Ein Grad der Behinderung von 50 oder mehr ist als Schwerbehinderung anerkannt. Das bedeutet für die Betroffenen Nachteilsausgleiche und Hilfen im Beruf und im Alltag. Gilt auch ADHS als Behinderung, und wenn, dann auch als Schwerbehinderung? Wir klären auf.
Inhaltsverzeichnis
ADHS kann als Behinderung anerkannt werden
Erst einmal lautet die Antwort: Ja! ADHS kann vom Versorgungsamt als Behinderung gewertet werden, und der Grad der Behinderung kann in bestimmten Fällen 50 oder mehr betragen.
Bei Schwerbehinderung besteht ein Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis.
Hilfe ist auch ohne anerkannte Behinderung möglich
ADHS gilt als seelische Störung. Damit kann für betroffene Kinder und Jugendliche ebenso wie für Erwachsene ein Anspruch auf Eingliederungshilfe bestehen. Dieser Anspruch ist sogar möglich, wenn noch kein Grad der Behinderung festgestellt und auch noch nicht geprüft wurde.
Entschieden wird im Einzelfall
Den Grad der Behinderung bestimmt das zuständige Versorgungsamt. Dieses hält sich bei der Feststellung des Grads der Behinderung an die festgelegten “Versorgungsmedizinischen Grundsätze”.
Diese geben einen Rahmen dafür, bei welchen Einschränkungen durch welche Erkrankungen und Behinderungen welcher Grad der Behinderung angemessen ist. Diese Grundsätze dienen als Koordinatensystem, und es kommt immer auf den Einzelfall an.
Die Beeinträchtigung entscheidet, nicht die Diagnose
ADHS wird bei den Grundsätzen der Versorgungsmedizin unter den Verhaltensstörungen / emotionalen Störungen geführt, die in Kindheit und Jugend beginnen.
Um diese anzuerkennen ist eine medizinische Diagnose nötig, die den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation gerecht wird. Zusätzlich auftretende psychische Störungen müssen extra berücksichtigt werden.
Ganz wichtig ist, weil dies in der Öffentlichkeit oft verwechselt wird: Ob eine Behinderung vorliegt und welchen Grad diese Behinderung hat, entscheidet nicht die Diagnose der Erkrankung, sondern das Ausmaß, in welchem diese die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt.
Hyperkinetische Störungen
Deshalb geht es in den Versorgunsgmedizinischen Grundsätzen auch nicht um die feinen Abstufungen der jeweiligen ADHS-Diagnosen, sondern diese werden zusammengefasst unter “Hyperkinetische Störungen und Aufmerksamkeitsstörungen ohne Hyperaktivität”.
Wann gilt welcher Grad der Behinderung?
Eine vorliegende ADHS, die nicht zu Schwierigkeiten der sozialen Anpassungen führt, beeinträchtigt nicht die Teilhabe und ist keine Behinderung. Liegen Schwierigkeiten bei der sozialen Anpassung vor, dann richtet sich der Grad der Behinderung danach, wie stark sich diese auf die Fähigkeit zur Integration auswirken.
Bei Schwierigkeiten in der sozialen Anpassung, die sich noch nicht auf die Integrationsfähigkeit auswirken gilt ein Grad der Behinderung (GdP) von zehn bis 20.
Zeigen sich Integrationsprobleme in mehreren Bereichen wie Schule, Arbeitsmarkt, häuslichem oder öffentlichem Leben oder müssen die Betroffenen überdurchschnittlich beaufsichtigt werden, dann liegt der GdP zwischen 30 und 40.
Ist eine umfassende Unterstützung / Beaufsichtigung nötig, um den Betroffenen die Integration zu ermöglichen, dann handelt es sich um einen Grad der Behinderung von 50-70. Ab einem GdP von 50 liegt eine Schwerbehinderung vor, und die Betroffenen haben einen Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis.
Ist selbst bei umfassender Unterstützung eine Integration nicht möglich, dann handelt es sich um einen GdP von 80-100.
In der folgenden Tabelle haben wir Grade bei Behinderungen im Zusammenhang mit ADHS noch einmal übersichtlich dargestellt:
Tabelle Grad der Behinderung bei ADHS | |
Bei sozialen Anpassungsschwierigkeiten | GdB |
Ohne Auswirkung auf die Integrationsfähigkeit | 10–20 |
Mit Auswirkungen auf die Integrationsfähigkeit in mehreren Lebensbereichen. | 30–40 |
Mit Auswirkungen, die die Integration in Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung oder umfassende Beaufsichtigung ermöglichen. | 50–70 |
Mit Auswirkungen, die die Integration in Lebensbereiche auch mit umfassender Unterstützung nicht ermöglichen. | 80–100 |
Schwerbehindertenstatus und Nachteilsausgleich
Wer von ADHS betroffen ist und deshalb einen GdP von 50 oder mehr hat, ist berechtigt zu den Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen. Diese umfassen einen erweiterten Kündigungsschutz, zusätzliche Urlaubstage, und bei Rentenversicherung eine um zwei Jahre vorgezogene Rente ohne Abschläge.
Hinzu kommen freiwillig angebotene Vergünstigungen von Verkehrsunternehmen, Kulturveranstaltern, Schwimmbädern, Wellnesszentren oder Bildungseinrichtungen.
Wann liegt eine umfassende Unterstützung vor?
Eine umfassende Unterstützung liegt vor, wenn Betroffene zum Beispiel zur Schule begleitet werden müssen, ambulant betreut wohnen, oder im Beruf ein umfassendes ADHS-Coaching erhalten.
Dann besteht (wahrscheinlich) Anspruch auf einen GdP von mindestens 50 und einen Schwerbehindertenausweis.
Keine Integration trotz umfassender Unterstützung?
Dass eine Integration trotz umfassender Unterstützung nicht möglich ist, also ein GdP von 80-100 vorliegt, zeigt sich zum Beispiel, wenn wegen ADHS die Schulfpflicht ruht oder Betroffene eine Förderschule besuchen müssen, da trotz Schulbegleitung und anderen Hilfen eine Inklusion nicht gelingt.
Grad der Behinderung bei Erwachsenen mit ADHS
Bei Erwachsenen führt ADHS allein nur selten zu einem Grad der Behindeurng über 50. Anders liegt der Fall, wenn die Betroffenen einer Werkstatt für Behinderte arbeiten oder in einem Heim leben müssen.
Alle Einschränkungen gelten
Komorbiditäten, also weitere Erkrankungen infolge der ADHS, sind häufig. Dazu gehören Depressionen, Entwicklungsstörungen, Leistungsstörungen wie Legasthenie sowie Epilepsie.
Beim Festlegen des GdP erhält jede dieser zusätzlichen Erkrankungen einen einzelnen GdP. Diese werden allerdings nicht einfach addiert, sondern die Teilhabeeinschränkung wird insgesamt bewertet.
Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht, Sozialpolitik und Naturwissenschaften. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.