Eine körperliche Einschränkung kann ebenso einen Grad der Behinderung rechtfertigen wie eine psychische oder eine geistige. Die Frage ist jetzt: Kann eine psychische Erkrankung den Grad der Behinderung erhöhen, wenn die Hauptursache der Behinderung körperlich ist?
Wir zeigen Ihnen in diesem Beitrag, wonach beim Grad der Behinderung bemessen wird, ob einzelne Leiden einander verstärken oder ohne Beeinflussung nebeneinander stehen.
Gibt es Sonderregeln für psychische oder körperliche Einschränkungen?
Nein. Der Gesamtgrad der Behinderung bemisst sich ebenso wie die Grade der einzelnen Einschränkungen danach, wie stark Sie durch diese Einschränkung in der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben behindert werden, sei es im Alltag oder am Arbeitsplatz.
§ 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX sagt klar: „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“
Es geht also nicht in erster Linie um die Ursache. Wenn Sie wegen einer schweren Depression (psychische Einschränkung) einen Grad der Behinderung haben, dann ist das ebenso ein entsprechender Grad der Behinderung wie bei einem amputierten Fuß (körperliche Einschränkung)
Behinderung ist ein komplexes Ganzes
Behinderung ist ein komplexes Ganzes und bedeutet eine eingeschränkte Teilhabe in allen Lebensbereichen. Zudem ist sie ein dauerhaftes Charakteristikum des individuellen Wesens des jeweiligen Menschen, und so gibt es komplexe Bedarfe, um die Beeinträchtigungen auszugleichen.
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Welchen Grad der Behinderung gibt es bei psychischen Störungen?
Ein Grad der Behinderung wird immer individuell eingestuft. Richtlinien sind bei leichteren psychischen Störungen ein Grad der Behinderung von null bis 20; bei stärkeren Störungen mit wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit 30 bis 40, bei schweren Zwangserkrankungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten 50 bis 70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80 bis 100.
Körperliche und psychische Behinderungen beeinflussen sich
Körperliche und psychische Einschränkungen können einander beeinflussen. Der Zusammenhang ist komplex, und es geht immer um das Gesamtbild.
Menschen mit geistiger Behinderung haben ein erhöhtes Risiko, zugleich eine psychische Störung zu entwickeln, besonders Depressionen, Psychosen, Demenzsyndrome oder Anpassungsstörungen.
Ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung wie einer Angststörung kann zum Beispiel wegen eines damit verbundenen Schlafmangels und unzureichender Bewegung körperliche Erkrankungen entwickeln oder bestehende verschlimmern.
Ein Mensch, der zusätzlich zu einer körperlichen Behinderung eine geistige Einschränkung hat, kann Probleme haben, Bedürfnisse zu äußern. Das erschwert nicht nur Diagnose und Behandlung, sondern kann auch dazu führen, dass er das Merkzeichen Hilflosigkeit erhält.
Ein Mensch mit einer Lähmung kann aufgrund seiner eingeschränkten Beweglichkeit psychische Erkrankungen wie Depression oder Angststörungen entwickeln.
Wie verhalten sich die einzelnen Einschränkungen zum Gesamtgrad der Behinderung?
Wenn Sie verschiedene (psychische, geistige und / oder körperliche) Einschränkungen haben, dann gibt es für die Hauptstörung ebenso einen Grad der Behinderung wie für die weiteren Einschränkungen. Diese werden aber nicht einfach zu einem Gesamtgrad der Behinderung addiert.
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg führte aus: „Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden.“ (L 6 SB 1696/21)
Wenn Sie zum Beispiel wegen einer Depression (psychisch) einen Grad der Behinderung von 30 haben und wegen einer schweren Arthrose im Knie (körperlich) einen weiteren Grad der Behinderung von 40, dann bedeutet das also nicht automatisch einen Gesamtgrad der Behinderung von 70.
Vielmehr bewertet jetzt das zuständige Versorgungsamt, ob beide Grade der Behinderung unabhängig voneinander zu sehen sind oder einander beeinflussen. Dies ist oft Ermessenssache sowie zwischen Betroffenen und Versorgungsamt umstritten und in vielen Fällen schaffen erst die Sozialgerichte Klarheit.
In diesem Beispiel wird die Depression die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit durch die Arthrose nicht verstärken. Es wäre aber möglich, dass die Einschränkungen durch eingeschränkte Mobilität die Depression beeinflussen.