Wer länger krank ist, verlässt sich oft auf eine einfache Faustregel: Sechs Wochen zahlt der Arbeitgeber, dann gibt es bis zu 72 Wochen Krankengeld von der Kasse. Erst danach kommt die Aussteuerung. In der Praxis endet das Krankengeld aber oft deutlich früher – manchmal mitten in einer laufenden Krankschreibung.
Der Grund ist die Blockfrist nach § 48 SGB V: ein unsichtbares 36-Monats-Fenster, in dem alle Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen derselben Krankheit zusammengerechnet werden.
Inhaltsverzeichnis
Was die Blockfrist beim Krankengeld wirklich bedeutet
Der Anspruch auf Krankengeld ist in § 48 SGB V geregelt. Entscheidend sind zwei Eckpunkte:
Für dieselbe Krankheit gibt es höchstens 78 Wochen Krankengeld innerhalb von 36 Monaten, gerechnet ab dem Tag, an dem wegen dieser Krankheit erstmals eine Arbeitsunfähigkeit festgestellt wurde. Dieser Dreijahres-Zeitraum ist die Blockfrist.
Zur 78-Wochen-Grenze zählen nicht nur die Wochen mit Krankengeld, sondern auch die sechs Wochen Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers zu Beginn der Erkrankung. Wer länger und wiederholt wegen derselben Krankheit ausfällt, verbraucht sein „Wochen-Konto“ innerhalb einer Blockfrist oft viel schneller, als es auf den ersten Blick aussieht.
Wichtig ist außerdem: Die Blockfrist läuft im Hintergrund weiter, egal ob jemand gerade krank oder gesund ist. Und sie knüpft an die Krankheit an, nicht an das konkrete Arbeitsverhältnis oder einen bestimmten Job.
Warum alte Krankschreibungen plötzlich wieder wichtig werden
Die Frage lautet immer: Liegt „dieselbe Krankheit“ vor oder ein neuer Versicherungsfall?
Das Gesetz spricht ausdrücklich von „derselben Krankheit“. Nach der Rechtsprechung kommt es dabei nicht nur auf den ICD-Code auf der AU-Bescheinigung an, sondern auf die zugrunde liegende Krankheitsursache. Solange ein einheitlicher, nicht behobener regelwidriger Gesundheitszustand besteht, wird von derselben Krankheit ausgegangen, auch wenn Ärzte im Verlauf verschiedene Bezeichnungen verwenden.
Für Betroffene heißt das: Alte Krankschreibungen wegen Rücken, Psyche, Herz oder anderer chronischer Probleme können Jahre später noch auf die aktuelle Krankengeld-Dauer durchschlagen – solange sie innerhalb der laufenden Blockfrist liegen und auf derselben Ursache beruhen.
Die Kasse zählt alle Arbeitsunfähigkeitszeiten in diesem 36-Monats-Fenster zusammen, und wenn die 78 Wochen ausgeschöpft sind, endet das Krankengeld – unabhängig davon, wie lange die aktuelle AU schon läuft.
Praxisbeispiel 1: Depression – Krankengeld endet neun Monate früher
Fall aus der Beratungspraxis (leicht vereinfacht):
Eine Angestellte erkrankt im März 2022 erstmals schwer an einer Depression. Sie ist durchgehend sechs Monate arbeitsunfähig.
Von März bis Mitte April zahlt der Arbeitgeber das Gehalt weiter. Diese sechs Wochen zählen bereits auf das 78-Wochen-Konto. Ab Mitte April bis Ende August bezieht sie Krankengeld. Insgesamt kommen in dieser ersten Phase 26 Wochen zusammen.
Im Frühjahr 2023 erleidet sie einen Rückfall. Wieder wird sie wegen Depression krankgeschrieben, diesmal vier Monate. Der Arbeitgeber zahlt erneut sechs Wochen Gehalt, danach folgen weitere zehn Wochen Krankengeld.
Für die Blockfrist macht das keinen Unterschied: Auch diese 16 Wochen werden zu den vorherigen 26 Wochen hinzugezählt. Innerhalb der ersten 36 Monate stehen nun bereits 42 Wochen auf der Uhr.
Im Herbst 2024 folgt eine dritte, lange Krankheitsphase wegen derselben Depression. Die Versicherte rechnet damit, nun weitere etwa 72 Wochen Krankengeld zu erhalten. Tatsächlich bleiben in der laufenden Blockfrist aber nur noch 36 von insgesamt 78 Wochen übrig. Nach gut acht Monaten wird sie ausgesteuert – mitten in der laufenden Krankschreibung.
Sie fühlt sich „zu früh“ aus dem Krankengeld gedrängt, doch die Kasse verweist zu Recht auf die Altzeiten: Alle AU-Phasen wegen derselben Depression im 36-Monats-Fenster werden zusammengerechnet.
Dieses Beispiel zeigt, wie tückisch die Blockfrist wirkt: Wer frühere längere Krankschreibungen aus dem Blick verliert, erlebt die Aussteuerung als böse Überraschung.
„Dieselbe Krankheit“ oder neuer Versicherungsfall?
