Schwerbehinderung: Kündigung ohne Integrationsamt – In diesen Fällen ist sie trotzdem wirksam

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Die Zustimmung des Integrationsamts gilt bei schwerbehinderten Beschäftigten als wichtige Hürde für Kündigungen. Genau deshalb trifft eine Kündigung ohne dieses Verfahren viele Betroffene unvorbereitet – und wirkt auf den ersten Blick rechtswidrig.

Tatsächlich gibt es jedoch klar umrissene Konstellationen, in denen eine Kündigung auch ohne Beteiligung des Integrationsamts wirksam sein kann. Nicht, weil der Schutz abgeschafft wäre, sondern weil er rechtlich noch nicht greift oder gar nicht ausgelöst wird.

Der erste Fall: Der Schutz existiert zum Kündigungszeitpunkt noch nicht

Der besondere Kündigungsschutz setzt nicht allein den GdB von 50 voraus. Er knüpft zusätzlich an die Dauer des Arbeitsverhältnisses an. In den ersten sechs Monaten nach Beginn der Beschäftigung darf der Arbeitgeber kündigen, ohne zuvor das Integrationsamt einzuschalten – selbst dann, wenn die Schwerbehinderung bereits anerkannt ist.

Diese Konstellation ist der häufigste Grund für den Satz: „Ich habe doch GdB 50 – wie konnte das passieren?“ Rechtlich liegt die Antwort nicht im Gesundheitszustand, sondern im Zeitpunkt.

Der zweite Fall: Der Arbeitgeber wusste nichts – und erfährt es zu spät

Der besondere Kündigungsschutz wirkt nicht automatisch und nicht im Verborgenen. Er setzt voraus, dass die Schwerbehinderung zum Kündigungszeitpunkt verfahrensrelevant ist. Hat der Arbeitgeber keine Kenntnis davon und wird er erst nach Ausspruch der Kündigung informiert, kann der Schutz faktisch leer laufen.

Gerichte stellen in solchen Fällen stark auf die Frage ab, ob der Arbeitgeber rechtzeitig hätte reagieren können. Für Betroffene ist das bitter, weil der Status existiert – aber zu spät in das Verfahren gelangt.

Der dritte Fall: Es liegt rechtlich gar keine Kündigung vor

Nicht jede Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ist eine Kündigung im arbeitsrechtlichen Sinn. Ein Aufhebungsvertrag, eine Eigenkündigung oder das Auslaufen einer Befristung beenden zwar faktisch das Arbeitsverhältnis, lösen aber kein Zustimmungsverfahren beim Integrationsamt aus.

Zweite Ebene: Selbst mit Integrationsamt ist Kündigung nicht ausgeschlossen

Selbst wenn das Integrationsamt beteiligt werden muss, bedeutet das keine Kündigungssperre. Das Amt prüft und wägt ab, insbesondere ob ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung besteht. Das Verfahren schützt damit vor Schnellschüssen – garantiert aber nicht den Arbeitsplatz.

FAQ: Die wichtigsten Fragen in der Praxis

Gilt der besondere Kündigungsschutz auch in der Probezeit?
Maßgeblich ist nicht die Probezeit, sondern die 6-Monats-Grenze. Innerhalb der ersten sechs Monate kann der besondere Schutz regelmäßig noch nicht greifen.

Was passiert, wenn der Arbeitgeber ohne Zustimmung kündigt, obwohl sie nötig gewesen wäre?
Dann ist die Kündigung in diesen Fällen angreifbar, weil die Zustimmung des Integrationsamts ein zentrales Wirksamkeitselement ist.

Muss der Arbeitgeber meine Schwerbehinderung kennen, damit der Schutz greift?
Wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis hat, hängt viel davon ab, ob er rechtzeitig informiert wird. In der Rechtsprechung spielt dabei ein enges Zeitfenster nach Zugang der Kündigung eine wichtige Rolle.

Ich habe den Antrag gestellt, aber der Bescheid kam erst später – zählt das?
Das kann kritisch sein: Entscheidend ist, ob Status/Antrag im Kündigungszeitpunkt bereits verfahrensrelevant war. Bei Gleichstellung ist das Timing besonders streng.

Gilt der Schutz bei einem Aufhebungsvertrag?
Ein Aufhebungsvertrag ist keine Kündigung. Das Integrationsamt-Verfahren wird dadurch in der Regel nicht automatisch ausgelöst – genau deshalb ist diese Konstellation so riskant.

Kann das Integrationsamt trotz Schwerbehinderung zustimmen?
Ja. Der besondere Kündigungsschutz ist ein Abwägungsverfahren, kein Kündigungsverbot. Besonders relevant ist, ob der Kündigungsgrund in einem Zusammenhang zur Behinderung steht.

Quellenübersicht

§ 168 SGB IX – Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung
§ 173 SGB IX – Ausnahmen (u. a. 6-Monats-Konstellation)
BIH (Integrationsämter): Fachlexikon „Kündigungsschutz“ / Verfahrensüberblick
BIH/ZB Ratgeber: „Der besondere Kündigungsschutz“ (Abwägung, Behinderungsbezug)
Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 703/09 (Kenntnis/Information nach Kündigung)
BAG-Aufbereitung (Fallübersicht): 2 AZR 700/15 (Hinweisfenster/Unkenntnis-Konstellationen)
Bundesagentur für Arbeit: Informationsblatt „Gleichstellung“ (Timing/Schutzwirkung)
Land Niedersachsen (Soziales): Praxisinfo Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen