Bürgergeld: Bei Partnerschaft auf Probe muss der Partner zahlen

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Von einer Bedarfsgemeinschaft im Rahmen des Bürgergelds kann auch bei einem Zusammenleben unter einem Jahr ausgegangen werden, wenn besonders gewichtige Umstände die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft rechtfertigen, zum Beispiel bei längerer Vorbeziehung, Aufnahme des Partners in die eigenen Versicherungen, Abgabe der gemeinsamen Erklärung: Ja, wir sind ein Paar.

So zu mindestens die Ansicht des Sozialgericht Lüneburg, Urt. v. 15.03.2024 – S 19 AS 38/21 – .

Begründung: Beide bilden eine Bedarfsgemeinschaft

Bei dem Kläger und der Zeugin handelt es sich zum Zeitpunkt der Antragstellung um eine Bedarfsgemeinschaft, davon war das Gericht überzeugt.

Der Kläger und die Zeugin sind erst kurz vor Antragstellung auf das Bürgergeld zusammen gezogen, sie kannten sich jedoch bereits seit Beginn der Ausbildung ( somit seit mehreren Jahren ) und waren auch vor dem Zusammenzug ein Paar.

Partnerschaftliche Verteilung der Hausarbeiten

Während des Zusammenlebens kümmerte sich hauptsächlich die Zeugin um die Wäsche. Die Aufgaben wurden auch partnerschaftlich verteilt.

Beide gaben in der Verhandlung an: Ja, wir sind ein Paar

Der Kaufvertrag für die Küche und auch der Mietvertrag wurde von beiden unterschrieben, was ein gemeinsames Wirtschaften erkennen lässt.

Leistungsbezieher wurde in die Versicherungen der Partnerin aufgenommen

Die Zeugin nahm den Kläger zur Absicherung in ihre bestehende Versicherungsverhältnisse auf, wie etwa Haftpflicht, Unfallversicherung, worin das Gericht gemeinsame Sorge und Verantwortung füreinander sah. In der Gesamtschau dieser Umstände ist das Bestehen einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft zu sehen.

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Denn:
Auch wenn die Partnerschaft erst seit kurzer Zeit bestand und auch das Lebensalter beider sehr jung war, ist es kennzeichnend für eine Bedarfsgemeinschaft, dass diese einen Anfang hat, während dessen man das Zusammenleben ausprobiert.

Ohne diese Phase handelte es sich gerade nicht um eine Partnerschaft, sondern um eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft, so das Gericht.

Partnerschaft auf Probe

So haben sich aber weder der Kläger noch die Zeugin verstanden. Vielmehr stand im Vordergrund, ein gemeinsames Zusammenleben und die Partnerschaft auszuprobieren. Die Leistungen waren aufgrund des Gesagten unter Zugrundelegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der gesamten Bedarfsgemeinschaft zu berechnen.

Anmerkung

Für das Paar ist es hier ganz dumm gelaufen, bei diesen Voraussetzungen ist natürlich klar, dass man sie als Bedarfsgemeinschaft sieht, weil

1. Schon vor der Antragstellung auf ALG II waren sie ein Paar – Partnerschaft auf Probe
2. Aufnahme des Partners in bestehende Versicherungsverhältnisse
3. Gemeinsames Unterzeichnen des Mietvertrages, gemeinsamer Kauf von Einrichtungsgegenständen, gemeinsame Unterschrift unter Kaufvertrag
4. Gemeinsame Erklärung vor Gericht: Jawohl wir sind ein Paar

Fazit:
Eigentlich ohne Worte, denn sie waren wohl ein Paar, zu mindestens nach diesen belastenden Aussagen. Was können Betroffene bei Vermutung einer Bedarfsgemeinschaft schon im 1. Jahr tun?

Eigentlich kurze und knackige Antwort, Sofort Widerspruch und Eilverfahren, denn sehr, sehr oft haben die Jobcenter eins vergessen:
Nämlich genau zu ermitteln und nicht nur zu vermuten, ohne aber Beweise zu haben!

Was Anderes gilt, wenn:
Die Vermutung der eheähnlichen Gemeinschaft erst bei einem über einjährigen Zusammenwohnen findet selbst in Eilverfahren keine Anwendung, wenn zB durch polizeiliche Ermittlungsergebnisse die besondere Nähe und Intensität einer eheähnlichen Beziehung belegt ist ( Rechtsprechung LSG Bayern ).

Noch ein Hinweis zu einem Urteil, weil es auch für die Antragsteller gar nicht gut lief: Auch dann, wenn Partner kürzer als ein Jahr zusammenleben, kann eine Bedarfsgemeinschaft angenommen werden, wenn besonders gewichtige Umstände die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft rechtfertigen, hier längere Vorbeziehung und Schwangerschaft ( SG Potsdam, Urteil vom 29. September 2023 – S 44 AS 675/21 – ).

Kritischer Beitrag von Rechtsanwalt Matthias Göbe, Berlin

Kürzung Bürgergeld unmittelbar nach dem Zusammenziehen mit dem Partner?! Zitat:

„In meiner Kanzlei erlebe ich häufig, dass die Jobcenter bereits beim erstmaligen Zusammenziehen von zwei Partnern in eine Wohnung von einer Bedarfsgemeinschaft der beiden Personen ausgehen, so dass jeder von ihnen nur noch 90 % der Regelleistung erhält und auch Einkommen und Vermögen wechselseitig angerechnet werden.

Diese Vorgehensweise ist jedoch in den meisten Fällen unzulässig, denn der Gesetzgeber billigt den Partnern quasi ein Jahr Probezeit zu, um herauszufinden, ob man bereit ist, wirklich für den Anderen auch finanziell Verantwortung zu übernehmen.

Erst nach einem Jahr des Zusammenwohnens müssen die Partner nachweisen, dass sich diese Verantwortung nicht entwickelt hat, etwa weil innerhalb der gemeinsamen Wohnung getrennt gewohnt wird und auch getrennt gewirtschaftet wird.

Innerhalb des ersten Jahres des Zusammenwohnens kann das Jobcenter somit nicht automatisch von einer Partnerschaft, die zu einer Bedarfsgemeinschaft führt, ausgehen, sondern nur in besonderen Fällen, wie etwa der Existenz eines gemeinsamen Kindes. „Quelle: www.anwalt.de”