Krankengeld-Stopp trotz Krankschreibung

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Nach sechs Wochen Lohnfortzahlung wird es fรผr viele Beschรคftigte ernst: Ab dann hรคngt die Absicherung oft am Krankengeld. Und genau in dieser Phase kommt in manchen Fรคllen ein Schreiben der Krankenkasse, das den Ton verรคndert.

Plรถtzlich ist nicht mehr die Krankheit das Thema, sondern die Frage, ob die Arbeitsunfรคhigkeit โ€žwirklichโ€œ vorliegt. Der Dreh- und Angelpunkt heiรŸt dann nicht Arztpraxis, sondern Medizinischer Dienst (MD).

Medizinischer Dienst muss die AU klรคren

Die Krankenkasse entscheidet nicht selbst โ€žmedizinischโ€œ, ob jemand arbeitsfรคhig ist. Wenn sie Zweifel hat, muss sie diese Zweifel nach den Regeln des Sozialrechts รผber den MD klรคren lassen. Entscheidend ist dabei nicht, ob eine Diagnose โ€žschlimm genugโ€œ klingt โ€“ sondern ob die Arbeitsfรคhigkeit im konkreten Job sozialmedizinisch plausibel eingeschrรคnkt ist.

Warum Kassen die AU prรผfen lassen: die typischen Auslรถser

Die Anlรคsse wirken nach auรŸen oft beliebig, folgen aber meist wiederkehrenden Mustern. Gesetzlich sind als โ€žAuffรคlligkeitenโ€œ vorwiegend Konstellationen beschrieben wie regelmรครŸige oder sehr kurze Arbeitsunfรคhigkeiten, auffรคllige zeitliche Muster (zum Beispiel wiederholt am Wochenrand) oder Situationen, in denen die Krankenkasse eine besondere Prรผfdichte annimmt.

Ein weiterer, in der Praxis relevanter Auslรถser ist der Arbeitgeber: Auch er kann verlangen, dass die Kasse den MD einschaltet.

Dazu kommt die โ€žstilleโ€œ Praxislogik: Spรคtestens wenn ein Fall in den Krankengeldbezug rutscht, steigt in vielen Kassen die Prรผfsensibilitรคt.

Nicht zwingend, weil jemand โ€žsimuliertโ€œ, sondern weil ab diesem Moment die Leistungspflicht der Kasse nicht mehr nur formal ist, sondern finanziell spรผrbar wird. Genau dann entscheidet oft die Qualitรคt der Aktenlage darรผber, ob der Verlauf als stimmig oder als โ€žunklarโ€œ gelesen wird.

Was der MD tatsรคchlich beurteilt: nicht die Diagnose, sondern die Funktionsfrage

Der MD arbeitet sozialmedizinisch. Das klingt technisch, ist aber der Kernkonflikt vieler Verfahren: Es geht nicht darum, ob eine Erkrankung โ€žexistiertโ€œ, sondern darum, ob und wie sie die Ausรผbung der konkreten Tรคtigkeit verhindert oder unzumutbar macht.

Hier entstehen die meisten Reibungen, weil der Alltag der Versicherten (Erschรถpfung, Schmerz, psychische Belastung, Konzentrationsabfall, Nebenwirkungen) hรคufig nicht in einer Form dokumentiert ist, die sich aus Unterlagen unmittelbar in eine Funktionsbeurteilung รผbersetzen lรคsst.

Und genau deshalb wird in vielen Fรคllen nach Aktenlage beurteilt โ€“ also anhand dessen, was vorliegt, nicht anhand dessen, was Betroffene subjektiv erleben.

Das ist der Punkt, an dem โ€žIch bin krankgeschriebenโ€œ im Verfahren nicht automatisch โ€žIch bekomme weiter Krankengeldโ€œ bedeutet: Die AU ist wichtig, aber die Kassen- und MD-Logik verlangt eine nachvollziehbare Brรผcke von Befund und Verlauf zur konkreten Arbeitsunfรคhigkeit.

Wo es kippt: wiederkehrende Fehlerbilder in MD-Prรผfungen und Kassenbescheiden

Ein besonders hรคufiges Muster ist eine Kommunikation, die nur ein Ergebnis transportiert, aber kaum eine Herleitung: โ€žDer MD sieht keine AU mehrโ€œ oder โ€žArbeitsfรคhigkeit liegt vorโ€œ. Fรผr Betroffene wirkt das wie ein Urteil ohne Begrรผndung. Genau hier liegt in vielen Fรคllen die Schwachstelle:

Wenn die Begrรผndung nicht zeigt, wie die Schlussfolgerung zustande kommt โ€“ also welche Befunde, welcher Verlauf, welche Funktionseinschrรคnkungen und welche arbeitsbezogene Bewertung zusammenpassen sollen โ€“ wird aus einer medizinischen Bewertung schnell ein formelhafter Verwaltungsakt.

Verkรผrzung der Diagnosefrage

Ein zweites Fehlerbild ist die Verkรผrzung der AU auf eine Diagnosefrage. Das sieht dann so aus, als wรผrde implizit darรผber gestritten, ob eine Erkrankung โ€žschwer genugโ€œ ist. Tatsรคchlich ist die entscheidende Frage viel banaler und gleichzeitig hรคrter:

Kann jemand acht Stunden in der Schicht arbeiten? Kann jemand sicher Auto fahren, Kundenkontakt halten, Lasten tragen, am Bildschirm konzentriert bleiben, Maschinen bedienen? Wer diese Arbeitsebene nicht im Verlauf abgebildet bekommt, verliert in der Aktenlogik oft gegen pauschale Plausibilitรคtszweifel.

