Gericht schränkt Ortsabwesenheit von Bürgergeld-Beziehern ein

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Das Landessozialgericht (LSG) Hessen gibt mit Urteil – L 6 AS 444/22 – bekannt, dass Leistungsempfänger nach dem SGB 2 (Bürgergeld) in Elternzeit bei nicht genehmigter Ortsabwesenheit für 6 Monate in Bosnien-Herzegowina von Leistungen ausgeschlossen sind.

Laut “§ 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung finde als Ordnungsvorschrift zur Missbrauchskontrolle auch auf solche erwerbsfähige Leistungsberechtigte Anwendung, die sich nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II aktuell dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stellen müssen. ”

Jobcenter müssen keine Familienreisen finanzieren für 6 Monate im Ausland

Der 6. Senat des Hessen betont, dass der Gesetzgeber bei Personen, die unter § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II fallen, nicht verpflichtet wäre, ein Leben „auf Reisen“ über ein halbes Jahr zu finanzieren, dafür sehe der Senat auch unter Art. 2 Abs. 1 GG keinen Anhalt.

Denn grundsätzlich kann nach § 3 Abs 4 ErreichbAnO ein Leistungsberechtigter für einen etwa sechsmonatigen Aufenthalt im fernen Ausland von vornherein keine Zustimmung des Grundsicherungsträgers erhalten. Eine solch lange Ortsabwesenheit ist nur ohne Leistungsgewährung möglich ( mit Verweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Oktober 2023 – L 18 AS 778/23 – für dreimonatige Ortsabwesenheit ).

Die Richter sind – nicht der Auffassung der Vorinstanz gefolgt ( SG Darmstadt Az. S 33 AS 817/21 )

Das Sozialgericht Darmstadt hatte wie folgt geurteilt

Entgegen der Auffassung des Jobcenters unterliege die Klägerin ( Mutter ) keinem Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4a SGB II

Zitat

“Die Verpflichtung, sich im zeit- und ortsnahen Bereich des Jobcenters aufzuhalten, solle nach der Absicht des Gesetzgebers dazu beitragen, hilfebedürftige Personen zu einer aktiven Mitwirkung an ihrer Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu veranlassen (BT-Drucksache 16/1696, S. 26).

Aus diesem Grund müsse § 7 Abs. 4a SGB II einschränkend so ausgelegt werden, dass der dort normierte Leistungsausschluss nur diejenigen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erfasse, die dem Selbsthilfegebot nachkommen müssten und somit der gesetzgeberischen Intention unterlägen.

Die Norm sei aus diesem Grund nicht auf Leistungsberechtigte anwendbar, die zwar erwerbsfähig seien, denen aber nach § 10 Abs. 1 Nr. 3, 4 oder 5 jegliche Arbeit zeitweilig nicht zumutbar sei (Geiger in: Münder/Geiger, SGB II, 7. Auflage 2021, § 7, Rn. 163, zu alledem vgl. auch SG Karlsruhe, Urteil vom 14. März 2011 – S 5 AS 4172/10).”

Gericht sieht kein Eingriff Eingriff, der zur Verfassungswidrigkeit führen könnte

Dieser Auffassung ist aber das LSG Hessen nicht gefolgt, der Senat sieht auch – keinen unzumutbaren, zur Verfassungswidrigkeit führenden Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, dadurch dass der Gesetzgeber auch bei Personen in der Situation der Klägerin den Bezug von steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen daran geknüpft hat, dass sie sich den Vorgaben der EAO gemäß im zeit- und ortsnahen Bereich aufhalten.

Das Gericht wird noch deutlicher

“Würde man die Bestimmung für aktuell nicht vermittelbare erwerbsfähige Personen für grundsätzlich unanwendbar halten, so könnten sich diese für lange Zeiträume (hier geplant: sechs Monate) fernab vom zuständigen Leistungsträger aufhalten, solange sie nur ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland – vorliegend allein manifestiert über die Beibehaltung der über Grundsicherungsleistungen finanzierten Mietwohnung – nicht aufgeben.

Ein kurzfristiger unmittelbarer Kontakt mit dem Leistungsträger und die Prüfung der aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse wäre damit erheblich erschwert, was nur zusätzlich verstärkt wird, wenn sich die Betroffenen – wie die Klägerin zu 1 im hiesigen Fall – im Ausland aufhalten und damit auch die Einschaltung des Außendienstes eines anderen Leistungsträgers im Wege der Amtshilfe nicht in Frage kommt.

Fazit:

Nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 EAO kann ein Arbeitsloser unabhängig vom Grund der Abwesenheit (Beruf, Urlaub, Familie) keine Zustimmung für seine Ortsabwesenheit erhalten, wenn er sich länger als sechs Wochen außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalten will.

Anmerkung vom Sozialrechtsexperten von Tacheles e. V.

1. Der Auffassung des LSG Hessen folge ich nicht, denn andere Gerichte haben zu dieser Rechtsfrage anders geurteilt.

2. Ich folge der Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. August 2013 – L 34 AS 1030/11, wonach gilt

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB 2 ist einem Hilfebedürftigen die Ausübung einer Arbeit unzumutbar, wenn sie die Erziehung seines Kindes gefährden würde. Bei Betreuung eines Kindes unter drei Jahren durch einen Alleinerziehenden kann der Grundsicherungsträger die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht verlangen. Dies gilt erst recht, wenn sich der alleinerziehende Hilfebedürftige in Elternzeit befindet.(Rn.25)

Damit fehlt es in einem solchen Fall aber – an einem rechtfertigenden Grund dafür, den Hilfebedürftigen den Anforderungen der Erreichbarkeitsanordnung zu unterwerfen. Dies gilt auch bei einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt.

3. § 7 Abs. 4a SGB II ist nicht anwendbar auf alleinerziehende Hilfebedürftige, die sich in Elternzeit befinden, so auch ausdrücklich SG Karlsruhe, Urteil vom 14.03.2011 – S 5 AS 4172/10 -. Dieser Rechtsauffassung ist nach meiner Meinung zu folgen!

4. Beim Bürgergeld gilt jetzt § 7b SGB 2.