Alleingesellschafter und Geschäftsführer beantragte Bürgergeld – Gericht sagt Nein

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Kein Bürgergeld für Alleingesellschafter und Geschäftsführer der GmbH bei zumutbarer Selbsthilfe. Denn:

1. Der nicht ausgeschüttete Gewinn einer GmbH kann dem Alleingesellschafter und Geschäftsführer nicht gem § 11 SGB II als Einkommen zugerechnet werden, wenn das Stammkapital nicht gesichert ist ( so auch LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.05.2023 – L 2 AS 128/23 B ER -).

2. Ein Alleingesellschafter und Geschäftsführer ist aber nicht hilfebedürftig im Sinne des Bürgergeldes, wenn er die Möglichkeit hat, sich ein Geschäftsführergehalt auszuzahlen und damit seine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden wird.

3. Hat der Geschäftsführer der GmbH mit der GmbH, deren alleiniger Gesellschafter er ist, einen Vertrag geschlossen, in welcher er auf die Auszahlung seines Geschäftsführergehalts verzichtet, und statt mit dem Gewinn seiner GmbH seinen Lebensunterhalt sicherzustellen, und nutzt er diesen, um das Vermögen eines Dritten (seiner GmbH) durch Einzahlung des Stammkapitals zu mehren, ist der Vertrag sittenwidrig und nichtig nach § 138 Abs. 1 BGB.

4. Die vom BSG entwickelten Grundsätze zu den – bereiten Mitteln – stehen dem nicht entgegen, denn der Antragsteller ist nur auf sich selbst – wenn auch im Gewandt seiner Alleingesellschafterstellung in der GmbH – angewiesen, um eine Gehaltszahlung zu veranlassen.

Damit besteht eine unmittelbare und direkte Möglichkeit, den Bedarf selbst zu decken (vgl. BSG Urteil vom 23.03.2021 – B 8 SO 2/20 R –; BSG Urteil vom 27.09.2011 – B 4 AS 202/10 R – ).

Das Subsidiaritätprinzip staatlicher Fürsorgeleistugen schließt einen Leistungsanspruch aus, wenn die Nutzung tatsächlich bestehender Möglichkeiten zur kurzfristigen Selbsthilfe unterbleiben ( so aktuell das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zum Bürgergeld – Orientierungssatz Detlef Brock )

Begründung des Gerichts

Zwar sind die Betriebseinnahmen der GmbH dem Antragsteller aktuell nicht wirtschaftlich zuzurechnen.

Dem steht aktuell entgegen, dass der Antragsteller nicht die erforderliche Verfügungsbefugnis innehat, weil bei Ausschüttung des Gewinns das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft (vgl. § 30 Abs. 1 GmbHG) unterschritten wird (vgl. zu dieser Konstellation: LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.05.2023 – L 2 AS 128/23 B ER – ).

Antragsteller hat die Möglichkeit sich ein Geschäftsführergehalt auszuzahlen

Es besteht aber die Möglichkeit des Antragstellers, sich ein Geschäftsführergehalt auszuzahlen. Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber den Gesellschaftern aus individualvertraglich begründeten Schuldverhältnissen sind bei der Unterbilanzierung zu passivieren und unterliegen deshalb auch nicht dem Ausschüttungsverbot nach § 30 GmbHG.

Vereinbarung mit der GmbH ist sittenwidrig

Der Antragsteller hat als Geschäftsführer der GmbH mit der GmbH, deren alleiniger Gesellschafter er ist, einen Vertrag geschlossen, in welcher er auf die Auszahlung seines Geschäftsführergehalts verzichtet. Statt mit dem Gewinn seiner GmbH seinen Lebensunterhalt sicherzustellen nutzt er diesen, um das Vermögen eines Dritten (seiner GmbH) durch Einzahlung des Stammkapitals zu mehren.

Diese Vereinbarung ist aber sittenwidrig und damit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig.

Gehaltsverzicht zu Lasten des Jobcenters

Der von dem Antragsteller vereinbarte Gehaltsverzicht dient alleine dem Zweck, einen erhöhten Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach dem SGB II zu begründen und das Vermögen der GmbH zu mehren. Denn dieser Vertrag läuft objektiv zwangsläufig auf eine Belastung des Jobcenters hinaus.

Eine solche Vereinbarung verstößt, auch ohne dass ihr eine Schädigungsabsicht gegenüber dem Grundsicherungsträger zugrunde liegen muss, nach ihrem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter gegen die guten Sitten.

§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB 2

Derjenige, der sich aus eigener Kraft zu helfen in der Lage ist, muss mit seinen Wünschen nach staatlicher Hilfe zurücktreten.

Die Pflicht, einen Verlust, dessen Ersatz die Gemeinschaft zu tragen hat, selbst zu mildern, soweit das zumutbar ist, ist Ausfluß des Prinzips der Sozialstaatlichkeit (BVerfG Urteil vom 24.07.1963 – 1 BvL 101/58 – ).

Zumutbare Selbsthilfe muss Verpflichtung des Antragstellers sein

Zur Selbsthilfe gehört auch, dass der Hilfebedarf nicht durch Unterlassen der Ausübung von Gestaltungsrechten erhöht wird. Der Antragsteller alleine hat es in der Hand und ist auch materiellrechtlich verpflichtet, den Vertrag mit der GmbH anzupassen und sich ein Gehalt auszuzahlen, das seinen Lebensunterhalt deckt, statt die Allgemeinheit zu belasten.

Die vom BSG entwickelten Grundsätze zu den – bereiten Mitteln – stehen dem nicht entgegen
Steht einem Hilfesuchenden ein Anspruch gegen einen Dritten zu, wird dieser jedoch – aus welchen Gründen auch immer – nicht realisiert, kann er also zur Deckung des Bedarfs tatsächlich nicht eingesetzt werden, so fehlt es an „bereiten Mitteln“, die der Hilfebedürftigkeit entgegenstünden (vgl. G. Becker in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, § 5 Rn. 28 ff.).

Dies ist hier aber nicht der Fall, denn: Der Antragsteller ist nur auf sich selbst – wenn auch im Gewandt seiner Alleingesellschafterstellung in der GmbH – angewiesen, um eine Gehaltszahlung zu veranlassen.

Damit besteht eine unmittelbare und direkte Möglichkeit, den Bedarf selbst zu decken (vgl. BSG Urteil vom 23.03.2021 – B 8 SO 2/20 R –; BSG Urteil vom 27.09.2011 – B 4 AS 202/10 R – ).

Das Subsidiaritätprinzip staatlicher Fürsorgeleistugen schließt einen Leistungsanspruch aus, wenn die Nutzung tatsächlich bestehender Möglichkeiten zur kurzfristigen Selbsthilfe unterbleiben.

Antragsteller hat auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht

Denn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren finden auch solche Mittel Berücksichtigung, deren Inanspruchnahme im Rahmen der materiellen Prüfung des Anspruchs nicht eingefordert werden kann, die dem Antragsteller aber tatsächlich zur Beseitigung der Notlage zur Verfügung stehen.

Zum anderen ist anerkannt, dass zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache auch in Verfahren wegen existenzsichernder Leistungen beim Erlass einstweiliger Anordnungen ein Abschlag vorgenommen werden kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – ; Sächsisches LSG Beschluss vom 28.03.2022 – L 6 AS 86/22 B ER – ).

Die hier möglicherweise bestehende Bedarfsunterdeckung ab Juni 2024 beträgt lediglich 20 % und rechtfertigt insofern nicht den Erlass einer einstweiligen Anordnung.