Wenn lange Krankheit und eine drohende Kündigung aufeinandertreffen, fühlen sich viele Arbeitnehmer in einer schwierigen Situation. Oft stellen sich dabei Fragen: Habe ich Anspruch auf eine Abfindung? Wie wirkt sich meine Krankheit auf die Höhe einer möglichen Abfindung aus? Und welche Möglichkeiten habe ich, um mich rechtlich abzusichern? Wir geben Antworten.
Inhaltsverzeichnis
Keine Abfindung bei Kündigung wegen Krankheit?
Eine der größten Sorgen von Arbeitnehmern, die aufgrund langer Krankheit eine Kündigung befürchten, ist der Verlust einer möglichen Abfindung.
Grundsätzlich gibt es in Deutschland keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Abfindung bei einer Kündigung.
Aber: Bei arbeitsrechtlich falschen Kündigungen bieten Arbeitgeber häufig Abfindungen an, um längere und kostspielige Prozesse zu vermeiden.
Ein entscheidender Faktor in solchen Fällen ist das sogenannte betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM). Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, vor einer krankheitsbedingten Kündigung ein BEM durchzuführen, um die Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung eines erkrankten Mitarbeiters zu prüfen.
“Wird dies unterlassen oder fehlerhaft durchgeführt, verschlechtert das die rechtliche Position des Arbeitgebers erheblich”, sagt der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Lange aus Hannover. “Für Arbeitnehmer bedeutet das eine verbesserte Ausgangslage, um eine Abfindung auszuhandeln oder die Kündigung anzufechten.”
Warum ist das betriebliche Eingliederungsmanagement so wichtig?
Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren, das darauf abzielt, arbeitsplatzbezogene Lösungen für gesundheitlich eingeschränkte Mitarbeiter zu finden. Dabei soll geprüft werden, ob durch organisatorische oder technische Anpassungen eine Weiterbeschäftigung möglich ist, ohne dass die Gesundheit des Arbeitnehmers weiter beeinträchtigt wird.
Wenn ein Arbeitgeber kein BEM durchführt, ist dies zwar nicht automatisch ein Grund, die Kündigung für unwirksam zu erklären.
“Es erschwert jedoch erheblich die Durchsetzung der Kündigung vor Gericht. Arbeitgeber müssen im Kündigungsschutzprozess nachweisen, dass sie alle Möglichkeiten geprüft haben, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich wäre”, so der Anwalt.
Ohne ein ordnungsgemäß durchgeführtes BEM wird es in der Regel schwierig, diesen Nachweis zu erbringen. “Für Arbeitnehmer entsteht dadurch eine starke Verhandlungsposition, sowohl im Hinblick auf die Weiterbeschäftigung als auch auf die Abfindung”, so Lange weiter.
Wie beeinflusst eine Krankheit die Höhe der Abfindung?
Die Abfindungshöhe ist ein Verhandlungsergebnis, das von verschiedenen Faktoren abhängt. Eine lange Krankheit kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Verhandlungsposition haben.
Auf der positiven Seite steht, dass eine fehlende oder fehlerhafte Durchführung des BEM den Arbeitgeber in eine schwächere Position bringt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er bereit ist, eine höhere Abfindung anzubieten, steigt dadurch.
“Gleichzeitig können gesundheitliche Einschränkungen, die eine Weiterbeschäftigung nahezu unmöglich machen, den Arbeitgeber dazu bewegen, schneller einer Einigung zuzustimmen, um langwierige Prozesse zu vermeiden”, sagt Lange.
Andererseits kann eine langfristige Arbeitsunfähigkeit auch bedeuten, dass der Arbeitgeber die Höhe der Abfindung begrenzt, da die Verhandlungsbasis schwächer wird, wenn der Arbeitnehmer ohnehin nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückkehren möchte. “In solchen Fällen wird die Verhandlungsstrategie entscheidend.”
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Wie sollten Betroffene bei einer Kündigung reagieren?
Der erste und wichtigste Schritt nach Erhalt einer Kündigung ist es, Ruhe zu bewahren und keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen.
Christian Lange: “Ein häufiger Fehler ist es, angebotene Aufhebungsverträge sofort zu unterschreiben oder eine Kündigung zu akzeptieren, ohne die rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen. Stattdessen sollte die Kündigung genau analysiert werden, um die Erfolgsaussichten einer möglichen Klage zu bewerten.”
Eine Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung eingereicht werden. Dieser kurze Zeitraum macht es notwendig, schnell zu handeln und sich rechtlichen Rat einzuholen. Ein spezialisierter Anwalt kann nicht nur die Chancen einer Klage realistisch einschätzen, sondern auch bei Verhandlungen über eine Abfindung unterstützen.
