Nullrunde beim Bürgergeld durch Berechnungsfehler

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Im Mai teilte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit, dass es 2025 voraussichtlich eine Nullrunde beim Bürgergeld geben wird. In seltener Einigkeit appelliert ein Bündnis aus acht Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Erwerbsloseninitiativen an den Minister und die Abgeordneten im Bundestag. Den Sozialverbänden zufolge treibt dieses Einfrieren der Sozialleistungen Millionen Menschen weiter in die Armut.

Wer warnt vor den sozialen Folgen der Nullrunde?

Beteiligt am Bündnis sind AWO Bundesverband e.V., Deutscher Gewerkschaftsbund DGB, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e.V., Diakonie Deutschland, Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS), Sozialverband Deutschland e.V., Sozialverband VdK Deutschland e.V. und Zukunftsforum Familie e.V.

Was fordert das Bündnis?

Der Bündnis verlangt, die Bürgergeld-Anpassung für 2025 kurzfristig zu reformieren. Die derzeitige Berechnungsmethode führe 2025 zu einem weiteren Verlust an Kaufkraft und damit zu verschärfter Armut bei den sowieso Ärmsten.

Konkret sollte vom derzeit gültigen Regelsatz von 563 Euro ausgegangen werden, und dies unter zusätzlicher Berücksichtigung der gegenwärtigen Preiserhöhungen.

“Das Bürgergeld reicht schon heute nicht aus”

Joachim Rock, in Zukunft Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, erläutert: “Das Bürgergeld reicht schon heute nicht aus, um eine gesunde Ernährung, Mobilität und soziale Teilhabe finanzieren zu können.

Die Regelsätze bestimmen die Lebensumstände von über sieben Millionen Menschen, die mit steigenden Kosten kämpfen, maßgeblich mit. Eine Nullrunde darf es deshalb nicht geben, sie widerspräche auch Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.”

“Höherer Mindestlohn und Inflationsausgleich”

Anja Piel aus dem Vorstand des DGB erklärt, was statt einer Nullrunde beim Bürgergeld dringend nötig wäre: „Wir brauchen mehr Bezahlung nach Tarif, einen höheren Mindestlohn und beim Bürgergeld auch in Zukunft mindestens einen Inflationsausgleich.

Denn das Preisniveau bleibt hoch und damit bleibt das Leben teuer. Auch wenn die Preise zuletzt weniger stark gestiegen sind, kommt man mit einem kleinen Einkommen kaum über die Runden. Es ist ungerecht, Menschen das soziale Netz Bürgergeld wegzureißen.“

“Eine Frage des Anstands”

Michael Groß aus dem Präsidium der Arbeiterwohlfahrt bemängelt den fehlenden Mut, für einen der Zeit angemessenen Sozialstaat einzustehen: „Ein anständiger Inflationsausgleich für die Ärmsten in unserer Gesellschaft ist eine Frage des Anstands und muss daher selbstverständlich sein.

Was derzeit fehlt, ist der Mut für eine zukunftsorientierte Politik, die zuerst Ziele für eine gerechtere Gesellschaft formuliert und im zweiten Schritt mit den dafür nötigen finanziellen Mitteln tatsächlich auch hinterlegt.”

“Druck aus dem Kessel nehmen”

Groß schlägt vor: “Wir müssen mit einer Reform der Schuldenbremse und der Stärkung der Einnahmenseite endlich Druck aus dem Kessel nehmen und einen Sozialstaat gestalten, der wirklich keinen zurücklässt.“

Schon vor der Inflation war der Regelsatz unter dem Bedarf”

Maria Loheide, in der Diakonie für Sozialpolitik zuständig, erinnert daran, dass die Regelsätze bereits vor der Inflation zu niedrig waren und ruft dazu auf, dass der Sozialstaat seiner Pflicht gerecht wird: “Die Kaufkraft der Regelsätze darf nicht weiter sinken. Sonst werden immer mehr Menschen in Deutschland existentiell bedroht (…). Das kann ein Sozialstaat nicht einfach hinnehmen.“

“Es gab keine großzügige Erhöhung des Bürgergeldes”

Die Verfasser des Appells weisen auf oftmals geleugnete soziale Realitäten hin. Im Gegensatz zu Behauptungen (wie sie vor allem aus der Union, von der AfD und der FDP kommen, Anmerkung gegen-hartz.de), sei das Bürgergeld in den letzten zwei Jahren überhaupt nicht “großzügig erhöht” worden.

Im Gegenteil würden aktuelle Analysen belegen, dass die Kaufkraft der Leistungsberechtigten von 2021-2023 erheblich sank. Die Erhöhung 2024 hätte diese Verluste nur zu einem kleinen Teil kompensiert.

“Nullrunde ist eine Unverschämtheit”

Die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier sagt: “Für viele Menschen in Deutschland gehört Armut zu ihrem Alltag. Das erleben wir tagtäglich in unseren Beratungsstellen. Vielen fehlt schlicht das Geld für das Bahnticket, um Familie und Freunde zu besuchen oder um gesunde Lebensmittel zu kaufen.”

Dies hängt auch und gerade mit den zu niedrigen Regelsätzen zusammen. So erklärt Engelmeier: “Ein Grund dafür sind Regelbedarfe, bei denen von einer wirklichen Existenzsicherung keine Rede sein kann. Dass jetzt eine Nullrunde trotz anhaltender Inflation droht, ist eine Unverschämtheit.”

“Regelbedarf an die Realität anpassen”

Engelmeier schließt: “Die Regelbedarfsermittlung muss an die Realität der Menschen angepasst werden. Und wer jetzt noch mit angeblich fehlenden Erwerbsanreizen um die Ecke kommt: Unterstützen Sie doch einfach unsere Forderung nach einem angemessenen Mindestlohn in Höhe von 15,02 EUR!”

Eine neue Berechnungsmethode

Laut den Unterzeichnern berücksichtigt die Berechnungsmethode, die die Bundesregierung für die Anpassung des Bürgergeldes einführte, Preissteigerungen zwar besser als zuvor bei Hartz IV.

“Berechnungsfehler treibt die Ärmsten noch weiter in die Armut”

Doch 2025 wird ein Konstruktionsfehler in der Berechnung für Leistungsberechtigte zum finanziellen Fiasko: Die Grundlage ist dann nämlich nicht der derzeitige Regelsatz von 563 Euro, sondern ein fiktiver Wert von 512 Euro.

Erst ab einer Anpassung (Erhöhung) von rund zehn Prozent würde auch nur der jetzige Regelbedarf erreicht. Eine solche Anpassung ist wegen der fortlaufenden Inflation aber nicht in Aussicht.

Weiter steigende Preise und weiter sinkende Kaufkraft werden dann beim Regelsatz 2025 nicht berücksichtigt. Für Bürgergeld-Bezieher bedeutet das: Die Ärmsten werden noch ärmer. Genau dagegen kämpfen Sozialverbände und Gewerkschaften.