Rentner empört: Bald keine physischen Führerscheine und kein Bargeld mehr ab 2026?

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Im Netz kursiert ein oft geklicktes Video eines “Experten”, das weitreichende Änderungen ab 2026 ankündigt: Führerschein und Personalausweis würden „langsam abgeschafft“ und seien „bald nur noch digital verfügbar“. Zudem wird das Ende des Bargelds in Aussicht gestellt.

Die These trifft einen Nerv – besonders bei Rentnerinnen und Rentner, die Amtsgänge, Reisen oder den Arztbesuch seit Jahrzehnten mit einem vertrauten Dokumenten-Set erledigen.

Wer sich hinter die Schlagworte klemmt, findet jedoch eine deutlich nuanciertere Realität: Ja, die EU treibt die digitale Identität voran. Nein, physische Ausweise und Bargeld verschwinden 2026 nicht aus dem Alltag. Vielmehr werden Rentnerinnen und Rentner in die Irre geleitet und das von Experten, die für Rentnerinnen und Rentner mal mehr, mal weniger hilfreiche Videos veröffentlichen.

Schauen wir uns daher einfach einmal den genauen Hintergrund an und ordnen die Planungen der EU sachlich ein.

Die Sache selbst: Die European Digital Identity Wallet

Kern der anstehenden Neuerungen ist die „European Digital Identity Wallet“ (EUDI Wallet) – eine staatlich anerkannte, europaweit interoperable App, in der Bürgerinnen und Bürger digitale Nachweise speichern und kontrolliert vorzeigen können.

Die dazugehörige Rechtsgrundlage, die Verordnung (EU) 2024/1183 – häufig „eIDAS 2.0“ genannt –, ist am 20. Mai 2024 in Kraft getreten.

Nachdem die EU Ende November 2024 die technischen Durchführungsrechtsakte verabschiedet hat, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, innerhalb von 24 Monaten mindestens eine Wallet anzubieten. Praktisch bedeutet das: Bis Ende 2026 muss es in jedem EU-Land ein offizielles Wallet-Angebot geben.

Was sich ändert – und was ausdrücklich nicht

Die Wallet ist ein zusätzliches, sicheres Behältnis für Identitäts- und Berechtigungsnachweise. Sie soll das digitale Leben einfacher machen – etwa beim elektronischen Einloggen, bei der qualifizierten elektronischen Signatur oder beim digitalen Nachweis von Führerschein- oder Berufsqualifikationen.

Die EU legt hierfür nicht nur Funktionen fest, sondern auch Zertifizierungs- und Sicherheitsanforderungen. Nirgends steht jedoch, dass klassische Plastikkarten 2026 entfallen müssten.

Vielmehr verpflichtet die EU die Staaten primär dazu, ein Angebot zu schaffen; sie hebt die physische Welt nicht per Federstrich auf.

Der Führerschein: Digital kommt – das Physische bleibt

Parallel zur Wallet modernisiert die EU das Führerscheinrecht. Vorgesehen ist ein vollwertiger digitaler Führerschein, der auf dem Smartphone – perspektivisch in der EUDI Wallet – verfügbar ist.

Aber wichtig ist der rechtliche Hintergrund: Das Europäische Parlament hat festgehalten, dass physische und mobile Führerscheine inhaltlich gleichwertig sein müssen. Die Botschaft lautet also nicht „Abschaffung der Karte“, sondern „zweites, digitales Format mit gleicher Rechtswirkung“.

Der Personalausweis: Harmonisierung statt Abschied

Beim Personalausweis läuft seit Jahren eine andere, oft missverstandene Reform: Die EU hat 2019 Sicherheitsstandards für physische Ausweise vereinheitlicht. Alte, unsichere Dokumente werden stufenweise abgelöst. Für bestimmte, nicht maschinenlesbare Alt-Ausweise endet die Gültigkeit bereits am 3. August 2026; alle übrigen, nicht konformen Karten müssen spätestens bis 3. August 2031 ersetzt sein.

Diese Fristen betreffen die Qualität und Sicherheit physischer Karten – nicht deren Existenz. Der moderne Personalausweis als Plastikkarte bleibt also ein fester Bestandteil der Identitätslandschaft.

Bargeld: Rechtslage gegen Mythen

Selbsternannte Experten sprechen vom Ende des Bargelds. In der Euro-Zone ist das weder politischer Wille noch Rechtslage. Euro-Banknoten und -Münzen sind gesetzliches Zahlungsmittel; EU-Institutionen arbeiten im Gegenteil daran, Akzeptanz und Zugang zu Bargeld zu sichern und klarer zu regeln.

