Rente gerettet: Oberlandesgericht beendet den Versorgungsausgleich nach längerer Trennung

Das Oberlandesgericht Berlin-Brandenburg hat im März 2025 einen richtungsweisenden Beschluss zum Versorgungsausgleich gefasst. Der Senat begrenzte die Teilung von Rentenanwartschaften in einem Fall, in dem die Ehegatten fast drei Jahrzehnte getrennt lebten, auf die Zeit bis kurz nach der Trennung.

Maßgeblich war die Feststellung, dass die „Versorgungsgemeinschaft“ der Ehe bereits seit Mitte der 1990er-Jahre beendet war.

Für langjährig getrennt lebende Paare, die eine späte Scheidung erwägen, ist das ein Urteil von erheblicher praktischer Bedeutung, weil es den Ausgleich der Rentenpunkte auf die echte Ehezeit und nicht auf bloßes formales Fortbestehen der Ehe beschränkt.

Der Fall in Kürze – und warum er besonders ist

Die Beteiligten hatten 1984 geheiratet. Nach übereinstimmender Darstellung lebten sie ab Mitte der 1990er-Jahre dauerhaft getrennt und wirtschaftlich vollständig eigenständig. Die Scheidung wurde erst 2024 ausgesprochen. Das Familiengericht wollte den Versorgungsausgleich über die gesamte formale Ehezeit hinweg – vom Jahr der Eheschließung bis zur Scheidung – durchführen.

Dagegen wandte sich die Ehefrau mit der Beschwerde. Ihr zentrales Argument: Nach Jahrzehnten der wirtschaftlichen Entflechtung sei es grob unbillig, weiterhin Anwartschaften zu teilen, die überhaupt nicht mehr in einer gemeinsamen Lebens- und Versorgungsgemeinschaft erworben worden seien.

Das Oberlandesgericht folgte dieser Sicht. Es erkannte, dass die eheliche Versorgungsgemeinschaft bereits nach rund 13 Jahren nicht mehr bestand, und legte den maßgeblichen Zeitraum deshalb von 1984 bis 1997 fest. Mit anderen Worten: Nicht die rein formale Dauer der Ehe, sondern die Zeit gelebter wirtschaftlicher Gemeinschaft gab den Ausschlag.

Versorgungsausgleich und „grobe Unbilligkeit“

Der Versorgungsausgleich dient dazu, während der Ehe erworbene Rentenanwartschaften zwischen den Ehegatten fair aufzuteilen. Nach dem Gesetz ist grundsätzlich die Zeit von Eheschließung bis Zustellung des Scheidungsantrags maßgeblich.

Zugleich kennt das Recht Korrekturmechanismen für atypische Konstellationen. Insbesondere kann der Ausgleich ganz oder teilweise entfallen, wenn er „grob unbillig“ wäre. Grobe Unbilligkeit liegt nicht schon bei jeder Ungleichheit vor; gefordert ist eine offensichtliche, schwerwiegende Unangemessenheit.

Eine sehr lange Trennungszeit bei vollständiger wirtschaftlicher Eigenständigkeit ist ein klassisches Indiz dafür, dass die Versorgungsgemeinschaft tatsächlich nicht mehr besteht. Genau diesen Maßstab hat das Oberlandesgericht angewendet.

Ende der Versorgungsgemeinschaft als Schlüsselkriterium

Zentral ist der Gedanke der Versorgungsgemeinschaft. Solange die Ehepartner gemeinsam wirtschaften, tragen sie Verantwortung für die gegenseitige Alterssicherung; dann ist es folgerichtig, die in dieser Zeit entstandenen Anwartschaften zu teilen.

Lösen die Ehegatten aber ihre Lebensführung dauerhaft auf, leben getrennt, bestreiten ihren Unterhalt aus eigenen Mitteln, erzielen eigenständige Erwerbseinkommen und planen ihre Altersvorsorge unabhängig voneinander, entfällt der innere Grund für eine wechselseitige Teilhabe an später entstehenden Anwartschaften.

Das Gericht knüpft damit weniger an den Trauschein als vielmehr an die gelebte Realität an. In der hier entschiedenen Konstellation war deshalb ab Mitte der 1990er-Jahre Schluss: Anwartschaften, die danach erworben wurden, sollten nicht mehr in den Ausgleich einfließen.

Die Konsequenzen im konkreten Fall

Das Oberlandesgericht ordnete einen zeitlich begrenzten Ausgleich an. Der Mann hatte 8,8893 Entgeltpunkte Ost an die Ehefrau zu übertragen. Umgekehrt musste die Frau 7,4118 Entgeltpunkte Ost sowie zusätzlich 3,16 Versorgungspunkte aus einer Zusatzversorgung (VBL) an den Mann abtreten. Im Ergebnis führte die Saldierung nur zu vergleichsweise geringen Verschiebungen.

Entscheidend war nicht die Höhe der Punkte, sondern das Prinzip: Nur die in der aktiven Versorgungsgemeinschaft erworbenen Anwartschaften sind auszugleichen. Alles, was nach der Trennung in wirtschaftlicher Eigenständigkeit aufgebaut wurde, bleibt grundsätzlich beim jeweiligen Erwerber.

