Die Tage des Bürgergelds scheinen gezählt zu sein. Seitdem Union und SPD in Sondierungsgesprächen eine mögliche Große Koalition ausloten, mehren sich die Hinweise, dass die Bürgergeld-Reformen beendet werden.
Im Kern stand beim Bürgergeld das Versprechen, Beziehende und Jobcenter stärker auf Augenhöhe zu bringen und eine modernere, digitalere Verwaltung umzusetzen. Nun jedoch deuten erste Verhandlungsergebnisse darauf hin, dass wieder stärker auf Druck von oben gesetzt wird – ganz so, wie es CDU und CSU schon lange fordern.
Bürgergeld war nie eine richtige Reform
Von Anfang an war das Bürgergeld Gegenstand hitziger Debatten. Die Kritik entzündete sich nicht nur an der Höhe der Regelsätze, sondern auch am Konzept, wie stark Sanktionen gegen Arbeitsuchende verhängt werden dürfen.
Als „Fördern und Fordern“ einst in die Hartz-IV-Gesetze Einzug hielt, regte sich Widerstand vor allem an den strengen Sanktionen, die damals sogar zum vollständigen Entzug der Leistungen führen konnten.
Mit dem Bürgergeld sollte dieser Ansatz entschärft und den Beziehenden mehr Spielraum eingeräumt werden. Allerdings war vielen Stimmen in der Union der Name „Bürgergeld“ von Beginn an ein Dorn im Auge, weil er mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens in Verbindung gebracht wurde. Die CDU tritt dafür ein, das System nun zu einer „Grundsicherung“ umzubauen und damit signalhaft eine Distanz zur Ampel-Politik zu schaffen.
Harte Sanktionen geplant
Obgleich sich die genaue Ausgestaltung noch in den Koalitionsverhandlungen klären muss, zeichnen sich bereits Punkte ab, die bei vielen Betroffenen Besorgnis auslösen. Vor allem die harte Sanktionspraxis sorgt für Unruhe.
Laut den jüngsten Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz soll bei mehrfacher Verweigerung einer zumutbaren Arbeit ein vollständiger Leistungsentzug erfolgen. Überraschend ist, dass auch SPD-Chef Lars Klingbeil inzwischen in diese Richtung argumentiert, was vor einigen Wochen noch undenkbar schien.
Zwar fehlt es bislang an konkreten Details, ob die 100-Prozent-Sanktionen nur den Regelsatz oder auch die Wohnkosten betreffen, doch die politische Stoßrichtung ist klar: Wer sich laut den Vorstellungen der Union und nun offenbar auch Teilen der SPD konsequent einer Jobaufnahme entzieht, soll künftig mit einem empfindlichen Leistungsentzug rechnen müssen.
Warum gerät der Ansatz der Ampel zur „Augenhöhe“ ins Hintertreffen?
Das Bürgergeld wurde einst als hart erkämpfter Kompromiss der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP angepriesen, der nach umfassenden Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien zustande kam.
Ziel war, das System gerechter, digitaler und bürokratieärmer zu machen, damit es bei den Menschen wirksam ankommt. Insbesondere sollten Zwänge und starre Vorschriften zurückgefahren werden. Doch angesichts des Sparzwangs und neuer Machtverhältnisse in der sich anbahnenden Großen Koalition gewinnt erneut die Idee von „Fördern und Fordern“ an Bedeutung.
Wobei „Fordern“ hier laut den Plänen offenbar starkes Gewicht erhält. Es ist abzusehen, dass damit viele Errungenschaften des Bürgergelds rückgängig gemacht werden. Unterstützungsangebote für Qualifizierung und Weiterbildung sollen zwar nicht völlig gestrichen werden, aber die Ausrichtung ist wieder stärker auf die Sofortvermittlung in den Arbeitsmarkt zugeschnitten.
Welche Folgen haben die Sparmaßnahmen für die Betroffenen?
