Wohngeld-Nachzahlungen bringen Bürgergeld-Bezieher in Bedrängnis

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Durch die Wohngeldreform hat sich der Kreis der Anspruchsberechtigten deutlich erweitert. Was bereits zu Beginn des Jahres befürchtet wurde, hat sich nun bestätigt: Die Bearbeitungszeiten für Wohngeldanträge sind oft lang, was zu hohen Wohngeldnachzahlungen führt. Wer zur Überbrückung der oft mehrmonatigen Bearbeitungszeit Wohngeld beantragen musste, gerät nun in finanzielle Bedrängnis.

Hohe Nachzahlung von Wohngeld ist doppelter Nachteil

Wohngeldnachzahlungen entstehen, wenn Wohngeldanträge erst verspätet bewilligt werden und Zahlungen für vergangene Monate nachgeholt werden. Was auf den ersten Blick wie eine gute Nachricht für die Betroffenen aussieht, kann sich schnell als doppelter Nachteil erweisen.

Ein Beispiel: Familie R. hat einen monatlichen Wohngeldanspruch von 600 Euro. Sie stellt den Wohngeldantrag bereits Anfang des Jahres, die Bewilligung verzögert sich jedoch bis Dezember. In der Zwischenzeit ist die Familie auf Bürgergeld angewiesen, das sie seit November erhält.

Im Dezember 2023 erhalten sie schließlich die erfreuliche Nachricht, dass ihr Wohngeldantrag bewilligt wurde. Allerdings kommt die Wohngeldnachzahlung für die Monate Januar bis Oktober 2023 in Höhe von insgesamt 6.000 Euro. Das Jobcenter entscheidet, diesen Einkommenszufluss ab Januar 2024 gleichmäßig auf sechs Monate zu verteilen und als Einkommen anzurechnen.

Dabei ist es unerheblich, dass sich der Wohngeldanspruch auf einen Zeitraum bezieht, in dem kein Bürgergeld bezogen wurde. Das bedeutet, dass das nachgezahlte Wohngeld nun das Bürgergeld mindert. Es entsteht eine Situation, in der das Jobcenter indirekt das Wohngeld erhält, da es die Einkommensanrechnung vornimmt.

Anrechnung nach dem Zuflussprinzip

Das Problem liegt in der Anrechnung der Wohngeldnachzahlung auf das Bürgergeld. Das Zuflussprinzip des § 11 SGB besagt, dass Einkommen im Monat des Zuflusses auf das Bürgergeld angerechnet wird.

Bei Wohngeldnachzahlungen wird diese Anrechnung sogar auf sechs Monate verteilt. Das bedeutet, dass Leistungsberechtigte, die bereits Bürgergeld oder andere Sozialleistungen beziehen, in den folgenden sechs Monaten weniger Unterstützung erhalten, um die Wohngeldnachzahlung auszugleichen. Dies führt zu einem deutlichen Ungleichgewicht und widerspricht dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Betroffener.

Bundessozialgericht: Anrechnung auf das SGB II rechtmäßig

Obwohl das Bundessozialgericht die Anrechnung von Wohngeldnachzahlungen auf das SGB II für rechtmäßig erachtet hat, wird diese Entscheidung von vielen Sozialrechtsexperten als rechtlich fragwürdig angesehen.

Besonders kritisch ist, dass im Zeitraum des Wohngeldbezuges keine weiteren Leistungen des Bürgergeldes erbracht wurden. Damit werden die Nachzahlungen ohne erkennbare Rechtfertigung doppelt angerechnet.

Der Sozialrechtsexperte Bernd Eckhardt von “Sozialrecht-Justament” weist darauf hin, dass bei anderen Sozialleistungen wie Asylbewerberleistungen, Sozialhilfe und Kinderzuschlag Nachzahlungen im SGB II nicht angerechnet werden. Diese Leistungen entstammten dem gleichen System der Existenzsicherung wie das Bürgergeld und würden daher nicht als Einkommen angerechnet. Eine ähnliche Regelung müsse daher auch für das BAföG gelten, das ebenfalls zur Existenzsicherung junger Menschen beitrage.

Lösung: Anrechnungsfreiheit von Wohngeldnachzahlungen in die Bürgergeldverordnung aufnehmen

Eine Lösung dieses Problems könnte laut Eckhardt darin bestehen, die Anrechnungsfreiheit von Wohngeldnachzahlungen in der Bürgergeldverordnung festzuschreiben. Das würde bedeuten, dass diese Nachzahlungen bei der Berechnung der Sozialleistungen nicht als Einkommen berücksichtigt werden.

Dies würde nicht nur die Betroffenen finanziell entlasten, sondern auch zu einer gerechteren Ausgestaltung des Sozialleistungssystems beitragen.

Die Umsetzung einer solchen Regelung würde keine zusätzlichen Kosten verursachen, die nicht ohnehin durch eine ordnungsgemäße und zeitnahe Bearbeitung der Wohngeldanträge entstehen würden.

Wohngeldstellen unterstützen Vorschlag

Es ist bekannt, dass dieser Vorschlag von den Leiter/innen der Wohngeldstellen unterstützt wird, so der Sozialrechtsexperte. Eine analoge Regelung sollte auch für das SGB XII entwickelt werden, um die Gerechtigkeitslücke im gesamten Sozialleistungssystem zu schließen.

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