Die Paritรคtische Forschungsstelle verรถffentliche die Ergebnisse einer Studie zu “Armut von Studierenden in Deutschland”. Das erschreckende Resultat lautet: 36 Prozent aller Studierenden hierzulande leiden unter Armut.
Inhaltsverzeichnis
Chancengleichheit nur auf dem Papier
Die Paritรคtische Forschungsstelle informiert รผber die Leitlinie der deutschen Bildungspolitik.
Als grundlegendes Ziel der Ausbildungsfรถrderung sei darin die Chancengleichheit definiert, und das bedeute: “Der individuelle Bildungserfolg darf nicht von
der sozialen Herkunft und den finanziellen Mรถglichkeiten der Eltern abhรคngen.”
Das Berufs-BAfรถG solle die materielle Existenz der Studierenden sichern. Doch, so die Forschungsstelle: “Diese Ziele werden zuletzt immer weniger erreicht.”
Immer weniger bekommen BAfรถG
Der Anteil der Studierenden, die BAfรถG erhalten, sinkt, laut der Studie, rapide. 2022 bezogen 335.000 Studierende diese Leistungen, also gerade einmal 11,7 Prozent. 2012 waren es noch 440.000 – und damit 18,7 Prozent.
Die Zahl der Studierenden nahm seitdem erheblich zu, aber die Zahl derer unter ihnen, die BAfรถG erhalten, nahm massiv ab – und dies gilt nicht nur prozentual, sondern sogar in absoluten Zahlen.
Nullrunden beim BAfรถG
Nicht nur, dass immer weniger Studierende BAfรถG erhalten, dieses wird auch immer geringer – angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten. Die Paritรคtische Forschungsstelle schreibt: “Nach mehreren Nullrunden bzw. unzureichenden Anpassungen haben die Leistungen des BAfรถG zudem an Wert verloren.”
Das hat schlimme Folgen, denn das erhaltene BAfรถG deckt deutlich nicht den lebensnotendigen Bedarf. Das zeigt sich, so die Foschungsstelle, in der hohen Armutsquote unter Studierenden.
Erschreckender Befund
Die Paritรคtische Forschungsstelle kommt zu einem erschreckenden Befund: 2023 waren rund 36 Prozent aller Studierenden in Deutschland von Armut betroffen. Dies liegt sehr deutlich รผber der Armutsquote der Gesamtbevรถlkerung, denn diese betrรคgt 14,4 Prozent (was in einem reichen Land bereits viel zu viel ist).
80 Prozent aller allein stehenden Studierenden sind arm
Sogar der hohe Anteil von insgesamt 36 Prozent der Studierenden unter der Armutsgrenze trรผgt, wenn man sich die miserable Situation einzelner Gruppen unter ihnen ansieht. Bei Studierenden, die allein oder in Wohngemeinschaften leben, betrรคgt die Armutsquote nรคmlich 80,2 Prozent. Nur jeder und jede fรผnfte unter ihnen hat ausreichende Mittel fรผr den Lebensunterhalt.
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Verzerrung durch die Berechnung
Die Berechnung wird dadurch verzerrt, dass bei Studierenden in Mehrpersonen-Haushalten die Einkommen der anderen Haushaltsmitglieder einbezogen werden, das Gesamteinkommen des Haushalts zusammen gezรคhlt und durch die Anzahl der Personen geteilt wird.
Andere Haushaltsmitglieder sind meist die verdienenden Eltern. Betrรคgt jetzt das Einkommen des Vaters 2500 Euro, das der Mutter 1500 und das der studierenden Tochter Null kommt beim Teilen durch drei heraus: 1333, 33 Euro.
Die Studentin gilt damit nicht als armutsbetroffen, obwohl sie keinen Cent eigenes Einkommen zur Verfรผgung hat.
Einschรคtzung muss sich auf alleinstehende Studierende konzentrieren
Die Paritรคtische Forschungsstelle hรคlt es wegen dieser Verzerrung fรผr sinnvoll, sich bei der Einschรคtzung der tatsรคchlichen materiellen Lage der Studierenden auf diejenigen zu konzentrieren, die allein leben oder allein wirtschaften (dazu gehรถren auch WGs).
รberlastung durch Wohnkosten
Studierende sind in der Mehrheit รผberlastet mit dem Zahlen der Wohnkosten. Circa 60 Prozent der allein oder in Wohngemeinschaften lebenden Studierenden mรผssen mehr als 40 Prozent ihres verfรผgbaren Gesamteinkommens fรผr die Wohnkosten ausgeben. Insgesamt betrifft diese Notlage rund ein Viertel aller Studierenden.