Arbeitgeber sind in der Regel bereit, eine Abfindung zu zahlen, um die Unsicherheit eines Prozesses zu vermeiden.
Was tun, wenn man nicht mehr zurückkehren möchte?
Manchmal möchten Arbeitnehmer auf keinen Fall an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren, sei es aus gesundheitlichen Gründen oder wegen eines gestörten Vertrauensverhältnisses. In solchen Fällen muss klar sein, dass dies die Verhandlungsposition für eine hohe Abfindung etwas schwächt. Ein Arbeitgeber könnte versuchen, Druck auszuüben, indem er anbietet, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, wenn keine Einigung erzielt wird.
Dennoch bedeutet dies nicht, dass man auf eine Abfindung verzichten muss. “In der Praxis gelingt es häufig, eine zufriedenstellende Lösung zu finden, selbst wenn der Wunsch besteht, nicht mehr zum Arbeitsplatz zurückzukehren. Wichtig ist, mit einem klaren Ziel in die Verhandlungen zu gehen und flexibel zu bleiben, um die bestmögliche Einigung zu erzielen.”
Praxisbeispiel: Kündigung nach langer Krankheit – Eine erfolgreiche Verhandlung zur Abfindung
Frau Schneider (Name geändert) war seit über zwei Jahren in einem mittelständischen Unternehmen als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Aufgrund einer schweren Erkrankung war sie jedoch mehrere Monate arbeitsunfähig. Die Genesung verlief langsamer als erwartet, und es war absehbar, dass Frau Schneider nicht in absehbarer Zeit an ihren Arbeitsplatz zurückkehren würde. Eines Tages erhielt sie die schriftliche Kündigung ihres Arbeitsvertrages, was sie stark verunsicherte. Ihre größte Sorge war, dass sie ohne Abfindung und damit ohne finanzielle Absicherung dastehen könnte.
Ausgangssituation
Frau Schneider wandte sich umgehend an einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, um ihre Optionen zu besprechen. Bei der ersten Prüfung der Kündigung stellte sich heraus, dass der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt hatte. Zudem zeigte der Anwalt auf, dass die Kündigung aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit und der nicht erbrachten Nachweise seitens des Arbeitgebers angreifbar war.
Der Anwalt erklärte Frau Schneider, dass sie eine Kündigungsschutzklage einreichen sollte, um die Verhandlungsposition zu stärken. Obwohl es keinen automatischen Anspruch auf eine Abfindung gab, war der Arbeitgeber rechtlich in einer schwierigen Lage, was die Chance auf eine Einigung erhöhte.
Der Verhandlungsprozess
Nachdem die Kündigungsschutzklage eingereicht wurde, fand ein erster Gütetermin vor dem Arbeitsgericht statt. Der Arbeitgeber hatte gehofft, dass Frau Schneider die Kündigung akzeptieren würde, ohne juristisch dagegen vorzugehen. Doch das Fehlen des BEM stellte sich als großer Schwachpunkt in der Argumentation des Arbeitgebers heraus. Der Richter wies darauf hin, dass die Kündigung unter diesen Umständen vor Gericht nur schwer Bestand haben würde.
In den anschließenden Verhandlungen zeigte sich der Arbeitgeber gesprächsbereit. Es wurde schnell klar, dass er daran interessiert war, die Angelegenheit außergerichtlich zu regeln, um einen längeren Prozess zu vermeiden. Frau Schneider war bereit, eine einvernehmliche Lösung zu akzeptieren, wollte aber eine angemessene Abfindung erhalten.
Ergebnis
Nach mehreren Verhandlungsrunden einigten sich die Parteien auf eine Abfindung in Höhe von 1,5 Bruttomonatsgehältern pro Jahr der Betriebszugehörigkeit, was einem Gesamtbetrag von 9.000 Euro entsprach. Zusätzlich vereinbarten sie, dass die Kündigung in einvernehmlicher Form als Aufhebungsvertrag umgewandelt wird, sodass Frau Schneider keine Nachteile bei der Arbeitsagentur hatte. Die Einigung wurde gerichtlich protokolliert und das Arbeitsverhältnis offiziell beendet.
Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, sich bei einer Kündigung rechtzeitig rechtlichen Beistand zu suchen. Frau Schneider hätte ohne juristische Unterstützung vermutlich keine Abfindung erhalten und möglicherweise einen langwierigen und belastenden Prozess durchlaufen müssen.
Dank der strategischen Nutzung des fehlenden BEM konnte sie ihre Verhandlungsposition erheblich verbessern und eine faire Abfindung aushandeln. Der Fall verdeutlicht, wie entscheidend es ist, die rechtlichen Schwächen der Gegenseite zu kennen und gezielt für die eigenen Interessen einzusetzen.
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