Die meisten Kündigungen kündigen sich an – nur werden die Zeichen oft übersehen. Wer die feinen Veränderungen im Arbeitsalltag rechtzeitig erkennt, kann sich fachlich, psychisch und rechtlich besser wappnen.
Der Arbeitsrechtsexperte und Anwalt Christian Lange aus Hannover ordnet drei typische Anzeichen ein, mit denen Arbeitgeber eine Trennung vorbereiten, und erklärt, warum frühes Handeln die eigene Verhandlungsposition stärkt.
Wenn der Ton kippt: subtile Distanz statt kollegialer Nähe
Kündigungsprozesse beginnen häufig nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit kleinen Verschiebungen im Umgang. Vorgesetzte grüßen seltener, informelle Gespräche versiegen, Nachfragen zum Privatleben bleiben aus. Solche Nuancen sind schwer zu greifen, doch sie verändern die Atmosphäre spürbar.
Wer sie als bloße Laune abtut, nimmt sich die Chance, Entwicklungslinien zu erkennen. Gerade weil ein Jobverlust zu den belastendsten Lebensereignissen zählt, lohnt es, die eigene Wahrnehmung ernst zu nehmen, Gesprächsnotizen zu führen und Muster zu prüfen: Ist das Verhalten punktuell – oder setzt sich eine neue Normalität durch?
Formale Vorbereitungen: wenn aus „Hinweisen“ eine Aktenlage wird
Neben Stimmungswechseln gibt es handfeste Indikatoren dafür, dass ein Arbeitgeber die Trennung organisatorisch vorbereitet. Dazu zählen Abmahnungen, die Häufung von Dokumentationen und Gespräche, die weniger auf Klärung als auf Protokollierung zielen.
Entscheidend ist die Funktion: Eine Abmahnung soll eigentlich Verhalten beanstanden und klar aufzeigen, wie es künftig richtig geht. Wird sie jedoch in Serie erteilt, gebündelt überreicht oder lange zurückliegende Vorgänge im Paket moniert, spricht das eher für den Aufbau einer Begründungslinie.
Dann steht nicht die Korrektur im Vordergrund, sondern die Option, bei nächster Gelegenheit eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen.
Betriebliches Eingliederungsmanagement: Hilfe oder Hebel?
Wer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war, kann zu einem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) eingeladen werden. Eigentlich soll das BEM Hürden abbauen, Einsatzmöglichkeiten prüfen und Arbeitsplätze anpassen.
In der Praxis kommt es vor, dass das Verfahren vor allem als Baustein einer späteren krankheitsbedingten Kündigung genutzt wird – etwa, wenn eine Teilnahme verweigert wird oder wenn das Ergebnis lautet, es gebe keine Einsatzmöglichkeit.
Beschäftigte sollten deshalb gut vorbereitet in ein BEM gehen, medizinische und organisatorische Optionen aktiv einbringen und Ergebnisse schriftlich festhalten. Ein substanzreiches BEM kann sowohl die Rückkehr erleichtern als auch die Argumentationsbasis des Arbeitgebers relativieren.
Restrukturierung, Outsourcing und der schleichende Aufgabenentzug
Betriebsbedingte Szenarien zeigen sich oft im Organigramm: Umstrukturierungen, Zentralisierungen oder Outsourcing reduzieren Tätigkeitsfelder.
Besonders heikel ist der schrittweise Entzug wesentlicher Aufgaben. Wer auf einmal keine Projekte mehr leitet, aus Verteilerlisten fällt oder nicht mehr zu relevanten Meetings eingeladen wird, sollte das nicht als bloße Disposition abtun. Solche Verschiebungen können die spätere Behauptung stützen, der Arbeitsplatz sei entbehrlich geworden.
Je früher Betroffene schriftlich klären, wie ihr Aufgabenprofil definiert ist und wie Änderungen begründet werden, desto schwieriger wird es, die ursprüngliche Rolle unsichtbar zu machen.
Cold Firing: Aushungern statt Ansage
Unter „Cold Firing“ verstehen Praktiker den Versuch, Beschäftigte ohne offene Trennungsbotschaft mürbe zu machen.
Die Strategie folgt einem Muster: weniger oder unterwertige Aufgaben, sinkende Verantwortung, minimale Kommunikation, Einladungen, die nicht mehr kommen.
Das Ziel ist kalkuliert: Wer sich überflüssig fühlt, soll zur Eigenkündigung oder zu einem ungünstigen Aufhebungsvertrag gedrängt werden. Für Arbeitgeber ist das kostengünstiger, weil Abfindungen, Zeugnisse mit wohlwollenden Formulierungen oder andere Zugeständnisse vermeidbar scheinen.
Für Beschäftigte birgt die Eigenkündigung hingegen erhebliche Nachteile, bis hin zu möglichen Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld und einer stark geschwächten Verhandlungsposition.
