Bürgergeld: Alleinerziehenden-Mehrbedarf auch für Schülerin die Zuhause wohnt

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Einer Alleinerziehenden darf nicht allein deshalb der Mehrbedarf für Alleinerziehende verwehrt werden, weil sie mit weiteren Familienangehörigen (Mutter, Schwester) unter einem Dach leben.

Ein Mehrbedarf für eine alleinerziehende Schülerin kommt auch für eine Hilfebedürftige unter 25 Jahren in Betracht, wenn sie mit einem minderjährigen Kind und einem eigenen Elternteil und Schwester zusammenlebt. So entschieden vom SG Leipzig, Urteil v. 18.05.2016 – S 22 AS 3350/12 –

Die Klägerin befand sich damals in der 9. Klasse, sie wurde schwanger und bekam einen Jungen. Sie lebte zusammen mit ihrer Mutter und Schwester in einer Mietwohnung.

Somit lebten in der Wohnung 2 Bedarfsgemeinschaften, die Klägerin mit Neugeborenem und die Mutter mit ihrer Schwester, hinsichtlich der Kosten der Unterkunft gab es keine Schwierigkeiten mit dem Jobcenter, aber mit dem Mehrbedarf für Alleinerziehende.

Das Jobcenter bewilligte von Anfang an keinen Mehrbedarf für Alleinerziehung, auch mehrere Widersprüche lehnte das Jobcenter ab, mit der Begründung: Sie sorge nicht allein für die Pflege und Erziehung ihres Sohnes. Während der Schulzeiten könne sie sich nicht um ihren Sohn kümmern.

Die Klägerin reichte Klage bei Gericht ein, mit der Begründung:

Ihr sind Leistungen nach § 21 Abs. 3 SGB II – also der Mehrbedarf für Alleinerziehung – zu bewilligen. Sie führe mit ihrem Sohn einen eigenen Haushalt und sei ausschließlich für die Sorge und Betreuung ihres Sohnes zuständig.

Die Betreuung durch die Mutter während des Schulunterrichtes unterscheide sich nicht von einer Fremdbetreuung, so die junge Mutter.

Die 22. Kammer des SG Leipzig folgte der Argumentation der Klägerin.

Unterstützung durch Familienangehörige

1. Ein Mehrbedarf für Alleinerziehende kommt auch für eine Hilfebedürftige unter 25 Jahren in Betracht, wenn sie mit einem minderjährigen Kind und einem eigenen Elternteil zusammenlebt.

2. Denn allein die Möglichkeit des Rückgriffs auf andere Personen oder Einrichtungen führt nicht zum Anspruchsausschluss des Mehrbedarfs für Alleinerziehung (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 23.8.2012 – B 4 AS 167/11 R – ).

Vergleich mit Fremdbetreuung ausschlaggebend

Eine nachhaltige Entlastung der Leistungsempfängerin durch die Betreuung ihres Sohnes in den Unterrichtszeiten durch ihre Mutter ist zwar nicht ausgeschlossen, aber das Argument der Klägerin zum Vergleich mit einer Fremdbetreuung war hier ausschlaggebend.

Denn die Mutter hätte ihren Sohn ab Vollendung dessen dritten Monats in den Unterrichtszeiten ebenso in einer Kindertagesstätte betreuen lassen können. Dies steht dem Mehrbedarf für Alleinerziehende nicht entgegen.

Schließlich waren die vom BSG sozialpolitischen und wirtschaftlichen Gründe für die pauschalierte Leistung für alleinerziehende Elternteile (vgl. BSG, Urteil vom 11.2.2015 – B 4 AS 26/14 R – ) zu beachten.

Anmerkung:

Das Urteil hat bis heute nicht an Gültigkeit verloren, was heißt, bei Anerkennung dies Mehrbedarfs gilt das Gesagte auch anstandslos beim Bürgergeld!

Was sagt uns das

Immer dann, wenn die Jobcenter den Mehrbedarf für Alleinerziehung ablehnen wegen Unterstützung der Geschwister oder der Familie, sind solche Urteile hilfreich.

Vermutungen des Jobcenters sind nicht immer richtig, Ihr müsst beweisen, dass euch der Mehrbedarf zu steht, aber auch das Jobcenter liegt in der Beweispflicht.

Maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall.

Ohne Einfluss auf den Anspruch auf Gewährung des Alleinerziehenden-Mehrbedarfs ist die Mitwirkung eines Dritten an der Pflege und Erziehung des Kindes nur dann, wenn sie so geringfügig ist, dass sie unwesentlich, d. h. unbeachtlich für die Gewährung des Mehrbedarfszuschlags ist.

Beispiele und Einzelfälle

Ältere Geschwister schließen Mehrbedarf nicht aus

Ältere Geschwister schließen die Gewährung des Mehrbedarfs in der Regel nicht aus (Gerichtsbescheid des SG Münster vom 1. März 2007, S 16 AS 199/06).

Es erscheint lebensfremd, dass Jugendliche sich plötzlich von einem Tag zum anderen derartig in die Pflege und Erziehung ihrer Geschwister einbinden lassen, nur weil sie das 18. Lebensjahr vollendet haben. Erfahrungsgemäß lassen sich Kinder nicht ohne weiteres von älteren Geschwister erziehen.

Pflegebedürftige Partner mit verschiedenen Merkzeichen wie G schließen den Mehrbedarf nicht aus

Durch die Hilfe eines Partners oder Ehemannes, bei dem Pflegestufe II festgestellt wurde und dem außerdem ein Grad der Behinderung von 100 sowie zusätzlich die Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ zuerkannt wurden, ist regelmäßig so unwesentlich, dass sie die Gewährung des Mehrbedarfszuschlags nicht ausschließt ( VG Bremen – S3 K 447/06 – Urteil vom 27.02.2008 – )

Krankheit und Schwerbehinderung des Partners

Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehend, wenn von einer nachhaltigen Entlastung bei der Betreuung der Kinder seitens des Lebensgefährten aufgrund von Krankheit und Schwerbehinderung nicht ausgegangen werden kann ( LSG NRW L 7 B 208/09 AS ER, rechtskräftig : in diesem Sinne auch SG Ulm, Urteil vom 14.07.2010 – S 8 AS 3142/09 -).

Inhaftierte Partner

Der Mehrbedarf gemäß § 21 Absatz 3 SGB II ist zu gewähren, sobald tatsächlich die Pflege und Erziehung durch den inhaftierten Partner nicht mehr möglich ist ( SG Trier, S 4 AS 239/12 ER ).

Zusammenziehen mit neuem Partner

Auch bei einem Zusammenziehen mit einem neuen Partner muss der Alleinstehendenregelsatz (100 %) und der Alleinerziehendenmehrbedarf gezahlt werden ( SG Konstanz S 4 AS 1904/12 ).

Geteilte Kinderbetreuung

Hälftiger Mehrbedarf für Alleinerziehende bei Abwechslung in der Betreuung – Teilen sich die Eltern die Kindesbetreuung im Wochenrhythmus, steht dem hilfebedürftigen Elternteil der hälftige Mehrbedarf für Alleinerziehende zu (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 50/07 R).