Noch komplizierter wird es, wenn die Diagnose wechselt oder mehrere Erkrankungen durcheinanderlaufen. Krankenkassen neigen dazu, möglichst viel unter „dieselbe Krankheit“ zu fassen, um Leistungen zu begrenzen. Für Betroffene kann es aber einen erheblichen Unterschied machen, ob wirklich nur eine Krankheit vorliegt oder mehrere eigenständige Versicherungsfälle.
Medizinisch ist von derselben Krankheit auszugehen, wenn weiterhin dieselbe Grundstörung besteht und die Beschwerden im Kern auf die gleiche Ursache zurückgehen. Ein Bandscheibenvorfall mit wechselnden Schmerzlokalisationen oder eine chronische Depression mit unterschiedlichen Schweregraden werden häufig als ein einheitlicher Versicherungsfall verstanden.
Eine neue Krankheit liegt eher vor, wenn ein zusätzlicher, eigenständiger Befund hinzukommt, der auf einer anderen Ursache beruht und für sich allein Arbeitsunfähigkeit auslöst. Dann kann ein neuer Krankengeldanspruch mit eigener Blockfrist entstehen.
Praxisbeispiel 2: Rückenprobleme und Herzinfarkt – zwei Krankheiten, eine Blockfrist?
Ein Versicherter war in der Vergangenheit wiederholt wegen chronischer Rückenbeschwerden arbeitsunfähig. Über mehrere Jahre summierten sich Rücken-Ausfälle und Krankengeldzahlungen auf 70 Wochen innerhalb der Blockfrist. Kurz vor Ablauf der 36-Monats-Frist erleidet er einen Herzinfarkt und ist erneut lange krankgeschrieben.
Auf den AU-Bescheinigungen tauchen jetzt Diagnosen zu Herz und Kreislauf auf. Die Krankenkasse rechnet dennoch fast alle neuen Zeiten auf die alte Rücken-Blockfrist an und verweist darauf, der Versicherte sei „weiterhin arbeitsunfähig“. Nach wenigen Wochen wird er ausgesteuert, obwohl der Herzinfarkt eigentlich nie Gegenstand der bisherigen Krankengeldberechnung war.
In einem solchen Fall lohnt sich ein genauer Blick:
Ist der Herzinfarkt eine eigenständige Erkrankung mit anderer Ursache, die unabhängig von den Rückenproblemen zur Arbeitsunfähigkeit führt, muss die Kasse einen neuen Versicherungsfall prüfen. Das kann einen eigenen 78-Wochen-Rahmen eröffnen.
Der Hinweis „alles eine Krankheit“ ist dann zu pauschal. Oft lässt sich mit einer klaren ärztlichen Stellungnahme und gegebenenfalls mit Unterstützung durch Beratung oder Anwalt eine andere Bewertung erreichen.
Rechenbeispiel: Wie die Blockfrist „im Hintergrund“ mitläuft
Zur Veranschaulichung ein stark vereinfachtes Zahlenmodell für dieselbe Krankheit (z. B. schwere Angststörung):
Erstmalige Arbeitsunfähigkeit am 1. April 2022. Damit beginnt die Blockfrist 1, die bis zum 31. März 2025 läuft.
Im Verlauf der Blockfrist kommt es zu drei AU-Phasen:
- Phase 1: 1. April bis 30. September 2022 – 26 Wochen (6 Wochen Entgeltfortzahlung, 20 Wochen Krankengeld).
- Phase 2: 1. Februar bis 31. Mai 2023 – 17 Wochen (alle mit Krankengeld).
- Phase 3: 1. November 2024 bis 31. Mai 2025 – 30 Wochen, davon 22 Wochen innerhalb der Blockfrist 1 (bis 31. März 2025), acht Wochen in der nächsten Blockfrist.
Innerhalb der ersten Blockfrist werden damit 26 + 17 + 22 = 65 Wochen angerechnet. Der Versicherte hat also noch 13 Wochen Spielraum bis zur 78-Wochen-Grenze. Diese 13 Wochen werden in der zweiten Blockfrist ab April 2025 „verbraucht“. Erst danach ist die 78-Wochen-Höchstgrenze für diese Krankheit erreicht, und das Krankengeld endet endgültig.
In der Praxis verwenden Kassen Tageszählungen, berücksichtigen Reha- und Übergangsgeldzeiten und müssen genau zwischen einzelnen Krankheiten unterscheiden. Umso wichtiger ist es, dass Betroffene solche Berechnungen nicht einfach hinnehmen, sondern nachvollziehen.
Zweispaltige Übersicht: Typische Blockfrist-Konstellationen und ihre Folgen
TABELLE
Wie Betroffene die Blockfrist-Berechnung der Kasse prüfen können
In der Praxis verschicken Krankenkassen bei der Aussteuerung meist einen Bescheid, in dem Startpunkt der Blockfrist, der genutzte Zeitraum und die letzte Krankengeldzahlung genannt werden. Dieser Bescheid ist kein „Naturgesetz“, sondern ein Verwaltungsakt, der inhaltlich falsch sein kann.
