Neue Bürgergeld-Strafe – den Spieß einfach umdrehen

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Die aktuelle Weisung der Bundesagentur für Arbeit hat in den vergangenen Wochen hohe Wellen geschlagen. Unter der Leitung von Andrea Nahles wurde eine neue Sanktion eingeführt, die eine Verschärfung für Bürgergeldbezieher ist. Doch Betroffenen können “den Spieß einfach umdrehen”, wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt bestätigt.

Was beinhaltet die neue Weisung der Bundesagentur?

Die neue Weisung sieht vor, dass Bezieher des Bürgergeldes, die wiederholt Termine beim Jobcenter versäumen oder an vorgeschriebenen Maßnahmen nicht teilnehmen, verpflichtet werden können, sogenannte 1-Euro-Jobs auszuführen.

Diese “Arbeitsgelegenheiten”, wie sie im Behördendeutsch heißen, werden mit einem geringen Stundenlohn von etwa 1 bis 2 Euro entlohnt. Während dies offiziell der “Reintegration in den Arbeitsmarkt” dienen soll, wird der Zwang auf Leistungsbezieher ausgeübt.

Was bedeutet der Begriff „Weisung“ und wie bindend ist er?

Eine Weisung der Bundesagentur für Arbeit ist eine Art Richtlinie, die für alle Jobcenter verbindlich ist. Das bedeutet, dass die Sachbearbeiter der Jobcenter keinen Ermessensspielraum haben und sich strikt an diese Vorgaben halten müssen. “Selbst wenn ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürgergeldbezieher und dem Sachbearbeiter besteht, kann dies nicht verhindern, dass die Weisung umgesetzt wird”, sagt Anhalt.

Wie wirken sich diese Maßnahmen auf die Betroffenen aus?

Für Bürgergeldempfänger bedeutet diese neue Maßnahme eine erhebliche Verschärfung ihrer Situation. Sollten sie ihre Verpflichtungen nicht erfüllen, drohen empfindliche Sanktionen.

Im Extremfall kann der Regelsatz auf Null gesetzt werden, was existenzielle Härten nach sich ziehen kann. Es ist wichtig zu betonen, dass es sich hierbei nicht um eine rein motivierende Maßnahme handelt, sondern um eine, die mit Zwang und Strafe arbeitet. Dies wirft grundlegende Fragen zur Fairness und zur sozialen Gerechtigkeit auf.

Welchen Einfluss haben 1-Euro-Jobs auf den Arbeitsmarkt?

Offiziell dürfen 1-Euro-Jobs keine reguläre Arbeit ersetzen. Sie sollen zusätzliche Tätigkeiten abdecken, die nicht von regulären Arbeitnehmern ausgeführt werden.

In der Praxis sieht es jedoch häufig anders aus: Viele Kommunen und Arbeitgeber nutzen diese Arbeitsgelegenheiten, um reguläre Arbeitsplätze zu umgehen und so den Mindestlohn zu unterlaufen. Dies führt zu einer Untergrabung des Arbeitsmarktes und schadet den Perspektiven der Betroffenen, langfristig in eine reguläre Beschäftigung zurückzufinden.

Was kann man tun, wenn man zu einem 1-Euro-Job gezwungen wird?

Wenn das Jobcenter eine Zuweisung zu einem 1-Euro-Job erlässt, ist es wichtig, umgehend Widerspruch einzulegen. Dieser Widerspruch hat zwar keine aufschiebende Wirkung, das bedeutet, dass die Arbeit zunächst angetreten werden muss.

Sollte der Widerspruch jedoch Erfolg haben, kann die Verpflichtung zur Ausführung der Arbeit aufgehoben werden. Zudem gibt es bei der Zuweisung eine Anhörung, bei der die Zumutbarkeit der Arbeit geprüft werden kann.

Hier sei es ratsam, “sich gut vorzubereiten und eventuelle gesundheitliche Einschränkungen oder andere Gründe anzuführen, warum die Tätigkeit unzumutbar ist. Ein ärztliches Attest kann dabei von großem Vorteil sein”, so Anhalt.

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Welche rechtlichen Schritte können Betroffene einleiten?

Sollte sich herausstellen, dass die Tätigkeit in einem 1-Euro-Job reguläre Arbeit ersetzt, besteht die Möglichkeit, rechtliche Schritte einzuleiten.

Mit Unterstützung eines Anwalts kann eine Lohnklage oder eine Feststellungsklage eingereicht werden. Diese Klage zielt darauf ab, das Gericht darüber entscheiden zu lassen, ob die Tätigkeit rechtlich zulässig war und ob sie möglicherweise gegen das Grundgesetz verstößt. Die Erfolgsaussichten solcher Klagen sind nicht gering, vor allem wenn belegt werden kann, dass die Arbeit in unzulässiger Weise reguläre Beschäftigung ersetzt hat.

