Bürgergeld: Mit diesen 5 Schritten wird es berechnet

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Die monatlichen Zahlungen des Bürgergeldes sollen im kommenden Jahr unverändert bleiben. Seit Monaten ist die Höhe dieser Sozialleistung umstritten. Doch wie genau wird das Bürgergeld eigentlich berechnet? Hier eine detaillierte Erklärung in fünf Schritten.

Schritt 1: Die Erhebung von Verbrauchsdaten

Alle fünf Jahre findet in Deutschland die umfassendste statistische Haushaltserhebung Europas statt: die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS). Dabei werden etwa 80.000 Haushalte zu ihren Ausgaben befragt. Viele dieser Haushalte führen über einen Zeitraum von drei Monaten ein detailliertes Haushaltsbuch, in dem sie alle Ausgaben exakt dokumentieren.

Diese umfangreiche Datensammlung ermöglicht es dem Staat, ein genaues Bild darüber zu erhalten, wofür Haushalte mit geringerem Einkommen ihr Geld ausgeben.

Insbesondere werden dabei die Konsumgewohnheiten von Haushalten mit niedrigem Einkommen analysiert, die kein Bürgergeld beziehen. Diese Haushalte bilden die sogenannte Referenzgruppe, die die unteren 15 bis 20 Prozent der Einkommenspyramide repräsentiert.

Der Grundgedanke dabei ist: Was diese Menschen für ihren Lebensunterhalt ausgeben, sollte auch einem Bürgergeld-Empfänger zur Verfügung stehen.

Die Daten aus der EVS dienen somit als Basis für die Berechnung des Bürgergeldes. Da die Erhebung und Auswertung dieser Daten zeitaufwändig ist, liegen die Ergebnisse erst über ein Jahr nach der Datensammlung vor.

Schritt 2: Definition des Regelbedarfs

Das Bürgergeld soll das “menschenwürdige Existenzminimum” sichern, ohne dabei großen finanziellen Spielraum zu gewähren. Daher entspricht der Betrag nicht exakt den durchschnittlichen Ausgaben der Referenzhaushalte.

Bestimmte Ausgabenposten werden bewusst ausgeschlossen. Dazu zählen unter anderem Ausgaben für Alkohol, Tabak, Glücksspiele, Haustiere, Pauschalreisen, Autofahrten sowie Schnittblumen und Zimmerpflanzen.

Im Bundesministerium für Arbeit und Soziales werden die Daten der EVS daher überprüft und um diese nicht zum Existenzminimum zählenden Posten bereinigt. Das Ergebnis dieses Bereinigungsprozesses ist der Regelbedarf. Dieser stellt den Betrag dar, der als notwendig erachtet wird, um ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Schritt 3: Das Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz

Im Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz legt der Bundestag genau fest, welche Ausgaben zum Regelbedarf gehören. In zwölf Kategorien wird detailliert aufgelistet, welche Posten im Bürgergeld enthalten sind. Für einen Einpersonenhaushalt ergeben sich daraus etwa rund 80 einzelne Positionen. Einige Beispiele dafür sind:

  • Nahrungsmittel: 134,90 Euro pro Monat
  • Schuhe: 2,42 Euro
  • Änderungen an Schuhen: 0,28 Euro
  • Eintrittsgelder für Kulturveranstaltungen: 4,87 Euro
  • Getränke: 12,90 Euro

Besonders bemerkenswert ist, dass durch das Herausrechnen von Alkohol aus der EVS-Datenbasis ein zusätzlicher Betrag für alkoholfreie Getränke berücksichtigt wird. So sind beispielsweise 3,13 Euro pro Monat für Mineralwasser vorgesehen.

Diese detaillierte Aufschlüsselung ergibt zusammen den Regelbedarf, der bei der letzten Festlegung im Jahr 2020 für einen Einpersonenhaushalt 434,96 Euro betrug. Dabei basiert das Gesetz auf den Daten der EVS von 2018.

Bürgergeld-Empfänger können selbst entscheiden, wie sie die einzelnen Beträge verwenden. Wenn sie an einer Stelle sparen, können sie das Geld für andere Bedürfnisse einsetzen, die nicht explizit im Regelbedarf enthalten sind.

