Ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) bringt Klarheit in eine bislang oft missverstandene Regelung im Rentenrecht: Wer eine Witwen- oder Witwerrente erhält und zusätzlich eine eigene Altersrente bezieht, muss mit einer rückwirkenden Kürzung und Rückforderung rechnen – und das unter Umständen über viele Jahre hinweg. (AZ: L 5 R 293/21)
Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wann liegt eine grobe Pflichtverletzung vor und wie weit reicht die Rückforderung?
Inhaltsverzeichnis
Doppelte Rentenzahlung über Jahre – was war passiert?
Im konkreten Fall ging es um eine Rentnerin, die seit 1996 eine große Witwenrente bezog. Als sie später – ab Juni 1999 – auch eine eigene Altersrente erhielt, versäumte sie es, dies der Rentenkasse unter der Versicherungsnummer der Hinterbliebenenrente mitzuteilen.
Diese Angabe war jedoch verpflichtend. Erst zwanzig Jahre später, durch einen automatisierten Datenabgleich, entdeckte der Rentenversicherungsträger die Doppelzahlung. Die Folge: Der alte Rentenbescheid wurde rückwirkend aufgehoben, ein Betrag von rund 60.000 Euro sollte zurückgezahlt werden.
Die Frau wehrte sich – zunächst mit Erfolg vor dem Sozialgericht, doch das Hessische Landessozialgericht und schließlich das BSG urteilten zugunsten der Behörde.
Wann liegt grobe Fahrlässigkeit im Rentenrecht vor?
Das BSG stellte in seiner Entscheidung klar: Eine grob fahrlässige Pflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn eine rentenberechtigte Person es unterlässt, den Hinzutritt einer eigenen Altersrente ausdrücklich zu melden – auch wenn die betreffende Rente vom selben Versicherungsträger ausgezahlt wird.
Der Verweis auf interne Abläufe oder darauf, dass die Information ja im Altersrentenantrag enthalten gewesen sei, reicht nach Ansicht der Richter nicht aus. Entscheidend ist, dass die Mitteilung an der richtigen Stelle – nämlich unter der Versicherungsnummer der Hinterbliebenenrente – erfolgt. Selbst die Tatsache, dass beide Renten aus demselben Haus stammen, befreit nicht von der Pflicht zur aktiven Mitwirkung.
Der Rentenversicherungsträger darf und muss sich nicht darauf verlassen, dass Informationen intern weitergegeben werden.
Hinweise im Rentenbescheid sind rechtlich bindend
Besondere Bedeutung kommt dabei dem Rentenbescheid selbst zu. In dem konkreten Fall war dort unmissverständlich darauf hingewiesen worden, dass der Bezug von Erwerbsersatzeinkommen – wozu auch eigene Altersrenten zählen – Einfluss auf die Höhe der Witwenrente haben kann. Ebenso war ausgeführt, dass solche Änderungen unverzüglich mitzuteilen sind.
Den Einwand der Klägerin, sie habe diese Hinweise nicht richtig verstanden oder sei davon ausgegangen, dass die Behörde alle notwendigen Informationen ohnehin vorliegen habe, ließ das Gericht nicht gelten. Auch das fortgeschrittene Alter der Klägerin oder ihre zwischenzeitlich verbrauchten Ersparnisse spielten im Urteil keine Rolle. Der Grundsatz der Vermögenshaftung wiegt nach Ansicht der Richter schwerer als subjektive Empfindungen oder fehlendes Fachwissen.
Selbst für Laien sei nachvollziehbar, dass bei gleichzeitiger Zahlung zweier Rentenarten eine Anrechnung stattfinden müsse. Dass über Jahre kein entsprechender Änderungsbescheid eingegangen sei, hätte der Klägerin auffallen und Anlass zur Nachfrage geben müssen.
Rentenempfänger müssen selbst aktiv werden
Hinter dem juristischen Streit verbirgt sich eine sozialpolitisch brisante Frage: Können Rentnerinnen und Rentner wirklich über Jahrzehnte hinweg für Behördenfehler oder versäumte interne Datenabgleiche in Haftung genommen werden? Das BSG sagt ja – und verweist auf die gesetzlich verankerte Pflicht zur Eigenverantwortung.
Wer Leistungen erhält, müsse auch prüfen, ob diese korrekt sind, und aktiv auf mögliche Änderungen hinweisen. Wer sich allein auf die Verwaltung verlässt, handelt auf eigenes Risiko. Die Entscheidung zeigt deutlich: Die Mitwirkungspflicht endet nicht mit der Antragstellung.
Sie gilt über den gesamten Leistungszeitraum hinweg – und zwar ausdrücklich auch dann, wenn Leistungen aus verschiedenen Versicherungskonten beim selben Träger kommen.
Rückforderung trotz Verjährung möglich – was sagt das Gesetz?
Im Urteil wird zudem betont, dass die Rückforderung nicht auf einen Zeitraum von vier oder zehn Jahren beschränkt ist. Wenn der Betroffene grob fahrlässig handelt oder Kenntnis vom Anspruchswegfall hatte, kann die Rückforderung auch darüber hinaus erfolgen.
Entscheidend ist, dass die Zahlung bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens ununterbrochen weiterlief – was hier der Fall war. In der Praxis bedeutet das: Selbst nach Jahrzehnten kann der Rentenversicherungsträger Leistungen zurückfordern, wenn er erst spät von der Doppelzahlung erfährt und dem Betroffenen grobe Fahrlässigkeit vorwirft.
Das bedeutet das Urteil für Rentner mit Witwenrente
Für Betroffene ergibt sich daraus eine klare Lehre: Wer eine Hinterbliebenenrente bezieht und gleichzeitig eine eigene Altersrente oder ein vergleichbares Einkommen erhält, muss dies der Rentenkasse mitteilen – und zwar eindeutig und unter der richtigen Versicherungsnummer.
Es genügt nicht, im Antrag auf Altersrente die Witwenrente zu erwähnen. Auch Hinweise auf fehlende Rückmeldungen seitens der Behörde oder auf vermeintlich widersprüchliche Formulierungen im Bescheid greifen nach dieser Rechtsprechung nicht. Wer solche Mitteilungen versäumt, muss im Zweifel mit einer Rückforderung in voller Höhe rechnen.
Rentenbescheide prüfen und rechtzeitig reagieren
Das Urteil des BSG hat somit weitreichende Bedeutung – nicht nur für die Klägerin, sondern für viele Rentnerinnen und Rentner in ähnlicher Lage. Es zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, Rentenbescheide sorgfältig zu lesen, Hinweise ernst zu nehmen und Änderungen rechtzeitig zu melden.
Denn nur wer seiner Mitwirkungspflicht konsequent nachkommt, kann sich vor bösen Überraschungen schützen – auch noch Jahre nach Rentenbeginn.




