Wer den Schritt in die Selbstständigkeit wagt, muss sich oft Gedanken über unregelmäßige Einkünfte, Buchhaltung und steuerliche Pflichten machen. Kommt dann noch der Bezug von Bürgergeld hinzu, wird die Lage schnell komplex.
Ein Beispiel zeigt, dass bereits eine unpassende Geldeingangszeit das gesamte Konstrukt durcheinanderbringen kann.
Doch wie genau funktioniert das „Zuflussprinzip“ beim Bürgergeld? Welche Regeln gelten für die Anrechnung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit?
Und wie lässt sich eine unnötige Rückzahlungsforderung an das Jobcenter vermeiden?
Inhaltsverzeichnis
Was genau ist das Zuflussprinzip?
Unter dem Zuflussprinzip versteht man die Rechtsgrundlage, nach der Einkünfte im Monat ihres tatsächlichen Geldeingangs berücksichtigt werden.
Maßgeblich ist also nicht der Zeitpunkt, an dem die Arbeit geleistet oder die Rechnung gestellt wurde, sondern der Moment, in dem das Geld auf dem Konto des oder der Leistungsbeziehenden ankommt.
Rechtlich verankert ist dies im § 11 SGB II (Sozialgesetzbuch Zweites Buch). Dort heißt es, dass Einnahmen „vor dem Monat zu berücksichtigen [sind], in dem sie zufließen“.
Das hat erhebliche praktische Folgen: Selbst wenn das Geld für Leistungen bestimmt ist, die vor Monaten erbracht wurden, ist entscheidend, wann es wirklich auf dem Konto eingeht.
Für Personen, die Bürgergeld (ehemals Arbeitslosengeld II) beziehen, kann dies bedeuten, dass sie – obwohl sie den Jobcenter-Bezug bald beenden möchten – in einem Monat eine so hohe Einnahme erzielen, dass ein Teil der Leistungen zurückgefordert wird.
Wie wird Einkommen aus selbstständiger Arbeit angerechnet?
Grundsätzlich werden auch Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit beim Bürgergeld angerechnet. Im Sozialgesetzbuch II finden sich hierzu verschiedene Regelungen, insbesondere in § 11b SGB II, die bestimmen, welche Abzüge und Freibeträge es gibt:
- Grundfreibetrag: Die ersten 100 Euro monatlich aus Erwerbstätigkeit (auch aus Selbstständigkeit) sind anrechnungsfrei.
- Weiterführende Freibeträge: Von jedem Euro oberhalb der 100 Euro werden anteilig 20, 30 oder 10 Prozent (je nach Einkommensstufe) nicht angerechnet. Dies wird oft mithilfe der sogenannten „Anrechnungstorte“ oder ähnlichen Modellen veranschaulicht.
Praktisch führt dies dazu, dass man einen Teil seines selbstständig verdienten Einkommens behalten darf und nur der restliche Teil auf das Bürgergeld angerechnet wird. Entscheidend ist jedoch immer, in welchem Monat das Geld tatsächlich zufließt.
Gibt es Ausnahmen vom Zuflussprinzip?
Eine Besonderheit ist in § 11 Abs. 3 SGB II geregelt. Dort steht, dass in Fällen, in denen eine „Nachzahlung“ zufließt, die nicht für den Monat des Zuflusses bestimmt ist, diese Einnahme unter Umständen auf mehrere Monate aufgeteilt werden kann.
In den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit wird aber deutlich, dass sich dies in der Regel auf Nachzahlungen von laufenden Leistungen wie ALG I, BAföG, Erwerbsminderungsrente oder Lohnnachzahlungen bezieht.
Bei normalen Einnahmen aus Aufträgen, Rechnungen oder Dienstleistungen gilt typischerweise weiterhin das Zuflussprinzip. Das heißt, eine Rechnung, die für im Vormonat geleistete Arbeit bezahlt wird, zählt im Monat des Geldeingangs – auch wenn sie rückwirkend ausgestellt wurde oder für vergangene Zeiträume bestimmt ist.
Kann das Jobcenter Leistungen für mehrere Monate zurückfordern?
Angenommen, jemand erhält in seinem letzten Bezugsmonat eine besonders hohe Summe, sodass er in diesem Monat rein rechnerisch nicht mehr hilfebedürftig wäre.
Dann wird das Jobcenter vor allem für diesen konkreten Monat die Leistungen überprüfen und gegebenenfalls zurückfordern. Oft betrifft die Rückforderung lediglich den Monat, in dem das Einkommen zugeflossen ist.
Die vorangegangenen Monate bleiben unberührt, wenn in diesen Monaten korrekt abgerechnet wurde und die Hilfebedürftigkeit tatsächlich vorlag.
Im schlimmsten Fall kann es jedoch vorkommen, dass das Jobcenter genauer hinschaut und feststellt, dass die Hilfebedürftigkeit auch in vorangegangenen Monaten beeinflusst gewesen wäre – etwa, wenn sich herausstellt, dass relevante Einnahmen verschwiegen oder falsch angegeben wurden.
Dann könnte das Jobcenter auch mehrere Monate rückwirkend prüfen. Wer hier sorgfältig und transparent mit dem Jobcenter zusammenarbeitet, reduziert das Risiko von weiteren Forderungen.
Was bedeutet das für die Krankenversicherung?
Bürgergeldbeziehende sind in der Regel über das Jobcenter krankenversichert. Stellt sich allerdings heraus, dass für einen bestimmten Monat keine Hilfebedürftigkeit vorgelegen hat, kann dies rückwirkend Auswirkungen auf den Versicherungsschutz und die Beiträge haben.