Schritt 4: Die Basisfortschreibung zur Anpassung an die Inflation

Da die EVS nur alle fünf Jahre durchgeführt wird und sich die Lebenshaltungskosten in der Zwischenzeit verändern können, gibt es die Basisfortschreibung. Diese dient dazu, den Regelbedarf an die aktuelle Preisentwicklung anzupassen, insbesondere an die Inflation.

Hierfür wird eine spezielle Inflationsrate berechnet, die sich ausschließlich auf die im Regelbedarf enthaltenen Güter und Dienstleistungen bezieht. Dies ist notwendig, da die allgemeine Inflationsrate auch Preisentwicklungen berücksichtigt, die für Bürgergeld-Empfänger irrelevant sind, wie steigende Mieten oder Kraftstoffpreise.

Die Berechnung der Basisfortschreibung erfolgt zu 70 Prozent auf Basis der Preisentwicklung der regelbedarfsrelevanten Güter und zu 30 Prozent auf Basis der durchschnittlichen Lohn- und Gehaltsentwicklung.

Diese Mischung soll sicherstellen, dass sowohl die Preissteigerungen als auch die allgemeine Einkommensentwicklung in die Anpassung des Bürgergeldes einfließen.

Ein praktisches Beispiel: Für die Anpassung des Bürgergeldes zum Jahresbeginn 2024 wurden die Daten von Juli 2022 bis Juni 2023 herangezogen. Steigen die Preise nach diesem Zeitraum weiter, kann es passieren, dass die Anpassung hinter der tatsächlichen Preisentwicklung zurückbleibt.

Schritt 5: Die ergänzende Fortschreibung als Ausgleich für Verzögerungen

Um das Problem der Verzögerung bei der Berücksichtigung der Inflation zu mildern, gibt es die ergänzende Fortschreibung. Sie soll die Inflation des laufenden Jahres stärker in die Berechnung einbeziehen. Hierbei werden die Inflationsdaten der Monate April bis Juni des laufenden Jahres berücksichtigt.

Durch die ergänzende Fortschreibung wird versucht, die Verzögerung zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der Anpassung des Bürgergeldes zu reduzieren. Bei der Berechnung für das Jahr 2023 ergab sich beispielsweise eine Basisfortschreibung von 4,54 Prozent und eine ergänzende Fortschreibung von 6,9 Prozent.

Daraus resultierte eine Erhöhung des Bürgergeldes auf 502 Euro zum 1. Januar 2023. Ähnlich verlief die Anpassung für 2024, bei der das Bürgergeld auf 563 Euro erhöht wurde.

Kritische Diskussion um die Berechnungsmethode

Trotz des durchdachten Berechnungsprozesses steht die Höhe des Bürgergeldes in der Kritik. Sozialverbände wie der Paritätische Wohlfahrtsverband argumentieren, dass der aktuelle Betrag nicht ausreicht, um das Existenzminimum zu sichern. Sie fordern eine Anhebung auf mindestens 813 Euro pro Monat, vor allem aufgrund der stark gestiegenen Lebensmittelpreise.

Sozialwissenschaftler weisen auf das Phänomen der “verdeckten Armut” hin. Dabei handelt es sich um Menschen, die trotz Anspruch keine Sozialleistungen beantragen, oft aus Scham oder Unwissenheit. Diese Haushalte mit sehr geringem Einkommen senken den Durchschnitt der Referenzgruppe, was zu einem niedrigeren Regelbedarf führt.

Ein weiteres Problem ist, dass die Mietkosten nicht immer vollständig übernommen werden. Wenn die Miete als unangemessen hoch eingestuft wird, müssen Bürgergeld-Empfänger die Differenz aus dem Regelbedarf begleichen, was ihre finanzielle Situation zusätzlich belastet.

Auf der anderen Seite gibt es politische Stimmen, die das Bürgergeld als zu hoch ansehen. Einige Parteien kritisieren die ergänzende Fortschreibung und fordern eine Überprüfung oder sogar eine Kürzung der Leistungen. Sie argumentieren, dass die Inflation überschätzt wurde und das Bürgergeld dadurch unverhältnismäßig stark gestiegen sei.