sich nicht um eine verdeckte Schenkung handelt. So bleibt die Abgrenzung gegenüber einkommensrelevanten Zuwendungen eindeutig.

Praktische Konsequenzen und Abwägungen

Leistungsberechtigte stehen bei Einmalzahlungen vor einer anspruchsvollen Abwägung. Wer eigenes Geld zur Schuldentilgung einsetzt oder eine direkte Gläubigerzahlung veranlasst, vermeidet zwar kurzfristig eine Anrechnung als Einkommen, läuft aber in die Falle eines späteren Ersatzanspruchs wegen sozialwidrigen Verhaltens.

Wer dagegen eine freiwillige Drittunterstützung nutzt oder ein Darlehen aufnimmt, kann bestehende Verbindlichkeiten reduzieren, ohne den Leistungsanspruch zu gefährden. Für die Praxis empfiehlt sich eine vorausschauende Planung. Beabsichtigte Tilgungen sollten rechtlich eingeordnet, Zahlungswege sorgfältig gewählt und alle Vorgänge dokumentiert werden.

Die frühzeitige Kommunikation mit der Behörde kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden und Gestaltungsspielräume rechtskonform zu nutzen. Dabei ist stets zu bedenken, dass das Ziel des Leistungsrechts die Sicherung des Existenzminimums ist; wer verfügbare Mittel an Gläubiger leitet, statt den Lebensunterhalt zu sichern, setzt sich dem Vorwurf aus, die Hilfebedürftigkeit willentlich aufrechtzuerhalten.

Und was sagt die Rechtsprechung?

Die Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist klar: Maßgeblich bleibt die tatsächliche Verfügbarkeit von Mitteln für die Existenzsicherung.

Wo bereite Mittel vorhanden sind, sind sie zur Bedarfsdeckung einzusetzen. Wo sie fehlen, weil sie an anderer Stelle eingesetzt wurden oder niemals zugeflossen sind, kann eine unmittelbare Einkommensanrechnung scheitern, ohne dass damit die sozialrechtliche Bewertung positiv ausfällt.

§ 34 SGB II ist das Korrektiv, das sozialwidriges Verhalten sanktioniert und den Leistungsträger in die Lage versetzt, zu Unrecht fortgezahlte Leistungen zurückzufordern. Dieses Zusammenspiel aus Zuflussprinzip und Ersatzanspruch erklärt, weshalb formale Anrechnungsfragen und materielle Verantwortlichkeit auseinanderfallen können.

Fazit

Einmalzahlungen zur Schuldentilgung sind im Bürgergeldbezug rechtlich möglich, aber risikobehaftet. Fließen Mittel an den Leistungsberechtigten oder direkt an die Gläubiger, droht trotz fehlender Anrechnung als Einkommen ein Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens.

Unproblematischer sind Tilgungen durch freiwillige Drittleistungen ohne Rechtsverpflichtung sowie die Entschuldung über Darlehen, die nicht als Einkommen gelten.

Wer eine Einmalzahlung erhält, sollte den Zahlungsweg und den Verwendungszweck mit Blick auf die Hilfebedürftigkeit sorgfältig gestalten, die Kommunikation mit dem Jobcenter suchen und die Vorgänge nachvollziehbar dokumentieren.

Der rechtssichere Umgang mit Einmalzahlungen erfordert nüchterne Planung: Vorrang hat stets die Sicherung des Lebensunterhalts; alles, was dieses Ziel gefährdet, kann im Ergebnis teurer werden als eine durchdachte, rechtlich tragfähige Lösung.