Die รberlastung durch Wohnkosten ist damit rund doppelt so hoch wie in der Gesamtbevรถlkerung. Dort liegt der Anteil der Betroffenen bei 13 Prozent.
Keine Reserve fรผr unerwartete Ausgaben
Das geringe verfรผgbare Einkommen fรผhrt bei Studierenden รผberdurchschnittlich hรคufig dazu, dass sie unerwartete Ausgaben nicht leisten kรถnnen. Nach eigenen Angaben handelt es sich hier um 41 Prozent. Bei allein oder in WGs lebenden Studierenden sind es sogar 57,8 Prozent, also mehr als jeder zweite.
Harte Schlรคge durch Preissteigerungen
Studierende teilen Risiken mit anderen Gruppen der Gesellschaft, die รผber kaum Einkommen verfรผgen.
Die Inflation schadet ihnen in besonderem Ausmaร, da sie einen hohen Anteil ihres wenigen Geldes fรผr Lebensmittel und Energie ausgeben mรผssen, und gerade in diesen Bereichen stiegen die Preise immens.
Verheerend fรผr Studierende mit armen Eltern
Von Chancengleichheit kann hier keine Rede sein, denn, so die Paritรคtische Forschungsstelle: “Fehlende Rรผcklagen und drohende Heizkostennachzahlungen bedrohen Studierende mit geringen Finanzmitteln und aus finanzschwachen Elternhรคusern besonders.”
Aufgabe fรผr die BAfรถG-Reform
Die Paritรคtische Forschungsstelle mahnt, dass eine BAfรถG-Reform die nachgewiesenen Missstรคnde unbedingt berรผcksichtigen muss.
Eine Reformierung des BAfรถG-Systems mรผsse folgendes beachten: hohe Armutsbetroffenheit, hohe รberlastung mit Wohnkosten, anhaltende Kaufkraftverluste und Probleme bei unerwarteten Kosten.
BAfรถg liegt unter dem Existenzminimum
Das derzeitige BAfรถG liegt, laut der Forschungsstelle, klar unter der Existenzsicherung und deckt nicht den Bedarf. Da Studierende keine Grundsicherung erhalten dรผrften, mรผsste das vorgelagerte BAfรถG-System die Existenz sichern.
Dies sei aber nicht der Fall. Im Gegenteil: “Mit dem Einfrieren der Bedarfssรคtze von 2022 (452 Euro) liegt der BAfรถG-Grundbedarf (…) mehr als 100 Euro unterhalb der Grundsicherung im Bรผrgergeld.”
Zudem, so die Forschungsstelle seien Verbraucherpreise und Inflation erheblich hรถher angestiegen als das BAfรถG angepasst wurde.
Die Forschungsstelle schlieรt: “Eine Nullrunde ist beim BAfรถG nicht hinnehmbar, da sich der Grundbedarf immer weiter vom Ziel der Existenzsicherung entfernt und Studierende nicht nur 2024 sondern dann auch 2025 noch weniger von ihrem Geld haben.”
Wohnkostenpauschale ist unrealistisch
Zudem mรผsste die Wohnkostenpauschale erhรถht werden. Diese sei bei Mieten und Mietnebenkosten, gerade in Universitรคtsstรคdten, fernab der Realitรคt. Sie mรผsste von derzeit maximal 360 Euro auf mindestens 410 Euro pro Monat gesteigert werden und sollte grundsรคtzlich im Einklang mit der Dรผsseldorfer Tabelle stehen.
Gefahr fรผr Studierende aus finanzschwachen Familien
Die Forschungsstelle schlieรt: “Die Festschreibung von nicht existenzsichernden Grundbedarfen und einer nicht realitรคtskonformen
Wohnkostenpauschale bedroht Studierende aus einkommensarmen Familien ganz erheblich.”
Dies verletzt das Ziel der Chancengleichheit bei der Bildung unabhรคngig vom Einkommen der Eltern, denn “ohne finanzielle Absicherung sind deren (Studierende aus einkommensarmen Familien) Bildungs- und Berufschancen gefรคhrdet.”
Existenzsicherung statt Nullsรคtze
Was wรคre also notwendig? Die Forschungsstelle fordert: “Ein reformiertes System muss Studierende wirksam vor Armut schรผtzen. Bedarfssรคtze mรผssen deutlich angehoben und existenzsichernd ausgestalten werden, anstatt mit einer Nullrunde Kaufkraftverluste zu befรถrdern.”