21.11.2012
Seit 21 Tagen befindet sich Ralph Boes aus Berlin im „Sanktionshungern“, wie er selbst sagt. Das Jobcenter hat den Aktivisten um 90 Prozent den Hartz IV Regelsatz für insgesamt drei Monate gekürzt. Das bedeutet, dass Boes nunmehr nur noch 37,40 Euro statt 374,00 Euro monatlich zum Leben zu Verfügung hat. Boes hat die Sanktionen selbst herbeigeführt, um einen Präzedenzfall gegen das Sanktions-System bei Hartz IV zu schaffen. Wir haben den Aktivisten zum aktuellen Stand der Dinge und zu den Hintergründen seiner Aktion befragt.
Herr Boes, seit 21 Tagen befinden Sie sich im "Sanktionshungern", weil Ihnen das Jobcenter die Leistungen um 90 Prozent gekürzt hat. Wie Sie in einer Erklärung schreiben, haben Sie die Sanktionen bewusst selbst herbei geführt, um ein Zeichen zu setzen. Was wollen Sie mit der Aktion erreichen?
Es ist für Außenstehende sicher nicht leicht zu verstehen, inwiefern die Sanktionen „selbst herbeigeführt“ sind. Im letzten Jahr wurden erstmals über eine Millionen Sanktionen durch die Jobcenter verhängt. Und dies oft für Lappalien wie Meldeversäumnisse, angeblich nicht eingegangene Briefe oder Missverständnisse. In meinem Fall hat man mich lange völlig anders behandelt, als gäbe es eine Lex Boes. Mein damaliger Sachbearbeiter sagte zu mir: „Wir werden sie nicht sanktionieren. Dann bekämen wir ja mehr Ärger als Sie“. Ich war durch den Brandbrief vom Juni 2011 nicht mehr ganz unbekannt im Amt. Ich habe alle Regeln, die durch die sogenannte Eingliederungsvereinbarung aufgezwungen werden, gebrochen und bekam dennoch keine Sanktionen. Ich wollte aber von Anfang an darauf aufmerksam machen, wie grundgesetzwidrig das Hartz-IV System insbesondere durch die Sanktionen ist. Deshalb habe ich mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gedroht, mit welchem Recht ich noch alimentiert würde. Erst dann hat man mich behandelt wie alle anderen sonst auch. Ich bekam Angebote im Callcenter oder bei einer Zeitarbeitsfirma zu arbeiten. Da ich aber Vollzeit ehrenamtlich und vor allem sinnvoll tätig bin, habe ich diese Angebote abgelehnt. Schon in meinem Brandbrief schreibe ich, dass ich jede Arbeit heilig spreche, die aus einem inneren ernsten Anliegen eines Menschen erfolgt. Beschäftigungsmaßnahmen, die das Jobcenter vermittelt, sind entwürdigend und werden den Menschen aufgezwungen, indem man ihnen mit Entzug der Lebensgrundlagen droht. Es geht mir in erster Linie darum, dass das Grundgesetz wieder in der deutschen Sozialpolitik ernst genommen wird.
Wie geht es Ihnen derzeit gesundheitlich?
Langsam merke ich eine Veränderung in meinem Körper. Ich habe in den letzte zwei Woche über 5Kg abgenommen. Anstrengungen zehren mehr an mir als vorher. Geistig fühle ich mich noch fit, aber ich spüre, dass ich körperlich auf mich Acht geben muss.
Nehmen Sie beispielsweise Lebensmittelgutscheine an, die Ihnen bei Sanktionen zustehen?
Nein. Lebensmittelgutscheine lehne ich strikt ab. Sie sind erstens nur eine Kann-Leistung, die nicht jedem gewährt werden und darüber hinaus eine Demütigung und Stigmatisierung. Um die Gutscheine zu erhalten, ist man gezwungen, bei der Person zu betteln, die einem die Sanktionen erteilt hat. Das Einkaufen mit solchen Gutscheinen ist außerdem im höchsten Maße unwürdig.
Welche konkreten Schritte haben Sie bereits in die Wege geleitet, um juristisch gegen die verhängte Leistungskürzung vorzugehen?
Gegen die Leistungskürzungen habe ich noch keine juristischen Schritte vorgenommen. Das Problem ist, dass jemand der Sanktionen erhalten hat eigentlich kaum noch Kräfte hat, gegen diese zu klagen, auch wenn dies erst mal eine Aufschiebende Wirkung bringen könnte. Aus Solidarität zu den Millionen von Entrechteten in Deutschland – und um auch diese weitere menschenunwürdige und grundrechtswidrige Seite des Hartz-IV-Systems sichtbar zu machen und an ihrer Abschaffung mitzuwirken – lehne ich die gegebene Möglichkeit ab, bis zur endgültigen Klärung der rechtlichen Gültigkeit der mich betreffenden Sanktion vor dem Sozialgericht einen Aufschub für die Geldkürzungen zu erbitten. Die Klage wir jetzt zunehmend für mich Priorität bekommen.
Bis Sie auf dem juristischen Weg einen Erfolg erringen könnten, können noch viele Monate vergehen. Das birgt doch eine große gesundheitliche Gefahr?
Das stimmt. Die Situation ist tatsächlich dramatisch. Aber das liegt ja nicht an mir. Ich bringe ja nur zur Anschauung, was der Staat seinen Bürgern zumutet. Es wird sich zeigen, wie es weiter geht und wie schnell die Politik gegebenenfalls einlenkt.
Gab es bereits Reaktionen seitens der Politik?
Ja ein paar. So hat sich z.B. Katja Kipping von den Linken in einem öffentlichen Brief an Ursula von der Leyen gewendet und die Abschaffung der Sanktionen gefordert. Zu einem näheren Gespräch bei ihr bin ich eingeladen. Auch habe ich schon mit den Bundestagsabgeordneten Strengmann-Kuhn und Arfst Wagner von den Grünen Kontakt und erhalte Unterstützung.
Finden auch öffentliche Aktionen statt? Bis jetzt haben kaum Medien über ihre Aktion berichtet?
Wir haben zum Beispiel am 30 Oktober den Film „Ziviler Widerstand“, der ein Interview von mir zum Brandbrief dokumentiert, in einem Berliner Kino gezeigt. Der Saal war zu voll, um die Türen zu schließen, was zeigt, dass das Thema wahrgenommen wird. Am 17 November gab es eine Mahnwache vor den Grundgesetztafeln am Reichstagsufer. Viele Passanten hatten von der Aktion schon gehört und waren interessiert. Wir haben aber erst vor ein paar Tagen ein richtiges Aktions-Team bilden können.
Wie können andere Menschen Sie unterstützen?
Unterstützen kann man insbesondere, indem man die Aktion bekannt macht und sich direkt an die Abgeordneten wendet, um die Beendigung der Sanktionspraxis zu fordern. Man kann sich aber auch in unseren Teams einbringen. Infos darüber, wie man helfen kann, findet man hier. (sb)
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