Wer länger krankgeschrieben ist, bezieht oft über Monate Krankengeld und steckt mitten in einer laufenden Blockfrist. Ausgerechnet in dieser Phase wechseln manche die Krankenkasse – wegen steigender Beiträge, attraktiver Bonusprogramme oder schlechter Erfahrungen im bisherigen Leistungsfall. Formal ist der Wechsel erlaubt, praktisch führt er jedoch immer wieder zu einem gefährlichen Nebeneffekt:
Krankheitstage fehlen in der Akte, werden falsch zugeordnet oder gleich mehrfach gegen die Höchstdauer des Krankengeldes angerechnet. Am Ende steht im schlimmsten Fall ein abgelehnter Anspruch, obwohl objektiv noch Wochen offen wären.
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Blockfrist und Krankengeld: ein starres 3-Jahres-Fenster
Die Blockfrist bestimmt, wie lange Krankengeld fließen kann. Für jede Erkrankung gilt ein Zeitraum von drei Jahren, gerechnet ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit wegen dieser Krankheit. Innerhalb dieses Fensters sind maximal 78 Wochen gesichert, wobei nicht nur die eigentlichen Krankengeldphasen zählen, sondern auch Zeiten der Entgeltfortzahlung und bestimmte Ruhens- oder Versagungstatbestände.
Ob eine Arbeitsunfähigkeit zu derselben oder zu einer neuen Krankheit gehört, richtet sich nicht allein nach dem ICD-Code, sondern nach dem medizinischen Gesamtbild. Mehrere Diagnosen können eine einheitliche Erkrankung bilden, wenn sie denselben Funktionsbereich betreffen oder als zusammenhängender Krankheitskomplex auftreten. Andere Beschwerden sind hingegen klar abzugrenzen und eröffnen eine eigene Blockfrist.
Tragend ist dabei immer die versicherte Person und ihre Krankheit, nicht die jeweilige Krankenkasse. Die Blockfrist läuft unverändert weiter, auch wenn zwischenzeitlich die Kasse gewechselt wird.
Kassenwechsel während des Krankengeldes: rechtlich eindeutig, praktisch riskant
Sozialrechtlich führt ein Kassenwechsel mitten in der Krankheit weder zu einem „Neustart“ noch zu einem automatischen Ende des Krankengeldes. Die neue Krankenkasse muss vielmehr die bereits verbrauchten Wochen berücksichtigen und die laufende Blockfrist fortführen. Sie darf weder so tun, als beginne alles bei null, noch Zeiträume mehrfach gegen die Höchstdauer buchen.
Die Realität hängt aber davon ab, welche Informationen tatsächlich vorliegen. Die bisherige Krankenkasse ist verpflichtet, alle leistungsrelevanten Daten – insbesondere Arbeitsunfähigkeitszeiten, Diagnosen und Krankengeldphasen – an die neue Kasse zu übermitteln.
Seit elektronischer AU und ePA erfolgt vieles digital, trotzdem bleiben Lücken: Arztpraxen senden Bescheinigungen an die falsche Kasse, Datensätze werden nur teilweise weitergegeben, Diagnosen falsch gruppiert. Was im System der neuen Kasse sichtbar ist, bildet die Grundlage für die Berechnung, selbst wenn es von der tatsächlichen Krankheitsgeschichte abweicht.
Wenn Krankengeld-Tage in der Akte „verschwinden“
Besonders heikel sind Konstellationen, in denen aus der digitalen Sicht der neuen Kasse weniger Krankheitstage existieren, als tatsächlich aufgelaufen sind. Das kann bereits damit beginnen, dass nur die AU-Zeiten ab dem Wechsel berücksichtigt werden, während die Monate bei der Vorgängerkasse unzureichend übertragen wurden.
Zunächst wirkt dies wie ein Vorteil, weil vermeintlich mehr Restwochen zur Verfügung stehen, doch spätestens bei späterer Nachprüfung drohen Rückforderungen, wenn die frühere Historie nachträglich einfließt.
Andersherum behaupten Krankenkassen mitunter, die 78 Wochen seien bereits ausgeschöpft, ohne die zugrunde liegenden Zeiten nachvollziehbar zu belegen. Werden dabei Phasen ohne Krankengeld oder Diagnosen, die nicht zum selben Krankheitskomplex gehören, in die Blockfrist hineingezogen, verkürzt sich der Anspruch unrechtmäßig.
Für die Versicherten sieht es dann so aus, als ob ihnen das Krankengeld „plötzlich“ gestrichen wird, obwohl objektiv noch Spielraum besteht.
Ein weiterer Fehler tritt auf, wenn eine Folgeerkrankung, die eindeutig zum bisherigen Leiden gehört, als neue, unabhängige Krankheit eingestuft wird. In solchen Fällen kann die bisherige Blockfrist fälschlich abgeschnitten und der Anspruch zu früh beendet werden.
Wenn Tage doppelt gegen die 78 Wochen laufen
Neben den verschwundenen Zeiten gibt es Fälle, in denen dieselben Wochen praktisch zweimal belastend wirken. Das geschieht etwa, wenn eine Vorgängerkasse bereits mehrere Monate Krankengeld wegen einer klar definierten Erkrankung gezahlt hat und die neue Krankenkasse diese Zeiträume übernimmt, sie jedoch in einer erweiterten Diagnosengruppe gleich mehreren Blockfristen zuordnet.
