Schwerhörige Menschen können nach zwei Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) von ihrer Krankenkasse leichter selbstbeschaffte Hörgeräte bezahlt bekommen, die über den üblichen Festbetrag liegen.
Danach dürfen Krankenkassen die Übernahme der Mehrkosten für ein Hörgerät, das den Festbetrag übersteigt, nicht wegen eines Hörzugewinns von unter zehn Prozent pauschal verweigern, urteilten die obersten Sozialrichter am Donnerstag, 12. Juni 2025, in Kassel (Az.: B 3 KR 13/23 R und B 3 KR 5/24 R).
Anspruch auf Hörgeräteversorgung über dem Festbetrag erleichtert
Nach der Rechtsprechung des BSG und der Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses haben schwerhörige gesetzlich Versicherte Anspruch auf eine Hörgeräteversorgung, „die nach dem Stand der Medizintechnik die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen gesunder Menschen erlaubt, soweit dies im Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil bietet“.
Die Hilfsmittel-Richtlinie sieht für die beidseitige Versorgung mit Hörhilfen den sogenannten Freiburger Einsilbertest vor, mit dem das Hörvermögen bestimmt wird.
Die Krankenkassen zahlen den Versicherten üblicherweise nur einen Festbetrag, der bei bis zu 750 Euro pro Hörgerät liegt – abhängig von der Krankenkasse und dem Grad der Hörbehinderung. Hörgeräte, die diesen Betrag übersteigen, werden nur ausnahmsweise vollständig bezahlt.
Hierfür müssen sie gegenüber den Festbetragshörgeräten im Alltag „erhebliche Gebrauchsvorteile“ aufweisen. Nach der bisherigen Praxis der Krankenkassen wurden die Mehrkosten nicht übernommen, wenn der Hörzugewinn des teureren Hörgeräts weniger als zehn Prozent beträgt.
In den ersten beiden Verfahren litt die eine Klägerin an einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit, der andere Kläger an einer mittelgradigen Schwerhörigkeit rechts und einer hochgradigen Schwerhörigkeit links. Beide verlangten die Versorgung mit Hörgeräten, deren Kosten den Festbetrag übersteigen. Im ersten Verfahren beliefen sich die Kosten für zwei Hörgeräte auf 5.660 Euro, von denen die Krankenkasse nur 1.500 Euro übernehmen wollte.
BSG: Jeder prozentuale Hörzugewinn bei Hörhilfen ist entscheidend
Der Freiburger Einsilbertest ergab bei beiden Klägern, dass die Hörgeräte nur zu einem Hörzugewinn von fünf Prozent führten. Damit konnten sie jedes zwanzigste Wort nicht verstehen.
Die Krankenkasse hielt den Hörzugewinn für viel zu gering. Eine volle Kostenübernahme sei nicht gerechtfertigt, da es keine objektiven Funktionsvorteile der Geräte gebe. Zudem kommunizierten die Versicherten auch nonverbal mit ihrer Mimik, mit der sie Verständigungsprobleme ausgleichen könnten.
Der von den Klägern subjektiv empfundene bessere Hörzugewinn gehe offenbar auf Komforteinstellungen der teureren Hörgeräte zurück, die die Krankenkasse nicht bezahlen muss.
Das BSG beanstandete jedoch, dass die Krankenkasse einen Hörzugewinn von fünf Prozent für unbeachtlich hielt. Jeder bei einem teureren Hörgerät gemessene prozentuale Hörzugewinn im Sprachverstehen – hier fünf Prozent – sei ein relevanter Hörvorteil, der einen Kostenerstattungsanspruch begründen könne. Hierfür müssen aber auch erhebliche Gebrauchsvorteile im Alltag vorliegen.
Neben dem Freiburger Einsilbertest könnte auch der in der Hilfsmittel-Richtlinie vorgesehene standardisierte APHAB-Fragebogen zur Bestimmung der Hörbehinderung Aufschluss über einen möglichen Hörzugewinn geben. Auch persönliche Aufzeichnungen des Versicherten, wie ein strukturiertes Hörtagebuch, können Hinweise auf einen Hörzugewinn durch ein über den Festbetrag hinausgehendes Hörgerät liefern.
Schließlich darf die Krankenkasse laut BSG die Kostenübernahme nicht einfach mit dem Verweis auf Komfortfunktionen ablehnen. Wenn die Digitalisierung und ein allgemeiner technischer Fortschritt bei Hörgeräten zu einem verbesserten Hörvermögen und einem erheblichen Gebrauchsvorteil führen, dürfen sich die Krankenkassen dem nicht verschließen.