Die Frage nach den Konsequenzen für die Empfängerinnen und Empfänger ist derzeit nur schwer zu beantworten. Union und SPD haben bereits angekündigt, verschiedene Sozialleistungen wie Wohngeld und Kinderzuschlag stärker aufeinander abzustimmen und dafür digitale Verfahren zu nutzen.
Hinter dieser Ankündigung verbergen sich oftmals Einsparungsmaßnahmen oder Umverteilungen, die Empfängerinnen und Empfängern nicht zwingend zugutekommen werden. Gerade weil die Details noch ausgehandelt werden, bleiben viele Aspekte unklar. Fakt ist jedoch: Wer am Ende des Verhandlungstisches sitzt, wird versuchen, die Kosten des Sozialbudgets zu reduzieren. Kritikerinnen und Kritiker befürchten, dass dieses Ziel höher priorisiert wird als die Existenzsicherung der Betroffenen.
Bereits bei den Hartz-IV-Reformen entzündete sich die gesellschaftliche Debatte um die Zumutbarkeit von Arbeit, strikte Kontrollen und hohe Sanktionen. Die Erfahrungen aus jener Zeit haben gezeigt, wie weit die Ansichten darüber auseinanderliegen, ob strenge Vorgaben wirklich zu mehr Erwerbsarbeit führen oder ob sie lediglich Existenzen gefährden.
Viele Verbände und Initiativen hatten sich vom Bürgergeld eine Abkehr von dieser harten Linie erhofft und zumindest kleine Erfolge erzielt. Dass nun wieder auf umfassende Leistungsminderungen gesetzt wird, weckt Erinnerungen an die umstrittenen Jahre nach Einführung von Hartz IV, als die Debatte um soziale Gerechtigkeit das Land spaltete.
Das Bürgergeld betrifft weit mehr Menschen, als die reinen Empfängerzahlen vermuten lassen. Gerade in Krisenzeiten oder bei sozialen Umbrüchen sind viele Haushalte darauf angewiesen, wenn beispielsweise ein Jobverlust droht oder befristete Arbeitsverträge auslaufen. Deshalb ist es für die gesamte Gesellschaft relevant, wie das künftige System der Grundsicherung gestaltet wird.
Ein hoher Sanktionsdruck kann schnell ganze Familien in bedrohliche Lagen bringen, wenn der Lebensunterhalt nicht mehr gesichert ist. Ebenso hängt daran, ob Menschen, die sich in einer schwierigen Situation befinden, Zugang zu Qualifikations- und Weiterbildungsmaßnahmen erhalten, die langfristig ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
Wie gehts weiter?
Noch liegen keine endgültigen Beschlüsse vor, und die Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD können letztlich auch zu Kompromissen führen, die weniger hart ausfallen als befürchtet. Doch die Richtung ist absehbar: Die CDU will sich von der Idee des „Bürgergelds“ nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich distanzieren, um das eigene Profil zu stärken.
Eine neue „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ könnte daher in vielerlei Hinsicht an die alten Muster anknüpfen, die schon mit Hartz IV für Debatten sorgten. Die viel beschriebene Rückkehr zum „Vermittlungsvorrang“ unterstreicht das Bestreben, Menschen möglichst rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wer hier nicht mitziehen will oder kann, muss offenbar mit empfindlichen Kürzungen rechnen.
Trotz der vagen Informationslage lohnt es sich für die Betroffenen, ihren aktuellen Bürgergeld-Bescheid genau im Blick zu behalten und im Zweifel von Fachleuten prüfen zu lassen. Schließlich ist es noch nicht klar, wann und in welcher Form die neuen Regelungen in Kraft treten.
Aufgrund der politischen DVeränderungen kann es sein, dass neue Bestimmungen schon bald verabschiedet werden – möglicherweise früher als viele erwarten. Auch wenn es schwerfällt, den Durchblick in einem komplexen Regelwerk zu behalten, ist es gerade jetzt wichtig, sich durch neutrale Informationsangebote und Sozialberatungen abzusichern. Wer seine Rechte kennt, kann auf Änderungen besser reagieren.