Seit Einführung der Hartz-IV-Gesetze sind nach Angaben der Initiative “Opfer der Agenda 2010” rund 60 Menschen an den Folgen gestorben. Daran wird nach Ansicht der Initiatoren auch die Bürgergeldreform wenig ändern.
60 Kreuze für 60 Menschen
Seit gut 10 Jahren wird in Berlin regelmäßig der “Opfer der Agenda 2010” gedacht. Dazu stellt die Initiative einmal im Monat 60 Kreuze auf. Jedes Kreuz symbolisiert einen Todesfall im Zusammenhang mit den Hartz IV-Gesetzen.
Die Aktivisten dokumentieren alle Opfer und die Umstände, die zu ihrem Tod geführt haben. Alle 60 Menschen seien “Opfer des Sanktionsregimes und der Demütigungen durch das Jobcenter” geworden, erklärten Frigga Wendt und Michael Fielsch gegenüber der “Jungen Welt”.
Es gehe ihnen bei den Aktionen nicht explizit darum, auf sogenannte Einzelfälle aufmerksam zu machen, sondern auf den “Systemfehler” als solchen.
Häufig Suizide aus Hoffnungslosigkeit
Sehr viele dokumentierten Fälle seien Suizide von Menschen, die jede Perspektive, jede Hoffnung verloren hatten. “Sie waren verärgert darüber, wie das Amt mit ihnen umging, manche regelrecht empört oder tief verzweifelt. Jedenfalls sahen sie keinen Sinn mehr in ihrem Leben”, sagt Frigga Wendt.
Wohnungsbrände und Erfrieren
Andere seien beispielsweise bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen, weil sie Kerzen aufstellen mussten, weil der Strom abgestellt worden war. Ein Mann sei in einem Park erfroren, nachdem er aus seiner Wohnung geworfen wurde. “Ein anderer ist bei einer Zwangsräumung durchgedreht und aus dem Fenster gesprungen”, berichtet Michael Fielsch.
Oft sind Betroffene auch einfach verhungert, weil die Hartz-IV-Leistungen nicht gezahlt wurden oder das Essen nicht bis zum Monatsende reichte.
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Ein besonders tragischer Fall
Ein besonders schlimmer Fall, den die Initiative dokumentiert hat, ist die Geschichte eines jungen Mannes. Ihm wurde der Strom abgestellt und das Jobcenter half nicht. Als seine Kinder zu Besuch kamen, stellte er ein benzinbetriebenes Notstromaggregat auf. Die Abluft wurde jedoch nicht richtig abgeführt, so dass er sich und seine Kinder versehentlich vergaste.
Nicht nur Leistungsbeziehende gehören zu den Opfern, die durch die Aktion öffentlich gemacht werden. In einem Fall wurde ein Mitarbeiterin im Jobcenter von einem wütendem “Kunden” abgestochen und verstarb an den Folgen der Verletzungen.
Einige Menschen, die sich das Leben nahmen, haben zuvor auch Abschiedsbriefe geschrieben, in denen sie über ihre Wut auf das Jobcenter schrieben. Sie berichteten von der Verzweiflung und den Mühlen des Systems. “Diese Grundsicherungsbezieher oder prekär lebenden Menschen sind indirekt getötet worden. Das sind Opfer des Sanktionsregimes, der permanenten Demütigungen”, mahnt Wendt.
Vielen Menschen wird die Hilfe einfach verweigert
Vielen Leistungsbeziehenden wird das Recht auf Hilfe regelrecht verweigert, “egal, was sie dagegen machen, ob sie laut oder wütend werden – die Ursache ihrer Lage bleibt ausgeblendet.” So wird z.B. vom Jobcenter behauptet, die Anträge seien nicht korrekt gestellt worden oder die Betroffenen seien ihrer Mitwirkungspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen.
Die Jobcenter würden oft auf andere Leistungsbeziehende verweisen. Sie sagen, wenn die das hinbekommen, könnten es andere auch. “Wir wollen darauf hinweisen, dass das System diese Brutalität zulässt, wenn nicht sogar befördert. Das muss den Leuten bewusst werden. Menschen dürfen nicht weiter so miteinander umgehen”, erklärt die Initiatorin.
Das Bürgergeld hat kaum etwas daran verändert
Durch die Umbenennung von Hartz IV in Bürgergeld hat sich nach Ansicht der Initiative außer der Erhöhung der Regelsätze um 53 Euro nichts geändert. Trotz der Erhöhung seien die Regelleistungen angesichts der Lebenshaltungskosten viel zu niedrig. Die Anpassung kann “den Anstieg der Lebenshaltungskosten nicht ausgleichen”.
“Hartz IV hatte ein Imageproblem, deshalb wurde der Name geändert. Die Leistung wird aber weiter an sehr strenge Bedingungen geknüpft”, beklagt Michael Fielsch. Es werde weiter versucht, die Menschen in prekäre Beschäftigung zu drängen. “Das lehnen wir ab. Für uns ist dieses System falsch, weil wir meinen, das Existenzrecht sollte nicht an Arbeit oder Wohlverhalten geknüpft werden”, fordert Fielsch.
Nach einer kurzen Winterpause geht es weiter
Die Gruppe will ihre Aktionen – bis auf eine kurze Winterpause – weiter auf dem Berliner Leopoldplatz oder dem Ausweichplatz gegenüber vorm Jobcenter durchführen. Mitstreiter/innen seien herzlich willkommen.
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