Was könnte noch gegen einen sog. Ein-Euro-Job sprechen?

Bevor man gegen eine Zuweisung in einen 1-Euro-Job vorgeht, sollte man folgende Punkte genau prüfen:

  1. Ist die Maßnahme wirklich erforderlich? Das Jobcenter darf Ihnen einen 1-Euro-Job nur dann zuweisen, wenn andere Maßnahmen zur Integration in den regulären Arbeitsmarkt ausgeschöpft sind und erfolglos blieben. Dies ist eine gesetzliche Voraussetzung gemäß § 16  SGB II.  Ein Arbeitsangebot in Form eines 1-Euro-Jobs darf also nur dann erfolgen, wenn eine echte Notwendigkeit besteht und keine andere Beschäftigung oder Qualifizierungsmaßnahme infrage kommt. Fordern Sie die Arbeitsagentur auf, diese Erforderlichkeit nachzuweisen und dokumentieren Sie alle eigenen Bemühungen um eine Arbeitsstelle.
  2. Sind Ihre Eigenbemühungen ausreichend berücksichtigt? Die Zuweisung eines 1-Euro-Jobs setzt voraus, dass Sie bereits zahlreiche Eigenbemühungen unternommen haben, um einen regulären Arbeitsplatz zu finden. Stellen Sie sicher, dass die Arbeitsagentur über Ihre Eigenbemühungen informiert ist und diese in die Entscheidung einbezogen wurden. Laut § 15 SGB II ist der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung vorrangig – darauf sollten Sie bestehen.
  3. Besteht ein Verdacht auf Arbeitsplatzverdrängung? Ein wesentlicher Kritikpunkt an 1-Euro-Jobs ist der Verdacht, dass diese reguläre Arbeitsplätze verdrängen könnten. Arbeitsgelegenheiten sollen zusätzlich sein, das heißt, die Arbeiten dürfen reguläre Stellen nicht ersetzen. Fragen Sie nach, ob Ihre Tätigkeit vorher von ehrenamtlichen Kräften übernommen wurde oder ob reguläre Mitarbeiter entlassen wurden. In solchen Fällen kann eine rechtliche Klage gegen die Maßnahme infrage kommen.
  4. Erfüllt die Arbeitsgelegenheit die Voraussetzungen des „öffentlichen Interesses“? Ein weiterer gesetzlicher Grundsatz ist, dass Ein-Euro-Jobs im öffentlichen Interesse liegen müssen. Erkundigen Sie sich bei kommunalen Vertretern, ob das Tätigkeitsfeld tatsächlich im öffentlichen Interesse liegt. Es sollte nicht um Arbeiten gehen, die privaten Zwecken dienen oder für deren Erfüllung normalerweise keine öffentlichen Mittel vorgesehen sind.

Welche Schritte kann man konkret gegen den Ein-Euro-Job unternehmen?

1. Widerspruch einlegen und Recht auf Information wahrnehmen

Zunächst haben Sie die Möglichkeit, Widerspruch gegen die Maßnahme einzulegen. Zwar entfaltet ein Widerspruch gegen die Zuweisung in einen 1-Euro-Job keine aufschiebende Wirkung, das heißt, Sie müssen die Maßnahme bis zur Entscheidung über den Widerspruch antreten.

Dennoch lohnt sich der Widerspruch, da er den Druck auf die Arbeitsagentur erhöht, Ihre Bedenken zu überprüfen. Sie haben das Recht, umfassende Informationen zu Ihrer Arbeitsgelegenheit zu verlangen.

Fragen, die Sie bei der Arbeitsagentur oder dem Maßnahmeträger stellen sollten:

  • Wurden Ihre Eigenbemühungen und andere Alternativen berücksichtigt?
  • Gibt es eine Tätigkeitsbeschreibung und wie sieht die genaue Arbeitszeitregelung aus?
  • Wurde die Höhe der Mehraufwandsentschädigung ausreichend festgelegt?
  • Erfüllt die Arbeitsgelegenheit tatsächlich die gesetzlich geforderte Zusätzlichkeit?

Weitere Gründe, warum ein Ein-Euro-Job nicht angetreten werden muss, haben wir hier in diesem Artikel erläutert.

Sind 1-Euro-Jobs als Strafmaßnahme verfassungswidrig?

Die Frage, ob 1-Euro-Jobs als Strafmaßnahme gegen Bürgergeldempfänger mit dem Grundgesetz vereinbar sind, ist umstritten. Die Argumentation, dass solche Maßnahmen die Würde des Menschen verletzen und die soziale Teilhabe einschränken, wird immer lauter.

In vielen Fällen können 1-Euro-Jobs dazu führen, dass Betroffene vom regulären Arbeitsmarkt weiter entfernt werden, anstatt sie zu integrieren. Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte in den kommenden Monaten und Jahren in diesem Zusammenhang entscheiden werden.