Ein Selbstständiger Bürgergeld-Aufstocker kann sich nicht mal so einfach aus dem Leistungsbezug abmelden, um eine Nichtanrechnung seines Einkommens zu erreichen, damit es zu nicht berücksichtigtem Vermögen wird.
Vorweg: Schon zu Hartz IV Zeiten war dies ein sehr umstrittenes Thema.
1. Kann ich mich aus dem laufendem ALG II Bezug abmelden, um zum Bsp. die Nichtanrechnung einer Erbschaft als Einkommen zu erreichen, damit sie zu Vermögen wird.
2. Ist der Verzicht auf ALG II als Verzicht nach § 46 SGB 1 zu verstehen?
In den letzten Jahren haben sich verschiedene Gerichte mit diesem Thema beschäftigt. Es ist grundsätzlich möglich, den Bewilligungszeitraum durch eigene Abmeldung zu verkürzen
Schon vor rund 10 Jahren entschied das SG Berlin, dass es grundsätzlich möglich wäre, sich aus dem ALG II Bezug abzumelden. Die Abmeldung, die im SGB 2 nicht geregelt ist, ist insofern als Verzicht (§ 46 Abs 1 SGB 1) auf den bereits bewilligten Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu verstehen (Leitsatz SG Berlin, Urt. v. 29.07.2013 – S 197 AS 15266/10 -).
Kein Verzicht und keine Rücknahme des Leistungsantrages, wenn in einzelnen Monaten die Einnahmen besonders hoch sind
Die gesetzlich vorgegebene Dauer des Bewilligungszeitraums im Sinne eines Verteilzeitraums kann nicht durch die “Abmeldung” aus dem Leistungsbezug verkürzt werden.
Das LSG Berlin-Brandenburg war mit Urteil vom 13.01.2021 – L 14 AS 1933/17 – nicht der Auffassung des SG Berlin ( siehe oben ) gefolgt und hatte fest gestellt, dass kein Verzicht und keine Rücknahme des Leistungsantrages, wenn in einzelnen Monaten die Einnahmen besonders hoch sind, möglich wäre.
§ 3 Abs. 1 Satz 3 Alg II-V wäre nicht anwendbar auf Fälle, in denen – wie hier – die Erwerbstätigkeit während des ganzen Bewilligungszeitraums ausgeübt wird, aber nur in einzelnen Monaten auch Einnahmen erzielt werden (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. März 2014 – L 2 AS 720/13 NZB ) bzw. in einzelnen Monaten die Einnahmen besonders hoch sind.
Dieser Ansicht hat sich jetzt mit aktuellem Urteil auch das LSG Sachsen angeschlossen!
Unzulässigkeit der Antragsrücknahme oder -verschiebung im Hinblick auf den Bezug von Einkommen eines Selbstständigen
Ein Selbstständiger Aufstocker von Bürgergeld – Leistungen ist nicht berechtigt durch nachträgliche Beschränkung eines einmal gestellten Antrags einzugreifen, um Einkommen, das nach im Antrag bestimmten Leistungsbeginn zugeflossen ist, in Vermögen zu wandeln ( bezugsnehmend auf BSG, Urt. v. 24.04.2015 – B 4 AS 22/14 R – ).
Nach Erlass des Bürgergeld – Bescheides über einen konkreten Bewilligungszeitraum, wenn nicht sogar schon nach Antragstellung, kann der Verlauf des Zeitraumes nicht durch eine (Teil-)Rücknahme verändert werden, um eine für die Leistungsberechtigten günstigere Verteilung der Einnahmen zu erreichen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Januar 2021 – L 14 AS 1933/17 – ).
Ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter kann sich während eines laufenden Bewilligungszeitraums nicht abmelden, um eine zugeflossene Erbschaft zu geschütztem Vermögen (statt zu anrechenbarem Einkommen) werden zu lassen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. November 2010 – L 18 AS 1826/08), ist vorliegend eine Abmeldung möglich, um eine Nichtberücksichtigung der Einnahmen aus seiner Selbstständigkeit zu erreichen.
So die Auffassung und Begründung des LSG Sachsen, Urt. v. 17.08.2023 – L 3 AS 1036/19 –
Was heißt das für Betroffene?
Zum jetzigen Zeitpunkt kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine gegenteilige Rechtsauffassung existiert.
Man sollte sich also sehr gut überlegen z. Bsp. ein Selbstständiger, wenn die Auftragseingänge gerade mal nicht so hoch sind, ob Bürgergeld beantragt werden sollte, wenn vielleicht 3 Monate später ein großer Auftrag rein kommt und die Hilfebedürftigkeit nicht mehr gegeben ist.
Aktualisierung vom 25.07.2024
Mit Urteil vom 16.07.2024 hat das Bayrische Landessozialgericht wie folgt entschieden: L 7 AS 122/23 – Revision zugelassen:
Verzicht auf Bürgergeld ist unwirksam, wenn das Bürgergeld bereits vom Jobcenter ausbezahlt wurde
1. Der Verzicht ist unwirksam iS des § 46 Abs 2 SGB I, wenn durch den Verzicht der im Rahmen einer vorläufigen Bewilligung festgelegte Bewilligungszeitraum verkürzt werden soll.
2. Um somit auf diese Weise die Regelungen über die Berechnung von Einkommen aus selbstständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft (§ 3 Bürgergeld-V) zu umgehen.
3. Von einem Verzicht werden allein noch nicht erfüllte oder noch nicht auf andere Weise erloschene sowie zukünftige Einzelansprüche aus dem Recht erfasst. Auf bereits – abgewickelte – Leistungsansprüche kann sich der Verzicht nach § 46 SGB I nicht erstrecken (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 23.6.2022 – L 3 BK 10/21 – ).
4. Ist der Verzicht bereits nach § 46 Abs 2 SGB I unwirksam, kann dahinstehen, ob Ansprüche auf Leistungen des Bürgergeldes auf einem einheitlichen Stammrecht beruhen (vgl hierzu BSG, Urteil vom 30.6.2021 – B 4 AS 70/20 R -), wenn sie durch den Leistungsträger für einen Bewilligungszeitraum (vorläufig) festgelegt worden sind.
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.