Schwerbehinderte Menschen genießen in Deutschland besonderen Schutz vor Kündigung. In bestimmten Fällen müssen sie ihre Schwerbehinderteneigenschaft nicht nachweisen, um diesen Schutz in Anspruch zu nehmen.
Dies ist der Fall, wenn die Schwerbehinderung offenkundig ist. Doch was bedeutet “offenkundig” in diesem Zusammenhang?
Der Begriff “offenkundig” impliziert, dass nicht nur das Vorliegen einer oder mehrerer Beeinträchtigungen offensichtlich sein muss, sondern auch, dass der Grad der Behinderung (GdB) auf mindestens 50 festgesetzt würde.
Dies bedeutet, dass die Beeinträchtigungen so erheblich sein müssen, dass sie für jedermann, auch ohne medizinische Vorbildung, als schwere Behinderung erkennbar sind.
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Welche Fristen müssen beachtet werden?
Im Fall eines 72-jährigen Geschäftsführers, der seinen Betrieb im April schloss und allen Mitarbeitern kündigte, wurde die Frage der Schwerbehinderung und des daraus resultierenden Kündigungsschutzes relevant.
Ein Mitarbeiter erhob Kündigungsschutzklage mit der Begründung, er sei schwerbehindert und die Kündigung somit ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam.
Das Gericht entschied jedoch, dass die Kündigung wirksam sei, da der Geschäftsführer nichts von der Schwerbehinderung des Mitarbeiters wusste und die Schwerbehinderung erst im Mai anerkannt wurde, einen Monat nach der Kündigung.
Der Kläger argumentierte, seine Schwerbehinderung sei offenkundig gewesen, doch das Gericht sah dies anders.
Warum war die Schwerbehinderung in diesem Fall nicht offenkundig?
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Koblenz und führte aus, dass die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung nicht offenkundig war.
Der Kläger konnte nicht darlegen, dass seine Beeinträchtigungen so erheblich waren, dass sie vom Arbeitgeber als schwere Behinderung erkannt werden konnten.
Die Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers – darunter Herzerkrankung, Nierenfunktionseinschränkung und andere – waren nicht offensichtlich genug, um ohne sozialmedizinische Vorbildung als schwere Behinderung wahrgenommen zu werden.
Unter welchen Umständen ist die Zustimmung des Integrationsamtes notwendig?
Ein Arbeitgeber muss vor der Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters die Zustimmung des Integrationsamtes einholen, sofern der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte greift.
Dieser Schutz gilt jedoch nur, wenn die Schwerbehinderung bereits anerkannt ist oder der Antrag auf Anerkennung spätestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt wurde.
In dem beschriebenen Fall erfolgte die Kündigung im April, die Anerkennung der Schwerbehinderung jedoch erst im Mai. Somit lag keine Verpflichtung zur Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes vor, da der besondere Kündigungsschutz zu diesem Zeitpunkt nicht wirksam war. (Az: 5 Sa 361/16)
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Ab wann gilt der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte und Gleichgestellte?
Der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte gilt nur, wenn die Schwerbehinderung im Zeitpunkt der Kündigung bereits nachgewiesen ist.
Das Bundesarbeitsgericht (u.a. Az: 2 AZR 217/06) hat in mehreren Urteilen klargestellt, dass der Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung spätestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt sein muss.
Fehlt dieser Nachweis und liegt keine Mitwirkung des Arbeitnehmers vor, besteht kein besonderer Kündigungsschutz.
Was bedeutet dies für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?
Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie rechtzeitig einen Antrag auf Anerkennung ihrer Schwerbehinderung stellen müssen, um den besonderen Kündigungsschutz zu genießen. Arbeitgeber hingegen müssen sich vergewissern, ob eine Schwerbehinderung vorliegt und ob die entsprechenden Fristen eingehalten wurden, bevor sie eine Kündigung aussprechen.
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