Rente: Es droht eine versteckte Rentenkürzung

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In den aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD bahnt sich ein leiser, aber tiefgreifender Richtungswechsel in der Altersvorsorge an.

Während öffentlich über Garantien und Beitragssätze diskutiert wird, steht ein Vorschlag der Union in der Kritik, der die Rentenberechnung dauerhaft verändern könnte – mit spürbaren Einbußen für künftige Rentner.

Was steckt hinter dem Streit?

Im Zentrum steht die sogenannte Standardrente. Diese rein statistische Größe dient als Referenzwert für das Rentenniveau.

Bisher wurde sie auf Grundlage von 45 Beitragsjahren berechnet. Die Union schlägt nun vor, diesen Zeitraum auf 47 Jahre zu erweitern. Auf den ersten Blick mag das wie eine harmlose technische Anpassung wirken – doch die Folgen wären erheblich.

Denn das Rentenniveau, also das Verhältnis zwischen der Rente eines Standardrentners und dem aktuellen Durchschnittslohn, würde sich rechnerisch stabilisieren oder sogar steigen – ohne dass reale Renten tatsächlich erhöht werden. Im Gegenteil: Die Renten könnten langsamer wachsen als die Löhne. Die Zahlen blieben schön, die Kaufkraft aber sinkt.

Warum diese Änderung mehr ist als ein Rechentrick

Die CDU argumentiert, dass ein wachstumsorientierter Ansatz nachhaltiger sei als eine gesetzliche Festschreibung des Rentenniveaus. Das bedeutet konkret: Statt Renten über Beitragserhöhungen zu sichern, soll die Wirtschaft durch höhere Beschäftigungsquoten und steigende Löhne gestärkt werden.

Der Vorschlag, das Rentenniveau an 47 Beitragsjahre zu knüpfen, erfüllt auf dem Papier genau dieses Ziel – allerdings nur optisch. Durch die neue Berechnungsgrundlage steigt der Referenzwert für die Standardrente, wodurch die Relation zum Durchschnittslohn künstlich aufrechterhalten wird.

Rentner bekommen jedoch keine höhere Auszahlung – im Gegenteil: Wer in Zukunft in Rente geht, erhält bei gleicher Erwerbsbiografie weniger Geld als nach der alten Berechnung.

Konkrete Auswirkungen auf die Rentenhöhe

Ein Praxisbeispiel verdeutlicht das Ausmaß: Wer 45 Rentenpunkte gesammelt hat – also 45 Jahre lang durchschnittlich verdient und Beiträge gezahlt hat – würde nach dem bisherigen System monatlich rund 2.112,75 Euro brutto erhalten (gerechnet mit einem Rentenpunktwert von ca. 46,95 Euro im Jahr 2031). Mit dem neuen Modell, das einen Wert von nur 44,95 Euro ansetzt, wären es nur 2.022,75 Euro – eine Differenz von 90 Euro im Monat.

Über die Jahre summiert sich dieser Betrag. Hochrechnungen zufolge könnten Rentnerinnen und Rentner bis 2050 durch die Änderung insgesamt bis zu 28.000 Euro verlieren – pro Person. Besonders betroffen wären Menschen mit durchgehender Erwerbstätigkeit und niedrigem bis mittlerem Einkommen, also genau jene, die ohnehin wenig Spielraum im Ruhestand haben.

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SPD setzt auf gesetzlich festgeschriebenes Rentenniveau

Im Gegensatz zur Union beabsichtigt die SPD die derzeit gültige Haltelinie von 48 Prozent beizubehalten – und zwar ohne Veränderung der Berechnungsgrundlage. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat bereits eine Rentenerhöhung um 3,74 Prozent für dieses Jahr angekündigt. Die Sozialdemokraten sehen in einem stabilen Rentenniveau ein wichtiges sozialpolitisches Signal und wollen es dauerhaft im Gesetz verankern.

Allerdings ist klar: Wenn die Renten auf dem bisherigen Niveau bleiben, steigen auch die Kosten. Beitragszahler müssten mit höheren Abgaben rechnen. Angesichts des demografischen Wandels – immer mehr Rentner bei gleichzeitig weniger Erwerbstätigen – ist das ein politisch heikles Versprechen.

Gewerkschaften schlagen Alarm

Kritik an dem CDU-Vorstoß kommt auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). DGB-Chefin Yasmin Fahimi warnt vor einer „systematischen Rentenkürzung durch die Hintertür“. Sie sieht in der geplanten Neudefinition einen Versuch, reale Einschnitte zu verschleiern: Renten würden rechnerisch stabilisiert, während faktisch weniger Geld ausgezahlt werde.

Fahimi fordert stattdessen strukturelle Maßnahmen zur Stabilisierung der Rentenversicherung, etwa durch bessere Tarifbindung, gezielte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und eine Ausbildungsoffensive für Geringqualifizierte. Nur so könne das System langfristig tragfähig gestaltet werden – ohne auf Kosten derjenigen, die jahrzehntelang gearbeitet haben.

Experten warnen vor sozialen Risiken

Sozialverbände wie die Caritas warnen bereits jetzt vor wachsender Altersarmut. Schon heute gelten rund 13,6 Prozent der über 65-Jährigen als armutsgefährdet. Eine langsame Entkopplung der Rentenentwicklung vom Lohnwachstum könnte diese Zahl weiter steigen lassen. Besonders betroffen wären Frauen, Teilzeitbeschäftigte und Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien.

Ein sinkendes Rentenniveau bei gleichzeitig steigenden Lebenshaltungskosten könnte nicht nur finanzielle Notlagen verursachen, sondern auch das Vertrauen in die Stabilität des Sozialstaats gefährden. Eine offene und ehrliche Debatte über die tatsächlichen Auswirkungen der Rentenpolitik ist daher unerlässlich.

Generationengerechtigkeit oder stille Kürzung?

Die Junge Union plädiert offen für eine Rückkehr zum Rentenniveau von 43 Prozent und beruft sich auf das Prinzip der „fairen Lastenverteilung“. Doch Kritiker sehen darin eher ein Sparprogramm auf dem Rücken der Älteren. Denn durch eine vermeintlich gerechtere Verteilung entsteht vor allem eines: eine strukturelle Kürzung, die kaum jemand offen ausspricht.

Es ist nicht das erste Mal, dass in der Rentenpolitik mit unscheinbaren Änderungen gearbeitet wird. Doch dieses Mal scheint sich eine Strategie abzuzeichnen: weniger direkte Einschnitte, mehr mathematische Anpassungen – mit erheblichen realen Folgen.