BSG: Polnische Mutter und 2-Jähriger Sohn haben Anspruch auf Bürgergeld

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Das Bundessozialgericht hat in einem aktuellen Urteil einer polnischer Mutter das Bürgergeld nach SGB II zugesprochen. Ebenfalls hat der 2-jährige Sohn Anspruch auf das Sozialgeld. Denn es besteht kein Leistungsausschluss vom Bürgergeld aufgrund der Rückausnahme des § 7 Absatz 1 Satz 4 SGB II, so die obersten Sozialrichter in Kassel.

EU-Bürger müssen für einen Anspruch auf Bürgergeld nicht nachweisen, dass sie sich lückenlos mindestens fünf Jahre in Deutschland ununterbrochen aufgehalten haben. Für den Nachweis eines gewöhnlichen Aufenthalts ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Aufenthalt rechtmäßig war.

Urteilsgründe

Die Polnische Staatsbürgerin kann sich auf die Rückausnahme eines fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts berufen, wonach sie bereits mehr als fünf Jahre ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte.

Wie der Senat inzwischen entschieden hat, setzt § 7 Absatz 1 Satz 4 SGB II keine durchgehende behördliche Meldung voraus (Urteil vom 20. September 2023 – B 4 AS 8/22 R -).

Es ist gerade nicht ausschlaggebend, ob die Klägerin sich auf die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit oder die Dienstleistungsfreiheit berufen konnte.

Denn ein gewöhnlicher Aufenthalt setzt nicht zwingend einen rechtmäßigen Aufenthalt voraus, so dass kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen bestimmten Aufenthaltsrechten und dabei in Anspruch genommenen Grundfreiheiten und der Beurteilung, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, besteht.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen erhalten EU-Bürger in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland kein Bürgergeld. Auch Ausländer, die sich im Rahmen ihres Aufenthaltsrechts allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, können die Leistung nicht beanspruchen.

Anders sieht dies aus, wenn sie längere Zeit erwerbstätig oder selbstständig tätig waren oder seit mindestens für fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben.

In dem entschiedenen Fall hatten eine Polin und ihr 2018 in Deutschland geborener Sohn geklagt. Die Frau war vom 20. April 2015 bis zum 7. September 2016 und dann wieder ab dem 7. Juli 2017 behördlich gemeldet. Bis Mitte 2017 war sie als Prostituierte tätig.

Als sie im Februar 2020 Arbeitslosengeld II, das heutige Bürgergeld, beantragte, bewilligte das Jobcenter Köln ihr und ihrem Sohn vorläufig Leistungen. Ab Dezember 2020 wurde die Fortzahlung jedoch eingestellt.

Die Frau habe sich als EU-Bürgerin allein zur Arbeitsuche in Deutschland aufgehalten. Damit sei sie vom Anspruch auf Arbeitslosengeld II ausgeschlossen. Auch habe sie ihre Tätigkeit im Dienstleistungsgewerbe nicht ordnungsgemäß angegeben.

Ihren Einwand, sie lebe seit mindestens fünf Jahren in Deutschland und habe allein deshalb einen Anspruch habe, wies das Jobcenter zurück. Es lägen Meldelücken vor, so dass ein fünfjähriger ununterbrochener gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland nicht nachgewiesen sei.

BSG: Lückenlose Behördenmeldung nicht zwingend erforderlich

Das BSG urteilte, dass die Frau dem Grunde nach Anspruch auf Hilfeleistungen des Jobcenters hat. Die Kasseler Richter verwiesen auf ein BSG-Urteil vom 20 September 2023, wonach EU-Bürger nach fünf Jahren gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland auch dann Anspruch auf das frühere Arbeitslosengeld II beziehungsweise das heutige Bürgergeld, haben können, auch wenn die Aufenthaltsmeldung bei den Behörden Lücken aufweise (Az.: B 4 AS 8/22 R, Urteilstag).

Hier habe die Klägerin, auch nach Befragung von Zeugen, belegen können, dass sie seit mindestens fünf Jahre ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe.

Ob sich die Klägerin bei der Ausübung ihres Gewerbe in Deutschland auf die Niederlassungsfreiheit berufen könne, sei dagegen nicht ausschlaggebend.

Sohn hat Anspruch auf Sozialgeld, weil er selbst nicht erwerbsfähig ist und mit seiner Mutter eine Bedarfsgemeinschaft bildet

Der zweijährige Sohn der polnischen Mutter hat einen Anspruch auf Sozialgeld gegen das Jobcenter, weil er als Nichterwerbsfähiger mit einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebte.

Die Regelung über den Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II findet auf ihn keine Anwendung, weil er weder selbst erwerbsfähig noch Familienangehöriger einer von Leistungen ausgeschlossenen Person war. Vom BSG vom gestrigen Tage entschieden BSG, Urt. v. 11.09.2024 – B 4 AS 12/23 R –