Tore des Bosch-Siemens-Hausgerätewerks in Berlin-Spandau rund um die Uhr mit Streikposten besetzt
von Daniel Behruzi/ Junge Welt
Es ist 1.00 Uhr, in der Nacht zum Donnerstag. Normalerweise ist um diese Zeit am Tor des Bosch-Siemens-Hausgerätewerks (BSH) in Berlin-Spandau nichts los. Die Nachtschicht wurde vor drei Jahren gestrichen. Seither endet der Betrieb im Normalfall um 22.15 Uhr. Auch heute stehen die Maschinen still, und doch herrscht auf dem Parkplatz und an den Toren reges Treiben. Männer in roten Streikwesten der IG Metall stehen um Tonnen herum, in denen Holzpaletten verfeuert werden. Seit Montag befinden sie sich im Arbeitskampf. Es geht um den Erhalt des Werks, um ihre Arbeitsplätze.
»Die Familie Bosch-Siemens entläßt 620 Kinder«, steht anklagend auf einem Transparent, das die Arbeiter am Haupttor angebracht haben. Seit 1953 werden in der Spandauer Fabrik Waschmaschinen gefertigt. Geht es nach den BSH-Managern, ist damit zum Jahresende Schluß.
»Als ich hier meine Lehre anfing, dachte ich: Siemens ist ein Weltkonzern – hier ist mein Job sicher«, erzählt Stephan, der seit 16 Jahren als Industriemechaniker bei BSH ist. Was er im Falle der Kündigung machen wird, weiß der 32jährige noch nicht. Theoretisch könne er ja weggehen, meint er. Allerdings hat Stephan vor vier Monaten geheiratet, und seine Frau konnte nach fünf Jahren in befristeten Arbeitsverhältnissen nun endlich eine unbefristete Stelle ergattern. Auf der Betriebsversammlung, die in den zwei Wochen vor offiziellem Streikbeginn durchgehend abgehalten wurde, habe jemand darüber berichtet, was auf die Kollegen im Falle von Hartz IV zukomme. »Da ist bei allen die Kinnlade runtergefallen«, berichtet er.
»Das wird ganz schön schlimm«, befürchtet auch sein Kollege Zeymel, der seit 19 Jahren im Werk arbeitet. »Ich bin Alleinverdiener, habe zwei Kinder und mir bleibt schon jetzt nach Abzug der Fixkosten nicht mehr als 600 Euro zum Leben«, so der 42jährige, der wie die meisten der Arbeiter aus der Türkei stammt. Zeymel erzählt, wie das Unternehmen offenbar systematisch versuchte, sich auf einen Arbeitskampf vorzubereiten. »Die haben noch mal alles rausgeholt und auf Halde produziert«, meint er. 50000 montierte Waschmaschinen befinden sich allerdings noch auf dem Gelände– deshalb die Streikposten, die entschlossen sind, den Abtransport der Ware zu verhindern. Mehr als 600 Streikende hätten sich hierfür gemeldet und würden den Betrieb rund um die Uhr bewachen, sagt IG-Metall-Sekretär Luis Sergio stolz. Rund 80 Beschäftigte – größtenteils Angestellte – seien aber auch ins Werk im brandenburgischen Nauen gegangen, um dort Streikbrecherarbeiten zu leisten.
Von anderen kommt hingegen Solidarität. So haben sich gut zwei Dutzend Aktivisten der Berliner Wahlalternative den nächtlichen Streikposten angeschlossen, die darüber sichtlich erfreut sind. »Wir wollen die Kollegen auch ganz praktisch unterstützen«, erklärt WASG-Frontfrau Lucy Redler, die für gemeinsame Aktionen verschiedener in Auseinandersetzungen stehender Belegschaften wirbt. Unter den BSH-Beschäftigten selbst wird diese Solidarität bereits vielfach gelebt. So gehören zu den Streikposten auch Beschäftigte, die von den Konzernplänen nicht unmittelbar betroffen sind. Zum Beispiel Sabine. Sie ist seit 1992 in der Entwicklungsabteilung des Spandauer Betriebs tätig, die vorerst bestehen bleiben soll. »Wenn die Fertigung erst weg ist, dann wird es auch uns bald treffen«, ist Sabine dennoch überzeugt. Die Hoffnung, der Streik könne die BSH-Spitze zur Umkehr bewegen, hat sie wie die meisten ihrer Kollegen nicht. »Realistisch betrachtet geht es nur noch um Abfindungen«, sagt die 37jährige, deren Sohn gerade eine Lehrstelle sucht. »In der Region ist ja jetzt schon alles tot«, erklärt sie. Ihr Partner sei bereits der letzten großen Entlassungswelle bei BSH im Jahr 2002 zum Opfer gefallen. Damals habe es keinen Widerstand gegeben.
Die jetzigen Aktionen kämen viel zu spät, kritisiert auch ein anderer Arbeiter, der schon einmal gestreikt hat: »Vor 15 Jahren war ich im Stahlwerk Hennigsdorf, wo 8000 Beschäftigte für den Erhalt ihrer Jobs kämpften. Damals hat es die IG Metall überhaupt nicht interessiert, was im Osten los war«, sagt er verbittert. Er sei dennoch seit 25 Jahren in der Gewerkschaft. »Man muß sich ja organisieren«, meint er. Auch er hat indes wenig Hoffnung auf einen Streikerfolg. »Das hier ist gelaufen, aber wenn man sich nicht alles gefallen läßt und kämpft, dann kann man danach wenigstens ruhigen Gewissens in den Spiegel schauen«. Quelle
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