Bürgergeld: BSG kippt 30-Tage-Regel – So verpasste Miet­zahlungen zurückholen

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Das Bundessozialgericht (BSG) hat im Dezember 2023 klargestellt, dass die “30-Tage-Regel” des § 41 SGB II nur den Regelbedarf betrifft. Für die Kosten der Unterkunft (KdU) gilt dagegen der tatsächliche Kalendermonat.

Wer im laufenden Monat ein- oder auszieht, erhält deshalb häufig zu wenig oder zu viel Miete vom Jobcenter. Das Urteil eröffnet Nachzahlungs- und Erstattungs­chancen für Betroffene – trotz abweichender Software-Praxis der Bundesagentur für Arbeit.

30 Tage oder 31 Tage? Der Kern des Problems

§ 41 Abs. 1 SGB II schreibt vor, dass Monate pauschal mit 30 Tagen gerechnet werden, wenn es nur um den Regelbedarf geht. Im Verfahren B 4 AS 4/23 R entschied das BSG jedoch, dass diese Vereinfachung nicht auf die Miete anzuwenden ist. Die Richterinnen begründen das damit, dass KdU keine pauschale, sondern eine realitätsbezogene Leistung darstellen.

Beispiel: Fehlbeträge bei Geburten, Umzügen und Haft­entlassungen

Die Gerichte verglichen einen typischen Familienfall im Mai 2021. Bei einer Gesamtmiete von 1.000 € errechnete das BSG wegen eines Familien­zuwachses am 17. Mai anteilig 999,99 €, weil es durch 31 teilt. Das Jobcenter-Programm ALLEGRO teilte dagegen durch 30 und kam ebenfalls auf 1.000 € – aber die Einzel­ansprüche der Familien­mitglieder verschoben sich.

In anderen Konstellationen entstehen echte Verluste. Wer erst am 25. Januar in eine Wohnung einzieht, erhält nach ALLEGRO nur sechs Dreißigstel der Miete, obwohl sieben reale Tage zu zahlen sind.

Software bleibt falsch – Jobcenter ignorieren das Urteil

Die Bundesagentur für Arbeit hat bereits signalisiert, ALLEGRO nicht umzuprogrammieren. Der “erhebliche Aufwand” stünde in keinem Verhältnis zum Nutzen, heißt es intern. Zusätzlich führt das Fachverfahren alle Monate weiter mit einem 30-Tage-Teiler, ohne die richterlich geforderte Differenzierung nach 31-, 30- oder 28-Tage-Monaten vorzunehmen.

Wie viel Geld können Leistungs­berechtigte verlieren?

Das Urteil nennt Unterschiede von wenigen Cent bis zu mehreren Euro pro Monat und Person. Gerade lang­fristig oder bei häufigen Wechseln in der Bedarfsgemeinschaft summieren sich die Beträge:

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  • Ein allein­stehender Mieter, der am 31. März auszieht, verliert einen Tag volle Mietübernahme.
  • Eine Familie mit Kind, das Mitte des Monats geboren wird, erhält bei realen 31 Tagen gleich doppelt zu wenig, weil ALLEGRO sowohl den Teiler als auch die Personenzahl anders ansetzt.

Rechte sichern: Überprüfungs­antrag stellen

Betroffene können falsche Bescheide innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe mit einem Überprüfungs­antrag korrigieren lassen (§ 44 SGB X). Für ältere Bescheide gilt die Vier­jahres­frist, sofern eine dauerhafte höchst­richterliche Rechtsprechung vorliegt (§ 40 Abs. 3 SGB II).

Die BSG-Entscheidung hat Grundsatz­charakter; daher stufen Fachleute sie als “ständige Rechtsprechung” ein, die die Fristverkürzung auslöst.

Praxis­tipp: Im Antrag sollte stehen, an welchen Tagen der Anspruch nur anteilig bestand und welche Miete tatsächlich geschuldet war. Fügen Sie Kontoauszüge oder Miet­quittungen bei, um die Nachzahlung belegbar zu machen.

Was tun, wenn das Jobcenter blockt?

Viele Sachbearbeitende kennen das Urteil nicht oder verweisen auf ALLEGRO. Widerspruch lohnt sich, weil Sozialgerichte an die BSG-Auslegung gebunden sind. Beratungs­stellen berichten bereits von ersten Erfolgen, wenn genaue Tages­aufstellungen vorgelegt werden.

Auswirkungen auf künftige Bescheide

Solange ALLEGRO unverändert rechnet, sollten Leistungs­berechtigte jede Veränderungs­mitteilung prüfen:

  • Prüfen Sie den Zeitraum, den das Jobcenter bewilligt.
  • Zählen Sie die realen Tage mit Anspruch auf Unterkunftskosten.
  • Teilen Sie die Kaltmiete durch die echten Monats­tage und multiplizieren Sie mit der Anspruchs­dauer.

So lassen sich Abweichungen sofort reklamieren.

Kleiner Paragraf, große Wirkung

Das BSG hat die seit 2006 diskutierte 30-Tage-Fiktion erstmals aufgebrochen. Jeder Bürgergeld­haushalt sollte seine Bescheide bei unterjährigen Änderungen durchsehen. Nachzahlungen sind möglich, und das Risiko, selbst Rück­forderungen zahlen zu müssen, sinkt. Wer früh handelt, verhindert lang­wierige Streitigkeiten und sichert die Mietzahlung, bevor Schulden entstehen.