Die gleiche Krankheitsphase wird dann doppelt in Anspruch genommen, obwohl es rechtlich nur eine einheitliche Blockfrist geben darf.
Auch unklare interne Kennzeichnungen können dazu führen, dass bereits berücksichtigte Wochen erneut als „verbraucht“ verbucht werden. Für die Betroffenen endet das Krankengeld dann früher, als es die medizinische und zeitliche Realität rechtfertigt.
Praxisbeispiel: Kassenwechsel nach einem Jahr Depression
Eine Arbeitnehmerin ist seit dem 1. Januar 2024 wegen einer schweren Depression arbeitsunfähig. Nach sechs Wochen Entgeltfortzahlung zahlt Krankenkasse A Krankengeld. Bis Ende November 2024 sind rund 48 Wochen in derselben Blockfrist verbraucht, bestehend aus Lohnfortzahlung und Krankengeld.
Zum 1. Dezember 2024 wechselt die Versicherte zu Krankenkasse B. Die Arbeitsunfähigkeit dauert an, die Diagnose bleibt unverändert. Kasse B erhält jedoch nur unvollständige Informationen und sieht in ihrem System lediglich die seit Dezember laufende AU. Intern wird der Fall daher wie ein neu beginnender Krankheitsfall behandelt.
Rechtlich hat die Blockfrist am 1. Januar 2024 begonnen und endet am 31. Dezember 2026. Die 78 Wochen für diese Depression setzen sich aus allen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit zusammen, unabhängig davon, welche Kasse zuständig war. Von den 78 Wochen sind 48 bereits aufgebraucht, es verbleiben rund 30 Wochen.
Lehnt Kasse B das Krankengeld mit der Begründung ab, die Höchstdauer sei überschritten, oder zahlt sie zunächst großzügig und fordert später zu viel Gezahltes zurück, liegt die Ursache häufig in dieser fehlerhaften Datenbasis. Nur wer seine eigenen Unterlagen kennt, kann die Entscheidung überprüfen.
Wie Versicherte ihre Ansprüche beim Kassenwechsel absichern
Wer mitten in einer laufenden Blockfrist die Krankenkasse wechselt, sollte sich nicht allein auf die elektronische Akte verlassen. Zunächst empfiehlt es sich, von der bisherigen Krankenkasse eine vollständige Übersicht über alle Arbeitsunfähigkeitszeiten und Krankengeldleistungen der letzten drei Jahre zu verlangen, möglichst mit Angabe der Diagnosen und exakten Zeiträume.
Ergänzend sollten AU-Bescheinigungen, Krankengeldabrechnungen, Aussteuerungsbescheide sowie wichtige Arzt- und Reha-Berichte geordnet vorliegen.
Gegenüber der neuen Krankenkasse ist entscheidend, die Berechnung transparent zu machen. Sinnvoll ist eine schriftliche Anfrage, ab welchem Datum die Blockfrist geführt wird, welche AU-Zeiten mit welcher Diagnose berücksichtigt werden und wie viele Wochen bereits angerechnet sind.
Decken sich diese Angaben nicht mit den eigenen Unterlagen, sollte sofort schriftlich reagiert und eine Korrektur verlangt werden.
Ergeht ein ablehnender oder aussteuernder Bescheid, ist der fristgerechte Widerspruch der nächste Schritt. Darin sollte präzise gerügt werden, wenn die Blockfrist falsch berechnet, Diagnosen unzutreffend zusammengefasst oder Krankengeld-Zeiten doppelt oder gar nicht berücksichtigt wurden.
Sozialverbände, Beratungsstellen oder auf Sozialrecht spezialisierte Anwältinnen und Anwälte können unterstützen, wenn es um komplexe Krankheitsverläufe oder hohe Beträge geht.
Wenn die neue Kasse eine eigene Blockfrist „erfindet“
Besonders problematisch sind Fälle, in denen eine Krankenkasse so rechnet, als beginne mit dem Wechsel automatisch eine neue Blockfrist oder als ließen sich frühere Diagnosen beliebig zu einer großen Sammelerkrankung zusammenschieben, um den Anspruch schneller zu beenden.
Hier hilft nur, auf die gesetzlichen Grundlagen und die medizinische Einordnung zu verweisen und eine nachvollziehbare Berechnung einzufordern. Bleibt die Kasse bei ihrer Linie, kann letztlich nur das Sozialgericht klären, ob die 78 Wochen tatsächlich ausgeschöpft sind.
Fazit: Kassenwechsel nur mit eigener Spurensicherung
Ein Kassenwechsel mitten im Krankengeld ist zulässig, aber gefährlich, wenn Daten nicht vollständig oder korrekt übertragen werden. Die Blockfrist läuft unabhängig von der zuständigen Krankenkasse weiter; ob daraus am Ende ein vollständiger Anspruch oder eine vorzeitige Aussteuerung wird, hängt maßgeblich von der Dokumentation ab.
Wer Unterlagen sammelt, die eigene Krankengeschichte kennt und fehlerhafte Berechnungen konsequent angreift, verhindert, dass Krankengeld-Tage in fremden Systemen verschwinden – und sorgt dafür, dass der gesetzliche Schutz nicht nur auf dem Papier, sondern auch auf dem Konto ankommt.




