Schwerbehinderung: Kündigungsschutz ab dem 1. Arbeitstag – neues Urteil

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Schwerbehinderte Menschen genießen im Arbeitsrecht einen besonderen Kündigungsschutz, der allerdings erst nach einer sechsmonatigen Wartezeit in Kraft tritt. Innerhalb dieses Zeitraums, der auch als Probezeit bezeichnet wird, gelten die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes und der besondere Kündigungsschutz bisher nicht.

Anders als beispielsweise bei schwangeren Arbeitnehmerinnen, die ab dem ersten Tag ihrer Beschäftigung einen besonderen Schutz genießen, sind schwerbehinderte Arbeitnehmer in den ersten sechs Monaten ihres Arbeitsverhältnisses rechtlich weniger abgesichert.

Kündigung innerhalb der Wartezeit: Der Fall vor dem Arbeitsgericht Köln

Ein aktueller Fall, der vor dem Arbeitsgericht Köln verhandelt wurde, könnte weitreichende Konsequenzen für den Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer haben.

Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, der einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 aufgrund eines frühkindlichen Gehirnschadens aufwies, wurde während der Probezeit von seinem Arbeitgeber gekündigt.

Der Arbeitnehmer, der bei einer Kommune beschäftigt war, erhielt die Kündigung, nachdem er zuvor aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit, die durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde, abwesend war.

Argumentation des Klägers: Diskriminierung und fehlende Präventionsmaßnahmen

Der Kläger argumentierte, dass die Kündigung diskriminierend sei, da sie aufgrund seiner Schwerbehinderung erfolgt sei. Zudem verwies er auf die Pflicht des Arbeitgebers, gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und den entsprechenden Regelungen des Sozialgesetzbuches (SGB IX) eine leidensgerechte Beschäftigung anzubieten, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird.

Diese Pflicht zur Prävention, die im § 167 SGB IX verankert ist, sieht vor, dass der Arbeitgeber bei Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einbezieht, um Alternativen zur Kündigung zu prüfen.

Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln: Neue Auslegung des SGB IX

Das Arbeitsgericht Köln nahm den Fall zum Anlass, die bisherige Praxis des Kündigungsschutzes schwerbehinderter Arbeitnehmer zu hinterfragen.

Er argumentierte, dass die Pflicht zur Prävention und zur Prüfung leidensgerechter Arbeitsplätze gemäß § 167 und § 164 SGB IX nicht erst nach Ablauf der Wartezeit, sondern bereits ab dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses gelten sollte.

Diese Interpretation der gesetzlichen Regelungen würde bedeuten, dass ein Arbeitgeber, der es versäumt, diese Pflichten zu erfüllen, eine Kündigung selbst innerhalb der ersten sechs Monate unwirksam machen könnte.

Konsequenzen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Sollte sich diese Rechtsauffassung durchsetzen, würde dies eine erhebliche Verschärfung der Anforderungen an Arbeitgeber bedeuten, die schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigen.

Vom ersten Tag an müssten alle Pflichten des SGB IX beachtet werden, um eine wirksame Kündigung aussprechen zu können. Im Umkehrschluss könnte dies auch zu einer verstärkten Vorsicht bei der Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer führen.

Für schwerbehinderte Arbeitnehmer bedeutet dies jedoch eine Stärkung ihrer Rechte. Auch innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses könnten sie gegen eine Kündigung vorgehen, wenn der Arbeitgeber seine Pflichten nicht erfüllt hat.

Es bleibt abzuwarten, wie die höheren Instanzen, insbesondere das Bundesarbeitsgericht, diese Entwicklung beurteilen werden.

Zusammenfassung: Ein potenzieller Wendepunkt im Kündigungsschutz

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln könnte einen Wendepunkt im Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer darstellen. Sollte diese Rechtsauffassung bestätigt werden, würden schwerbehinderte Menschen bereits vom ersten Tag an umfassend geschützt sein.

Arbeitgeber müssten dann von Anfang an alle rechtlichen Vorgaben des SGB IX beachten, um eine rechtssichere Kündigung aussprechen zu können.

In diesem Zusammenhang ist jedoch auch Vorsicht geboten. Die Entscheidung muss zunächst durch die nächsten Instanzen bestätigt werden, bevor von einer grundsätzlichen Änderung der Rechtslage ausgegangen werden kann.