Warum Stern TV Hartz IV falsch berechnet

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Hartz IV: Wie viel Geld braucht eine Familie wirklich?

In seiner Sendung "sternTV" vom 28 Oktober 2009 berichtete Günther Jauch, dass eine werktätige Familie ohne ALG II gerade mal 150 EUR mehr zur Verfügung hat, als wenn sie nicht arbeiten würde und ALG II bekäme. Siehe auch online bei Stern TV.

Hat eine werktätige Familie nur 150 Euro mehr zur Verfügung, wie in der Stern TV Sendung berichtet? Wir rechneten nach:

Bei Stern TV wurde bewusst falsch gerechnet, um dieses offenbar vorbestellte Ergebnis zu erzielen. Bei der Vergleichsberechnung des ALG II für Familie Igert wurde die Sozialleistung "Stromgeld" in Höhe von 100€ mit einberechnet, die es bei ALG II aber gar nicht gibt. So kommt man auf einen um 100 EUR höheren ALG II-Anspruch und eine Differenz von nur 150 EUR, statt der tatsächlichen Differenz von 250 EUR zwischen ALG II-Bezug und Einkommen.

Stromgeld (Haushaltstrom) ist tatsächlich in Höhe eines Pauschalbetrages von aktuell 15,84 EUR im Eckregelsatz enthalten und muss aus der Regelleistung bezahlt werden. Es gibt beim ALG II kein Stromgeld zusätzlich, dass wissen auch Herr Jauch und sein Team, wenn sie ordentlich recherchiert haben, wovon auszugehen ist.

Was dort ebenfalls nicht gesagt wurde, ist, dass auch die arbeitende Familie Igert hier aufgrund ihres geringen Einkommens Anspruch auf ergänzendes ALG II, zumindest aber auf Kinderzuschlag und/oder Wohngeld hätte, was die Differenz zum ALG II noch weiter vergrößern und die Familie finanziell noch besser stellen würde.

Herr Igert bekommt 1200 EUR Netto, ca. 1700 EUR Brutto. Damit bekommt er bei der Anrechnung seines Einkommens beim ALG II den dort möglichen Maximalfreibetrag von 310€, verbleiben 890 EUR auf ALG II anrechenbares Einkommen. Frau Igert bekommt 400 EUR Netto = Brutto, sie erhält damit einen Freibetrag von 160 EUR bei der Anrechnung ihres Einkommens beim ALG II, verbleiben 240 EUR auf ALG II anrechenbares Einkommen.

Hinzu kommen 2x Kindergeld von 164 EUR für die beiden Kinder der Familie, welches beim jeweiligen minderjährigen Kind voll angerechnet wird, macht insgesamt 1458 EUR beim ALG II anrechenbares Einkommen. Demgegenüber stehen: 323€ Regelsatz Herr Igert + 323 EUR Regelsatz Frau Igert + 251 EUR Regelsatz Kind 1 + 251€ Regelsatz Kind 2 + 530 EUR Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II = 1678 EUR, d.h. der ALG II-Bedarf der Familie Igert beträgt 1678€ pro Monat.

Damit hätte die Familie Anspruch auf: 1678 EUR – 1458 EUR = 220 EUR ergänzendes ALG II, resp. Kinderzuschlag und/oder Wohngeld. Insgesamt hätte die Familie damit: 1200 EUR Netto Herr Igert + 400 EUR Netto Frau Igert + 164 EUR Kindergeld Kind 1 + 164 EUR Kindergeld Kind 2 + 220 EUR ergänzende Sozialleistungen = 2148 EUR zur Verfügung. Nur weil die Familie Igert keine ergänzenden Sozialleistungen beantragt, die ihr aber zustehen würde, hat sie nur 1928 EUR pro Monat zur Verfügung.

Die selbe Familie ohne Einkommen hätte dagegen nur 1678 EUR ALG II zur Verfügung, also tatsächlich 250 EUR weniger. Das war aber offensichtlich viel zu viel, deshalb rechnete man der arbeitlosen ALG II-Familie noch 100 EUR an zusätzlicher Sozialleistung "Stromgeld" hinzu, die es beim ALG II aber gar nicht gibt. Egal, denn wer weis das schon.

Würde Familie Igert die ihnen, aufgrund ihres geringen Einkommens, zustehenden ergänzenden Sozialleistungen beziehen, würde sich die Differenz der Erwerbstätigen gegenüber der Arbeitslosen Familie sogar auf über 400€ erhöhen, was dem offensichtlichen Ziel dieser Sendung gar nicht dienlich wäre, weshalb Herr Jauch und sein Team den Anspruch der Familie Igert auf ihnen zustehende ergänzende Sozialleistungen einfach verschweigt.

Diese Sendung war ausdrücklich angelegt als Bewertung zum derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht laufenden Grundsatzverfahren zur Grundsicherungspflicht des Staates und der Regelsatzhöhe des ALG II, Zitat "sternTV":
"Seit letzter Woche prüft das Bundesverfassungsgericht den Hartz-IV-Regelsatz für Kinder. Geklagt hat unter anderem eine Familie aus Dortmund. Sohn Tobi ist neun und hat Anspruch auf 251 Euro im Monat. Zu wenig, finden die Eltern. Haben sie Recht?"

Dazu wurden von Herrn Jauch und seinem Team bewusst zu falsche Angaben zur Höhe des ALG II-Anspruches und Existenz der Sozialleistung "Stromgeld" gemacht, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, nämlich dass es Erwerbstätigen kaum besser geht, als arbeitslosen ALG II Empfängern. SternTV wurde hier als öffentlich meinungsbildendes machtpolitisches Instrument, gegensteuernd zum aktuellen und akuten Problem, welches die Hartz IV Befürworter mit dem BVerfG haben, benutzt. Oder anderst ausgedrückt: der Zuschauer wurde bewusst belogen, um ihn gegen ALG II und deren Bezieher aufzubringen und voreinzunehmen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass stern-tv zu gruner+jahr gehört, die wiederum zum Bertelsmann Konzern gehören. Vox gehört RTL und RTL wiederung Bertelsmann. Der Aufsichtsrat der Bertelsmann AG, wo alle Fäden zusammen laufen, liest sich wie das "who is who" des oberen Dutzend der deutschen Wirtschaft.

In diesem Zusammenhang ist es auch interessant zu wissen, dass Günther Jauch in Berlin die die "Arche e. V." (Ein Verein der evangelischen Freikirche) unterstützt, welche u.a. eine Suppenküchen für bedürftige Kinder betreibt, die allerdings für ihr Essen zuvor beten und Gott kennenlernen müssen (Initiative "Pro Reli"). Außerdem ist die Arche e.V. gegen eine Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze, auch der für Kinder. Stattdessen soll das Geld u.a. zur Unterstützung des Religionsunterrichts ausgegeben werden. Vielleicht ist die Sendung ja in diesem Zusammenhang zu verstehen?" (29.10.2009)