Die Krankenkasse könnte theoretisch Nachforderungen erheben, wenn sich herausstellt, dass in dem betreffenden Monat eigentlich gar keine Beitragsübernahme durch das Jobcenter hätte stattfinden dürfen.
Allerdings ist dieser Fall nicht ganz so häufig, da vieles davon abhängt, ob die Krankenkasse tatsächlich aktiv wird. In aller Regel gibt das Jobcenter bei einem Wegfall der Hilfebedürftigkeit Informationen an die Krankenkasse weiter.
Wichtig ist hier die genaue Prüfung: Wer plötzlich nicht mehr hilfebedürftig ist, muss sich in diesem Zeitraum gegebenenfalls selbst versichern. Das kann zu Beitragsnachforderungen führen – ein nicht zu unterschätzendes finanzielles Risiko.
Darf man Rechnungen und Einnahmen nachträglich verschieben?
Der Gedanke, Einnahmen „nach hinten“ zu verschieben, um mögliche Anrechnungen zu vermeiden, liegt nahe.
Doch ist das rechtlich überhaupt zulässig? Grundsätzlich kann man als Selbstständiger natürlich den Zeitpunkt, wann eine Rechnung gestellt wird, ein Stück weit steuern oder mit Kundinnen und Kunden auf eine spätere Zahlung einigen.
Sobald das Geld allerdings auf dem Konto ist, lässt es sich nicht einfach rückgängig machen, ohne dass dies Fragen aufwirft.
Eine nachträgliche Rücküberweisung an den Kunden und die Behauptung, es habe sich um ein „Versehen“ gehandelt, könnte schnell den Vorwurf der Täuschung oder gar des Betrugs mit sich bringen, falls das wahre Motiv lediglich die Vermeidung von Rückforderungen wäre. In einem solchen Fall empfiehlt es sich, unbedingt rechtlichen Rat einzuholen.
Welche Möglichkeiten haben Selbstständige, um Nachteile zu vermeiden?
Die beste Strategie ist Transparenz und frühzeitige Planung. Zwar wird man als Unternehmerin oder Unternehmer immer versuchen, den Geldeingang so zu steuern, dass einem möglichst wenig Nachteile entstehen. Doch wer Bürgergeld bezieht, sollte besonders vorsichtig sein.
Nur in sehr wenigen Fällen lassen sich Zahlungstermine so gestalten, dass Einkünfte auf die Zeit nach dem Bürgergeldbezug fallen. Sobald das Geld tatsächlich zufließt, muss es dem Jobcenter gemeldet werden. Bei Fragen oder Unsicherheiten kann es sinnvoll sein, schon im Vorfeld den Kontakt zum Jobcenter zu suchen und sich beraten zu lassen.
Ist der Schritt in die Selbstständigkeit überhaupt lohnenswert?
Diese Frage stellen sich viele, die noch Leistungen vom Jobcenter beziehen. Tatsächlich profitiert auch die Allgemeinheit, wenn Menschen aus dem Bürgergeld heraus in eine erfolgreiche selbstständige Tätigkeit wechseln. Langfristig wird dadurch oft weniger staatliche Unterstützung benötigt. Kurzfristig kann es jedoch zu Rückforderungen kommen, wenn hohe Einnahmen im falschen Monat eingehen.
Dennoch bleibt der Schritt in die Selbstständigkeit eine sinnvolle Option, sofern er gut geplant ist und man die rechtlichen Rahmenbedingungen beachtet. Wichtig sind eine solide Finanzplanung, eine realistische Einschätzung der Kosten und Einnahmen sowie ein ehrlicher Austausch mit dem Jobcenter.
Was tun bei drohender Rückforderung des Jobcenters?
- Frühzeitig informieren: Wer von vornherein weiß, dass im kommenden Monat eine größere Summe eingehen wird, sollte sich rechtzeitig beim Jobcenter erkundigen und die Situation offenlegen.
- Rechtliche Beratung suchen: Bei komplizierten Sachverhalten lohnt es sich, professionelle Unterstützung hinzuzuziehen, sei es von einer Beratungsstelle, einem Anwalt oder einer Anwältin für Sozialrecht.
- Realistisch planen: Mögliche Schwankungen im Einkommen sind bei Selbstständigen normal. Daher ist es wichtig, ein gewisses finanzielles Polster aufzubauen, um Rückforderungen – etwa für einen einzigen, umsatzstarken Monat – ausgleichen zu können.
- Langfristig denken: Auch wenn es kurzfristig ärgerlich sein kann, dass große Einmalzahlungen zu Rückforderungen führen, sollte man das größere Ziel im Auge behalten: finanzielle Unabhängigkeit und eine erfolgreiche Selbstständigkeit, die perspektivisch den Weg aus dem Bürgergeld-Bezug öffnet.
Zusammengefasst zeigt das Beispiel sehr deutlich, dass das Zuflussprinzip ein scharfes Schwert sein kann. Selbstständige, die Bürgergeld beziehen, sollten genau darauf achten, wann Geld auf ihrem Konto landet.
Wer im letzten Bezugsmonat eine große Summe erhält, muss unter Umständen Leistungen für diesen Monat zurückzahlen – und sollte sich zudem um seine Krankenversicherung kümmern. Planung und Transparenz sind daher der Schlüssel, um sowohl die eigene Selbstständigkeit erfolgreich voranzutreiben als auch unliebsame Überraschungen mit dem Jobcenter zu vermeiden.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.