Ein erster Schritt besteht darin, sich die vollständige Übersicht der Krankenkasse über alle Arbeitsunfähigkeitszeiten und Krankengeldzeiträume geben zu lassen, am besten mindestens für die letzten Jahre. Parallel können Betroffene ihre eigenen Unterlagen sortieren: AU-Bescheinigungen, Reha-Bewilligungen, Entgeltabrechnungen mit Lohnfortzahlung sowie Bescheide von Agentur für Arbeit oder Jobcenter.
Anschließend lässt sich prüfen, ob die von der Kasse angesetzten AU-Zeiten tatsächlich alle dieselbe Krankheit betreffen und ob der Start der Blockfrist korrekt gewählt wurde. Gerade bei wechselnden Diagnosen lohnt ein Gespräch mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten:
Handelt es sich medizinisch um dieselbe Grundkrankheit oder haben sich im Verlauf eigenständige neue Erkrankungen entwickelt, die einen eigenen Versicherungsfall rechtfertigen?
Auch die 6/6-Regel verdient einen genauen Blick. Sie gilt nur für dieselbe Krankheit nach Ausschöpfen der 78 Wochen. Wird sie von der Kasse pauschal auch auf neue Erkrankungen angewendet, ist das regelmäßig angreifbar.
Widerspruch und Überprüfungsantrag: Wenn die Blockfrist falsch berechnet wurde
Wer den Eindruck hat, die Krankenkasse habe die Blockfrist falsch gesetzt, Krankheiten zu weit zusammengezogen oder schlicht falsch gezählt, sollte den Aussteuerungsbescheid nicht einfach hinnehmen. Innerhalb eines Monats nach Zugang ist ein Widerspruch möglich.
In diesem Widerspruch sollten konkrete Punkte benannt werden: der aus Sicht der Versicherten richtige Beginn der Blockfrist, fehlerhafte Zuordnungen bei den Krankheiten, nicht berücksichtigte Zeiten oder Rechenfehler.
Ist die Frist schon abgelaufen, bleibt der Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Damit kann ein älterer, bestandskräftiger Bescheid angegriffen werden, wenn er von Anfang an rechtswidrig war. Erfolgt eine Korrektur zugunsten der Versicherten, können Krankengeldbeträge rückwirkend nachgezahlt werden – innerhalb der gesetzlichen Grenzen.
FAQ: Blockfrist und Krankengeld – die 5 wichtigsten Fragen
1. Was ist die Blockfrist beim Krankengeld?
Die Blockfrist ist ein Zeitraum von 36 Monaten, der mit dem ersten Tag beginnt, an dem du wegen einer bestimmten Krankheit arbeitsunfähig geschrieben wirst. Innerhalb dieses Fensters kannst du wegen derselben Krankheit maximal 78 Wochen Leistungen erhalten – dazu zählen Entgeltfortzahlung, Krankengeld und in vielen Fällen auch Reha-Zeiten.
2. Wie lange bekomme ich Krankengeld wegen derselben Krankheit?
Für dieselbe Krankheit stehen dir insgesamt 78 Wochen innerhalb der Blockfrist zu. Die ersten sechs Wochen Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber werden dabei mitgezählt. Sind die 78 Wochen erreicht, endet das Krankengeld, auch wenn die aktuelle Krankschreibung noch weiterläuft.
3. Was bedeutet „dieselbe Krankheit“ in der Praxis?
„Dieselbe Krankheit“ meint nicht nur denselben ICD-Code auf der AU-Bescheinigung, sondern dieselbe medizinische Ursache. Bleibt ein einheitlicher, nicht behobener Gesundheitszustand bestehen, werden auch unterschiedlich bezeichnete Diagnosen (etwa verschiedene Rücken- oder Depressionsdiagnosen) in der Regel als ein Versicherungsfall gewertet. Eigenständige neue Erkrankungen mit anderer Ursache können dagegen eine neue Blockfrist auslösen.
4. Können frühere Krankschreibungen mein aktuelles Krankengeld verkürzen?
Ja. Alle Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen derselben Krankheit innerhalb der laufenden Blockfrist werden zusammengerechnet. Warst du in den vergangenen drei Jahren schon länger mit derselben Erkrankung krank, kann das dazu führen, dass dein aktuelles Krankengeld deutlich früher endet, als du erwartest, weil ein Teil der 78 Wochen bereits verbraucht ist.
5. Was kann ich tun, wenn ich die Blockfrist-Berechnung für falsch halte?
Fordere bei deiner Krankenkasse eine detaillierte Übersicht aller berücksichtigten AU- und Krankengeldzeiten an und vergleiche sie mit deinen eigenen Unterlagen. Wenn Startpunkt der Blockfrist, Zuordnung der Krankheiten oder die Zählung der Wochen aus deiner Sicht nicht stimmen, kannst du innerhalb eines Monats Widerspruch gegen den Aussteuerungsbescheid einlegen. Ist die Frist abgelaufen, kommt ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X in Betracht. In schwierigen Fällen ist Unterstützung durch eine unabhängige Beratungsstelle oder einen Fachanwalt für Sozialrecht sinnvoll.