Auch im Zuge der Debatte um einen möglichen „Digitalen Euro“ betonen Kommission und EZB fortlaufend: Ein digitales Angebot würde Bargeld ergänzen, nicht ersetzen. Nationale Behörden unterstreichen ebenfalls die fortgeltende Rolle von Bargeld im Zahlungsverkehr.

Was die Wallet im Alltag leisten soll

Sinn und Zweck der EUDI Wallet ist die vertrauenswürdige, datensparsame Weitergabe genau der Attribute, die im Einzelfall nötig sind – etwa „über 18“ statt kompletter Ausweisdaten.

Für Nutzerinnen und Nutzer kann das vieles vereinfachen: staatliche Online-Dienste, das Unterschreiben rechtsverbindlicher Dokumente, das Nachweisen von Lizenzen oder beruflichen Befugnissen über Grenzen hinweg.

Die technische Basis dazu – von Kernfunktionen bis Zertifizierung – ist in den EU-Rechtsakten definiert, die einen hohen, einheitlichen Sicherheitsstandard im Binnenmarkt sicherstellen sollen.

Chancen und Hürden für ältere Menschen

Gerade für Rentnerinnen und Rentner steckt in der Wallet eine Ambivalenz. Wer mit Smartphone und PIN souverän umgeht, profitiert von weniger Papierkram, weniger Wegezeiten und einem einheitlichen Zugang zu digitalen Behördenleistungen.

Gleichzeitig bleibt die digitale Kluft ein reales Thema: Nicht jeder verfügt über fortgeschrittene Geräte, stabile Netze oder die notwendige Routine. Juristisch verlangt die EU-Architektur Sicherheit und Interoperabilität, politisch wird die Frage der Niedrigschwelligkeit entscheidend.

Damit die Wallet ein Gewinn für alle wird, müssen Staaten Unterstützung, Schulungen und praxistaugliche Offline-Alternativen anbieten – und Behörden ihre Prozesse so gestalten, dass niemand faktisch ausgeschlossen wird.

Zeitplan, Zuständigkeiten und offene Punkte

Der europäische Rahmen steht, doch Tempo und Detailausgestaltung des Roll-outs unterscheiden sich zwischen den Mitgliedstaaten. Maßgeblich ist, dass bis Ende 2026 mindestens ein nationales Wallet verfügbar sein muss und dass dessen Kernfunktionen sowie das Zulassungsverfahren europaweit einheitlich definiert sind.

In Bereichen wie digitalem Fahren, Gesundheits-Dokumenten oder Berufsqualifikationen wird die Integration schrittweise erfolgen. Begleitet wird das von Tests, Zertifizierungen und – unvermeidlich – politischen Debatten um Datenschutz, IT-Sicherheit und die Frage, welche Verfahren künftig bevorzugt werden.

Richtig ist also: 2026 markiert einen Meilenstein, weil die EU-Wallet flächendeckend angeboten werden muss und weil einzelne, alte Ausweis-Modelle auslaufen.

Falsch ist die Schlussfolgerung, die physische Welt ende damit. Für den Führerschein ist ausdrücklich die Gleichwertigkeit digitaler und physischer Formate vorgesehen; beim Personalausweis geht es um Sicherheitsstandards, nicht um die Abschaffung der Karte. Und für Bargeld sprechen Recht, Politik und Praxis weiter eine klare Sprache.

Was Sie konkret mitnehmen sollten

Für Bürgerinnen und Bürger – und ausdrücklich für Bezieher der Rente– ist die hilfreiche Perspektive weniger dramatisch als konstruktiv: Der Staat schafft ein zusätzliches, europaweit anerkanntes digitales Werkzeug. Wer es nutzt, kann viele Dinge schneller und medienbruchfrei erledigen. Wer es nicht nutzt, behält weiterhin seine physischen Dokumente und kann bezahlen wie bisher.

Die kommenden Monate bis Ende 2026 sollten Länder und Kommunen nutzen, um Wallets praxistauglich zu machen, Beratung und Schulungen aufzubauen und verlässlich zu kommunizieren, wo digitale und wo analoge Wege offenstehen. Dann wird aus einem Reizthema ein Fortschritt, der niemanden zurücklässt.

Europa macht mit der EUDI Wallet ernst – und rückt die Souveränität über die eigene Identität ins Zentrum der digitalen Infrastruktur. 2026 ist deshalb ein wichtiges Jahr.

Aber es ist nicht das Ende von Führerschein, Personalausweis und Bargeld. Es ist der Beginn einer Doppelspur, auf der physische und digitale Nachweise nebeneinander funktionieren sollen.

Wer also wie wir nüchtern hinschaut, erkennt: Die Chance überwiegt, wenn Sicherheit, Barrierefreiheit und Wahlfreiheit konsequent mitgedacht werden.