Das dritte Fehlerfeld liegt in Verfahrensproblemen rund um Timing und Unterlagen. Viele Krankengeldfรคlle kippen nicht, weil die Krankheit โ€žplรถtzlich wegโ€œ wรคre, sondern weil Unterlagen lรผckenhaft wirken, weil Bescheinigungen nicht nahtlos anschlieรŸen oder weil Kommunikation zwischen Arztpraxis, Versichertem und Kasse nicht zusammengefรผhrt wird.

In der Realitรคt reichen wenige Tage Unklarheit, damit aus einem medizinischen Problem ein administrativer Streit wird.

Was Betroffene dokumentieren sollten โ€“ als konsistente Geschichte, nicht als Zettelwirtschaft

Der grรถรŸte Hebel liegt selten in einer โ€žperfektenโ€œ Diagnoseformulierung, sondern in einer konsistenten Erzรคhlspur. Wer spรคter erklรคren muss, warum Arbeitsunfรคhigkeit weiter besteht, braucht nicht mehr Papier, sondern eine nachvollziehbare Linie.

Hilfreich ist vor allem, wenn der Verlauf nicht nur aus Arztterminen besteht, sondern aus einer arbeitsbezogenen Funktionsbeschreibung รผber Zeit: Was ging vor zwei Wochen noch, was geht heute nicht mehr? Welche Belastung triggert welche Verschlechterung? Was passiert nach einer Schicht, nach einem Weg zur Arbeit, nach Konzentrationsphasen? Genau diese Ebene fehlt hรคufig in Akten, obwohl sie die sozialmedizinische Frage direkt beantwortet.

Genauso wichtig ist eine sichtbare Therapielogik: Was wurde versucht, was wurde angepasst, was wurde abgebrochen โ€“ und warum? Das nimmt dem Fall den Charakter des โ€žunerklรคrlichen Stillstandsโ€œ und macht ihn als Behandlungsgeschehen lesbar.

Und schlieรŸlich zรคhlt die Kommunikation: Wann kam welches Schreiben, welche Informationen wurden angefordert, was wurde wann รผbermittelt? In Streitfรคllen ist nicht nur die Krankheit Gegenstand, sondern auch die Frage, ob Verfahren sauber gelaufen sind. Wer hier nachvollziehbar bleibt, nimmt der Kasse die Mรถglichkeit, aus โ€žunklarโ€œ automatisch โ€žnegativโ€œ zu machen.

Wenn der MD die AU verneint: was dann in der Praxis passiert

Fรคllt die Einschรคtzung negativ aus, stellt die Krankenkasse hรคufig die Krankengeldzahlung ein oder kรผndigt das an. Das wirkt fรผr viele wie ein abruptes Ende, ist aber zunรคchst eine Entscheidung, die รผberprรผfbar ist. In der Praxis lรคuft die Auseinandersetzung dann รผber den Widerspruch bei der Kasse und โ€“ wenn nรถtig โ€“ รผber das Sozialgericht.

Wichtig wird dabei nicht die Frage, ob jemand โ€žkrankโ€œ ist, sondern ob die Entscheidung nachvollziehbar begrรผndet ist und ob die vorhandenen Unterlagen die sozialmedizinische Schlussfolgerung tragen.

Gerade deshalb ist die Trennlinie so wichtig: Nicht in Panik verfallen, aber auch nicht darauf vertrauen, dass โ€ždie AU schon reichen wirdโ€œ. Im Krankengeldstreit gewinnt am Ende oft die Seite, die den Zusammenhang aus Verlauf, Funktion und Tรคtigkeit am plausibelsten erklรคren kann.

FAQ

Muss ich jede Frage der Krankenkasse beantworten?
Nicht jede Nachfrage ist automatisch verpflichtend, und Gesundheitsdaten dรผrfen nicht grenzenlos erhoben werden. Entscheidend ist, ob die Information fรผr die Prรผfung im konkreten Fall erforderlich ist. Im Zweifel ist es klรผger, die Kommunikation sauber, aber datensparsam zu halten und Unterlagen รผber die behandelnden Stellen strukturiert beizubringen.

Begutachtet der MD immer persรถnlich?
Nein. Hรคufig wird nach Aktenlage beurteilt. Das ist einer der Grรผnde, warum gut dokumentierte Funktions- und Verlaufsangaben so entscheidend sind: Was nicht in den Unterlagen steht, existiert im Verfahren oft praktisch nicht.

Reicht die AU-Bescheinigung als Beweis?
Sie ist eine zentrale Grundlage, aber kein automatischer โ€žSchutzschildโ€œ. Wenn Kasse und MD Zweifel plausibel machen oder die Aktenlage Lรผcken hat, kann die AU allein im Streitfall zu wenig sein. Dann zรคhlt die Gesamtschau aus Befunden, Verlauf, Therapie und Arbeitsbezug.

Warum kommt die Prรผfung oft erst, wenn Krankengeld lรคuft?
Weil ab diesem Zeitpunkt die Kasse leistungspflichtig ist und Fรคlle intern stรคrker gesteuert werden. Das ist kein Beweis fรผr Fehlverhalten, erklรคrt aber die Hรคufung von Prรผfungen ab der Krankengeldphase.

Was ist der hรคufigste Fehler im Krankengeldstreit?
Dass Betroffene nur โ€žKrankheitโ€œ dokumentieren, aber nicht โ€žArbeitsunfรคhigkeit im konkreten Jobโ€œ. Wer diese Brรผcke nicht liefert, verliert in der Aktenlogik oft gegen pauschale Zweifel โ€“ selbst dann, wenn die Belastung real ist.