Warum das Urteil vielen Betroffenen hilft

In der Praxis schieben Paare eine Scheidung aus vielfältigen Gründen auf. Häufig geht es um mögliche Nachteile bei Hinterbliebenenrenten, um Zugewinnausgleich oder um schlichte Konfliktvermeidung.

Das führt dazu, dass eine Ehe auf dem Papier fortbesteht, obwohl die Partner längst getrennte Wege gehen. Wer über Jahrzehnte getrennt lebt und seine Altersvorsorge aus eigenem Erwerb bestreitet, musste bislang oft damit rechnen, dass der Versorgungsausgleich gleichwohl bis zum Scheidungszeitpunkt reicht.

Das nun bestätigte Leitbild der begrenzten Ehezeit im Sinne der Versorgungsgemeinschaft setzt dem klare Grenzen. Es schützt diejenige Person, die nach der Trennung eigenständig Anwartschaften aufgebaut hat, davor, diese später noch umfassend teilen zu müssen.

Voraussetzungen und Grenzen des Ansatzes

Das Urteil ist kein Freifahrtschein für die vollständige Abkehr vom Versorgungsausgleich. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Erforderlich ist eine verfestigte, langjährige Trennung mit klarer wirtschaftlicher Eigenständigkeit.

Dazu zählen getrennte Haushaltsführung, eigene Einkommen, keine wechselseitigen Versorgungsleistungen und keine fortbestehenden rentenrelevanten Gemeinschaftsentscheidungen. Kurzzeitige Trennungen, schwankende wirtschaftliche Abhängigkeiten oder fortlaufende Unterhaltsleistungen können die Annahme einer beendeten Versorgungsgemeinschaft entkräften.

Auch bleibt Raum für Wertungen: Die Gerichte wägen die Billigkeit stets umfassend ab. Das macht die sorgfältige Dokumentation der Lebensverhältnisse seit der Trennung umso wichtiger.

Einordnung im System des Versorgungsausgleichs

Dogmatisch fügt sich die Entscheidung nahtlos in den Zweck des Versorgungsausgleichs ein. Dieser ist als innere Folgerung der ehelichen Solidarität konzipiert. Löst sich diese Solidarität im Bereich der Altersvorsorge faktisch auf, verliert der automatische Ausgleichsmechanismus seine Legitimation.

Die Begrenzung auf den Zeitraum gelebter Versorgungsgemeinschaft ist deshalb keine Aufweichung des Schutzes, sondern eine Präzisierung.

Sie wahrt die Fairness gegenüber beiden Seiten: Wer während der Ehe weniger verdient hat, erhält weiterhin Teilhabe an den in dieser Zeit erworbenen Anwartschaften. Wer später eigenständig für das Alter vorgesorgt hat, muss diese eigenständigen Leistungen nicht mehr rückwirkend teilen.

Praktische Hinweise für langjährig Getrennte

Für Menschen, die seit vielen Jahren getrennt leben und eine Scheidung erwägen, ist das Urteil eine Einladung, die eigenen Verhältnisse genau zu prüfen. Wichtig ist, die wirtschaftliche Entflechtung belegbar zu machen. Dazu gehören etwa Nachweise über getrennte Konten, eigenständige Miet- und Arbeitsverhältnisse, das Fehlen wechselseitiger Unterhaltszahlungen und eigenständige Vorsorgedispositionen.

Ebenso bedeutsam sind die zeitlichen Eckdaten: Ab wann wurde getrennt gelebt, wie lange hält dieser Zustand an, und gab es zwischenzeitliche Rückkehr- oder Unterstützungsphasen?

Je klarer diese Punkte dokumentiert sind, desto verlässlicher lässt sich der versorgungsausgleichsrelevante Zeitraum eingrenzen.

Bedeutung über den Einzelfall hinaus

Das Urteil des OLG Berlin-Brandenburg wirkt über den konkreten Rechtsstreit hinaus, weil es das Leitbild der Versorgungsgemeinschaft schärft und zeitlich konkretisiert.

Es trägt der gesellschaftlichen Realität Rechnung, dass Ehen nicht selten formal fortbestehen, obwohl ein gemeinsames Wirtschaften seit Jahren nicht mehr stattfindet. Zugleich wahrt es den Schutzgedanken des Versorgungsausgleichs für die echte Ehezeit.

Für die Praxis der Familiengerichte ist es ein deutliches Signal, bei außergewöhnlich langen Trennungsphasen die Billigkeitsklausel selbstbewusst anzuwenden und die Ausgleichszeiträume zu begrenzen.

Fazit

Das OLG Berlin-Brandenburg setzt einen klaren Maßstab: Der Versorgungsausgleich spiegelt die gelebte Versorgungsgemeinschaft, nicht bloß das formale Fortbestehen der Ehe.

Bei langjähriger Trennung und vollständiger wirtschaftlicher Eigenständigkeit endet die Teilung von Rentenanwartschaften mit dem Ende dieser Gemeinschaft. Wer betroffen ist, sollte die eigenen Verhältnisse sorgfältig dokumentieren und frühzeitig fachkundigen Rat einholen. Das Urteil stärkt die Fairness des Versorgungsausgleichs – und sorgt dafür, dass Altersvorsorge dort geteilt wird, wo sie gemeinsam erarbeitet wurde. (Aktenzeichen: 13 UF 101/24)