Bürgergeld: Berechnungen der Jobcenter oft veraltet

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Immer wieder gibt es Berichte über problematische Entscheidungen der Jobcenter, die die Realität der aktuellen Lebenshaltungskosten von Bürgergeld-Beziehern ignorieren.

Ein besonders bemerkenswerter Fall ereignete sich kürzlich in Hamburg, wo ein Jobcenter eine Familie mit einem veralteten und offensichtlich unangemessenen Zuschuss für den Kauf einer Couch abwies.

Wie realitätsfern sind die Entscheidungen der Jobcenter?

In dem Fall, der vor dem Landessozialgericht Hamburg (LSG) verhandelt wurde, beantragte eine vierköpfige Familie einen Bürgergeld-Zuschuss für den Kauf einer neuen Couch.

Die alte Couch musste aufgrund eines Schädlingsbefalls ersetzt werden, weshalb die Anschaffung als Erstausstattung gewertet wurde – eine Voraussetzung, um überhaupt einen Zuschuss zu erhalten.

Doch das Jobcenter bewilligte lediglich 115 Euro, eine Summe, die auf Preisangaben aus dem Jahr 2015 basierte.

Angesichts der allgemeinen Preisentwicklung in den letzten Jahren ist dies kaum nachvollziehbar.

Die Inflation und die steigenden Lebenshaltungskosten haben die Preise für Möbel und andere Haushaltsgüter erheblich erhöht.

Es stellt sich daher die Frage, warum das Jobcenter auf derart veraltete Daten zurückgreift und ob dies eine gängige Praxis ist, um Kosten zu sparen.

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Ist das Hamburger Jobcenter ein Einzelfall oder ein Symptom für ein größeres Problem?

Der Fall aus Hamburg ist möglicherweise kein Einzelfall. Die Praxis, veraltete Preisdaten zu verwenden, könnte darauf hindeuten, dass Jobcenter in ganz Deutschland ähnliche Methoden anwenden.

Wenn veraltete Daten dazu verwendet werden, Bürgergeld-Zuschüsse kleinzurechnen, wird der Zweck der sozialen Unterstützung ad absurdum geführt.

Es liegt nahe, dass Behörden darauf setzen, dass viele Leistungsbeziehende die geringen Zuschüsse akzeptieren, um möglichen Auseinandersetzungen oder gar weiteren Benachteiligungen aus dem Weg zu gehen.

Die Tatsache, dass das Gericht den vom Jobcenter bewilligten Betrag auf 200 Euro anhob, zeigt, wie weit die Entscheidung des Jobcenters von der Realität entfernt war. Doch selbst diese Summe ist angesichts der tatsächlichen Kosten eines Sofas für eine vierköpfige Familie eher knapp bemessen.

Was bedeutet das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg für Betroffene?

Das Urteil des LSG Hamburg ist ein Signal an die Jobcenter und Leistungsbeziehenden gleichermaßen. Das Gericht zeigte in diesem Fall sogar Eigeninitiative, indem es eigene Recherchen zu aktuellen Preisen durchführte.

Diese Vorgehensweise sollte Standard werden, um sicherzustellen, dass Bedürftige die Unterstützung erhalten, die ihnen zusteht.

Betroffene sollten sich nicht scheuen, gegen offensichtlich unangemessene Bescheide vorzugehen. Die Angst vor weiteren Nachteilen ist verständlich, doch das Beispiel aus Hamburg zeigt, dass der Rechtsweg durchaus erfolgreich sein kann.

Was können Leistungsbeziehende tun?

Wenn Betroffene das Gefühl haben, dass ihr Bürgergeld-Bescheid zu niedrig angesetzt wurde, haben sie die Möglichkeit, diesen kostenlos überprüfen zu lassen. Diverse Beratungsstellen und Rechtsanwälte bieten entsprechende Dienstleistungen an.

Zudem haben Betroffene die Möglichkeit, Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen und gegebenenfalls eine Klage beim Sozialgericht einzureichen.

Gemäß § 24 Abs. 3 Satz 5 SGB II können Erstausstattungsleistungen wie Wohnungserstausstattung, Schwangerenbekleidung oder Erstausstattung an Bekleidung – in Form von Pauschalbeträgen erbracht werden.

§ 24 Abs. 3 Satz 6 SGB II bestimmt, dass für die Bemessung der Pauschalbeträge geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen sind. Die Festsetzung der Höhe der Pauschalen unterliegt der richterlichen Kontrolle.

Aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung müssen die Pauschalen für die Wohnungserstausstattung, Erstausstattung an Bekleidung sowie Schwangerenbekleidung angepasst werden, denn meistens sind sie veraltet.

Die Höhe der Pauschalen muss z. B. auf der Grundlage von Bezugsquellen oder Preislisten nachvollziehbar sein.
Wenn aufgrund der Besonderheit des Einzelfalls ein von der Pauschale abweichender Bedarf besteht, ist der Bedarf nach den Besonderheiten des Einzelfalls zu bemessen.

Dies kann insbesondere bei Menschen mit Behinderung in Betracht kommen, sofern aufgrund der Behinderung ein besonderer Bedarf besteht. So kommt beispielsweise die Gewährung einer Geschirrspülmaschine abweichend von etwaigen Pauschalen in Betracht, wenn die leistungsberechtigte Person aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, ihren Abwasch per Hand zu erledigen.

Das Bundessozialgericht hat mit Urteil B 14 AS 53/10 R vom 13.04.2011 wiederholt ausgeführt, welche grundsätzlichen Aspekte im Umgang mit einmaligen Bedarfen zu berücksichtigen sind.

Leistungen nach § 24 SGB II und analog dazu auch § 31 SGB XII sind für die Ausstattung mit wohnraumbezogenen Gegenständen zu erbringen, die eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen ermöglichen.

Dabei wird nur eine angemessene Ausstattung berücksichtigt, die den grundlegenden Bedürfnissen genügt und im unteren Segmentdes Einrichtungsniveaus liegt.

Die Erfüllung des Erstausstattungsanspruches kann auch in Form der Gewährung von Pauschalen sichergestellt werden. Dabei müssen diese so bemessen sein, dass der Hilfebedürftige mit dem gewährten Betrag seinen Bedarf in vollem Umfang befriedigen kann.

Die Träger von Grundsicherung und Sozialhilfe haben zudem zu prüfen, ob die Pauschalen auf nachvollziehbaren Erfahrungswerten beruhen. Die Festsetzung der Höhe der Pauschale unterliegt dabei der richterlichen Kontrolle.

Eine Leistungserbringung ist sowohl als Sach- oder als Geldleistung möglich. Im Regelfall ist vorrangig eine Geldleistung zu gewähren. Sind jedoch eindeutige Anzeichen für eine zweckentfremdete Verwendung erkennbar, ist hiervon entsprechend abzuweichen und auf Sachleistungen abzustellen.

Im Weiteren sind die Grundsätze der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu beachten.
Die Besonderheiten des Einzelfalles sind bei der Entscheidungsfindung immer zu berücksichtigen.

Fazit

Pauschale Geldbeträge für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten und für Bekleidung sind so zu bemessen, dass der Hilfebedürftige mit dem gewährten Betrag einfache und grundlegende Wohnbedürfnisse in vollem Umfang befriedigen bzw sich in menschenwürdiger Weise kleiden kann. Die Höhe der Pauschalen muss auf der Grundlage von Bezugsquellen, Preislisten etc nachvollziehbar sein ( BSG B 14 AS 53/10 R ).

Hinweis und Wissenswertes

Erbringt der Leistungsträger die Leistungen durch Pauschalbeträge, müssen die Pauschalbeträge bedarfsdeckend sein ( Behrend in: juris-PK, 2. Aufl., § 24 SGB II Rdnr. 87).

Denn Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip nach Art 20 Abs. 1 GG folgt (BVerfG, Breithaupt 2005, 803, 807; Bieback , NZS 2005, 337, 338).

Zwar sind pauschalierende Regelungen in diesem Rahmen nicht generell ausgeschlossen. Erforderlich ist aber, dass trotz Typisierung der existenznotwendige Bedarf in möglichst allen Fällen abgedeckt wird (BVerfG, NJW 1992, 3153, 3154).

Angesichts dessen ist ein Pauschalbetrag zu niedrig, wenn er nur unter günstigen Umständen zur Bedarfsdeckung ausreicht.

Der Leistungsempfänger kann in der Regel nicht darauf verwiesen werden, längere Zeit auf ein besonders preiswertes Angebot zu warten.

Denn der existenznotwendige Bedarf ist zeitnah zu befriedigen, nicht irgendwann in der Zukunft.