Jobcenter laden jetzt vermehrt Bürgergeld-Bezieher zu Sammelveranstaltungen ein

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Immer mehr Bürgergeld-Leistungsberechtigte erhalten zurzeit Post vom Jobcenter, in der sie nicht zu einem Einzelgespräch, sondern zu einer „Sammelinformationsveranstaltung“ mit mehreren Zeitarbeitsfirmen geladen werden.

Wer schon vor der Umstellung von Hartz IV auf Bürgergeld im Januar 2023 in der Grundsicherung war, fühlt sich an frühere Massentermine erinnert, bei denen Betroffene Schlange standen, kurz beraten wurden und anschließend direkt Lebensläufe an Personaldienstleister abgeben sollten.

Die Terminform hat sich verändert, der Vermittlungsdruck ist geblieben: 2024 verhängten die Jobcenter laut Bundesagentur für Arbeit so viele Kürzungen wegen Pflichtverstößen wie seit Jahren nicht mehr, auch wenn insgesamt nur eine kleine Minderheit der Bürgergeldbeziehenden betroffen war.

Jobmesse oder Meldezweck? Ein schmaler Grat

Ob eine Einladung verbindlich ist, hängt entscheidend davon ab, ob sie einen Meldezweck nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III erfüllt. In den entsprechenden Fachlichen Weisungen der Bundesagentur heißt es ausdrücklich, dass eine Meldung nicht zwingend in den Diensträumen des Jobcenters stattfinden muss.

Auch Gruppenveranstaltungen an externen Orten gelten als zulässig, sofern dort „ein gesetzlicher Meldezweck“ verfolgt wird und Jobcenter‐Beschäftigte federführend auftreten.

Jobmessen, bei denen Arbeitssuchende lediglich „durchmarschieren“ und Arbeitgeber­ständen einen kurzen Besuch abstatten, erfüllen nach mehreren Urteilen der Sozialgerichte diesen Meldezweck nicht.

Ein Beispiel ist das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts von 2016: Dort bestätigten die Richter zwar eine Meldepflicht für den Besuch einer von der Agentur organisierten Messe, betonten aber, entscheidend sei die persönliche Kontaktaufnahme am Stand des Jobcenters, nicht der Rundgang über das übrige Messegelände.

Wie Jobcenter gerichtliche Hürden umschiffen

Rechtlich bewegen sich die Behörden also auf einer schmalen Linie. Um die Rechtsprechung zu umgehen, werden reine Jobmessen seit einigen Jahren als „Sammelinformationsveranstaltungen“ deklariert.

Sie finden oft in externen Sälen statt, doch in der Einladung ist das Jobcenter als Veranstalter aufgeführt, und mindestens eine Vermittlungsfachkraft steht sichtbar bereit.

In der Praxis reichen diese formalen Anpassungen, um Meldezweck und Rechtsfolgenbelehrung auf das Schreiben zu setzen – auch wenn der Ablauf sich kaum von klassischen Jobmessen unterscheidet.

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Wenn die Einladung fehlt: Beweislast beim Amt

Seit April 2025 liegt zudem ein Urteil des Landessozialgerichts Sachsen vor, das die Beweislast bei angeblich nicht zugestellten Einladungen klärt. Bestreitet eine leistungsberechtigte Person den Zugang, muss das Jobcenter den fristgerechten Zugang nach­weisen, andernfalls ist eine Leistungsminderung unzulässig.

Damit wächst der Druck, Einladungen per nachverfolgbarem Verfahren zuzustellen – ein Aufwand, den nicht alle Häuser betreiben.

Sanktionsrisiken und Statistik

Wer einer rechtmäßig zugestellten Einladung ohne wichtigen Grund fernbleibt, riskiert eine Kürzung von zunächst zehn Prozent des Regelsatzes.

Mit Einführung schärferer Sanktionsoptionen im Frühjahr 2024 können Kürzungen bei wiederholten Pflichtverletzungen bis zur vollständigen Streichung des Regelbedarfs für zwei Monate reichen; Unterkunfts­kosten bleiben dabei unangetastet.

Obwohl die Zahl der Leistungsminderungen 2024 spürbar stieg, blieb die Sanktionsquote mit unter einem Prozent weit von den Spitzenwerten der Hartz-IV-Jahre entfernt.

Erfahrungsberichte

In Foren schildern Betroffene sehr unterschiedliche Erfahrungen. Manche ignorieren Einladungen bewusst und berichten, dass keine Sanktion folgte – möglicherweise, weil die Veranstaltung juristisch angreifbar war oder das Jobcenter den Zugang nicht belegen konnte.

Andere gehen hin, lassen ihre Anwesenheit abstempeln und verlassen den Saal, sobald die Formalie erledigt ist.

Wieder andere nutzen das Zusammentreffen, um Mitsuchenden Flyer mit Rechtstipps zu verteilen. Solche Aktionen sind grundsätzlich nicht sanktionierbar, solange sie friedlich bleiben und keine Hausordnung verletzen.

Recht auf Beistand und andere Schutzmechanismen

Jede und jeder Eingeladene darf nach § 13 Abs. 4 SGB X eine Begleitperson („Beistand“) mitbringen. Es empfiehlt sich außerdem, sich die Teilnahme schriftlich bestätigen zu lassen – etwa durch Stempel auf der Einladung oder eine Besuchs­bescheinigung.

Wer erkrankt ist, meldet sich mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab; die Fachlichen Weisungen erkennen dies in der Regel als wichtigen Grund an.

Kritik an Zeitarbeit

Zeitarbeit bleibt das dominierende Thema solcher Veranstaltungen. 2023 arbeiteten laut Bundes­agentur im Jahresdurchschnitt 796 000 Menschen in der Arbeitnehmerüberlassung – ein Rückgang von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr, aber weiterhin die größte Einzelbranche unter den Vermittlungsangeboten der Jobcenter.

Statistik der Bundesagentur für Arbeit

Gewerkschaften und Sozialverbände kritisieren seit Jahren, dass Temp-Jobs seltener aus der Bedürftigkeit herausführen, weil Entgelte häufig unter Tarif liegen und Beschäftigungsverhältnisse kurz sind.

Das Bundes­arbeitsministerium verweist dagegen auf die Brückenfunktion von Leiharbeit in reguläre Stellen.