Nüchtern beobachten, nicht innerlich passiv werden
Solche Prozesse treffen das Sicherheitsgefühl. Wer sich zurückgewiesen fühlt, zieht sich schnell in stille Loyalität oder Selbstzweifel zurück. Hilfreicher ist eine doppelte Perspektive: emotional für sich sorgen – und zugleich sachlich dokumentieren.
Ein Arbeitstagebuch, Zusammenfassungen von Gesprächen per E-Mail und die Sammlung relevanter Dokumente helfen, den Nebel zu lichten. Gerade in Phasen, in denen die Gegenseite „keine Karten auf den Tisch“ legt, schafft präzise Selbstbeobachtung die Grundlage für spätere Einordnungen und Verhandlungen.
Handlungsspielräume: sichtbar werden, Rechte sichern, Optionen erhöhen
Beschäftigte sind nicht wehrlos. Wer Aufgaben entzogen bekommt, kann die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit konkret einfordern und um schriftliche Klarstellung bitten, welche Aufgaben stattdessen gelten und aus welchem Grund.
Wer von zentralen Besprechungen ausgeschlossen wird, kann die Notwendigkeit der Teilnahme begründen und um Aufnahme in Verteiler ersuchen. Wer Abmahnungen erhält, kann innerhalb angemessener Frist eine sachliche Erwiderung zur Personalakte geben.
Und wer in Restrukturierungen gerät, sollte sich frühzeitig über Versetzungen, Qualifizierungen oder interne Wechselwege informieren. Diese Schritte signalisieren, dass man die eigene Position kennt und verteidigt – oft der Moment, in dem Arbeitgeber Ihre „Karten“ offenlegen.
Verhandlung und Timing: Stärke entsteht vor der Kündigung
Die Verhandlungsposition ist selten besser als in der Phase, in der der Arbeitgeber zwar Trennungstendenzen zeigt, sie aber noch nicht erklärt hat. Wer jetzt professionell Ansprüche adressiert, erhöht den Preis der Trennung und die Attraktivität gütlicher Lösungen. Abfindungen sind in Deutschland nicht automatisch geschuldet, werden aber häufig im Rahmen von Aufhebungsverträgen oder Vergleichen in Kündigungsschutzprozessen vereinbart.
Höhe und Wahrscheinlichkeit hängen von Betriebszugehörigkeit, Vergütung, Kündigungsschutz und Trennungsdruck ab. Wer früh selbst aktiv wird, hat die Chance, Rahmenbedingungen zu gestalten, statt sie nur zu akzeptieren.
Rechtliche Eckpunkte – kurz und klar
Arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen sind formal: Kündigungen müssen schriftlich erfolgen, und gegen eine ordentliche Kündigung ist in der Regel binnen drei Wochen Klage zu erheben, sonst wird sie wirksam. Abmahnungen entfalten nur dann Wirkung, wenn sie konkretes Verhalten, Beanstandung und Erwartung für die Zukunft klar benennen.
Ein BEM ist kein Selbstläufer zur Kündigung, sondern ein Prüfverfahren, das Chancen auf Anpassungen eröffnen soll. Eigenkündigungen oder vorschnell unterschriebene Aufhebungsverträge können sozialrechtliche Nachteile nach sich ziehen. All dies spricht dafür, vor unwiderruflichen Schritten fachkundigen Rat einzuholen.
Was Betroffene konkret für sich tun können – ohne Eskalation um der Eskalation willen
Kluge Gegenwehr ist kein Krawall, sondern Struktur. Sie beginnt mit sauberer Kommunikation, einem höflichen, aber bestimmten Ton und nachvollziehbaren Dokumenten.
Sie setzt auf Klarheit über das eigene Aufgabenprofil, auf das Aufzeigen arbeitsfähiger Lösungen im BEM und auf eine sachliche Entgegnung zu Abmahnungen. Sie umfasst die Bereitschaft, Alternativen im Unternehmen auszuloten, ohne die eigene Rechtsposition preiszugeben.
Und sie respektiert die Grenze zwischen innerer Betroffenheit und äußerer Professionalität. Genau diese Haltung verschiebt die Balance: Wer seine Rechte kennt und nutzt, ist schwerer in die Ecke zu drängen.
Fazit
Trennungsprozesse sind selten plötzlich, sondern verdichten sich aus feinen Signalen, formalen Schritten und strategischen Lücken in der Aufgabenverteilung.
Wer diese „Schwingungen“ wahrnimmt, benennt und dokumentiert, gewinnt Zeit und Spielräume. Das Ziel ist nicht, jeden Konflikt zu eskalieren, sondern informierte Entscheidungen zu treffen: die eigene Rolle klären, realistische Optionen entwickeln, rechtliche Fristen beachten und, wo sinnvoll, professionelle Unterstützung einbinden.
Je früher Beschäftigte handeln, desto eher verhandeln sie auf Augenhöhe – und desto geringer ist die Gefahr, in ein Cold Firing hineinzurutschen oder durch eine überhastete Eigenkündigung auf berechtigte Ansprüche zu verzichten.




