Nahtlosigkeitsregelung erleichtert deinen Übergang vom Krankengeld

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Nach der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber folgt das Krankengeld der gesetzlichen Krankenkasse, anschließend rückt die Agentur für Arbeit in den Vordergrund. Parallel läuft häufig ein Verfahren bei der Deutschen Rentenversicherung, weil eine Erwerbsminderungsrente im Raum steht.

Genau dann entstehen gefährliche Versorgungslücken – vor allem, weil Entscheidungen über Reha, Teilhabe oder Rente Zeit brauchen. Die Nahtlosigkeitsregelung wurde geschaffen, um diese Phase finanziell abzufedern und den Lebensunterhalt zu sichern, wenn die gesundheitliche Leistungsfähigkeit längerfristig eingeschränkt ist, die Rentenentscheidung aber noch aussteht.

Was hinter der Nahtlosigkeitsregelung steckt

Die Nahtlosigkeitsregelung ist keine eigene „Sonderleistung“, sondern eine sozialrechtliche Regel im Arbeitsförderungsrecht. Sie ermöglicht den Bezug von Arbeitslosengeld I auch dann, wenn jemand wegen Krankheit dem Arbeitsmarkt faktisch nicht wie üblich zur Verfügung steht.

Damit reagiert der Gesetzgeber auf ein praktisches Problem: Bei länger dauernder Arbeitsunfähigkeit endet das Krankengeld, während die Prüfung einer Erwerbsminderung und die Bewilligung einer Rente häufig noch nicht abgeschlossen sind.

Ohne eine Brücke zwischen den Leistungssystemen droht ein Zeitraum ohne laufende Leistung – und damit nicht nur Einkommensverlust, sondern in der Praxis oft auch Unsicherheit beim Krankenversicherungsschutz.

Die Regelung setzt an der Frage an, ob eine Person unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts noch in der Lage wäre, eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem nennenswerten Umfang auszuüben. Sie richtet sich an Menschen, deren Leistungsfähigkeit voraussichtlich über einen längeren Zeitraum erheblich gemindert ist, bei denen aber noch keine rentenrechtliche Feststellung getroffen wurde oder deren Verfahren noch läuft.

So entsteht ein Übergang, der den Alltag der Betroffenen stabilisieren soll, bis geklärt ist, ob und in welchem Umfang eine Erwerbsminderungsrente gezahlt wird.

Infografik: Nahtlosigkeitsregelung beim Krankengeld einfach erklärt

Nahtlosigkeitsregelung beim Krankengeld

Krankengeld auf Zeit: Warum nach vielen Monaten Schluss ist

Am Anfang steht meist eine längere Krankschreibung. In den ersten Wochen springt der Arbeitgeber über die Entgeltfortzahlung ein. Danach übernimmt die Krankenkasse mit dem Krankengeld, das eine Lohnersatzfunktion hat. Entscheidend ist dabei: Krankengeld ist von vornherein befristet. Für dieselbe Krankheit kann es innerhalb einer bestimmten Frist nur bis zu einer Höchstdauer gezahlt werden.

In der Praxis werden die ersten Wochen Entgeltfortzahlung in diese Höchstdauer eingerechnet, sodass viele Versicherte zwar über etwa anderthalb Jahre insgesamt abgesichert sind, die Krankenkasse aber typischerweise weniger Wochen tatsächlich Krankengeld auszahlt.

Gerade weil die Leistung an formale Voraussetzungen gebunden ist, kann es zusätzlich heikel werden, wenn Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht nahtlos fortgeschrieben werden.

Schon kurze Unterbrechungen können in der Praxis zu Nachfragen, Verzögerungen oder Streit führen. Wer sich in dieser Situation befindet, merkt häufig, wie sehr der Krankheitsverlauf plötzlich auch ein Verwaltungsprozess wird: Termine, Fristen, Gutachten, medizinische Unterlagen und Mitwirkungspflichten laufen parallel zu Therapien und Reha-Maßnahmen.

„Aussteuerung“: Der Wechsel, der viele überrascht

Wenn das Krankengeld endet, sprechen Krankenkassen von „Aussteuerung“. Dieser Begriff klingt technisch, hat aber konkrete Folgen: Die Krankenkasse zahlt nicht weiter, und Betroffene müssen sich um eine Anschlussleistung kümmern. Dabei bedeutet Aussteuerung nicht automatisch, dass das Arbeitsverhältnis endet. Arbeitsrechtlich kann ein Beschäftigungsverhältnis fortbestehen, auch wenn sozialversicherungsrechtlich der Krankengeldbezug abgeschlossen ist.

Genau dies sorgt für Irritation: Man fühlt sich weiterhin krank und häufig auch weiterhin „angestellt“, soll sich aber bei der Agentur für Arbeit melden, um den Übergang abzusichern.

Für viele ist dieser Moment eine Zäsur. Denn nun prallen zwei Logiken aufeinander: Das Krankenversicherungssystem bewertet Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf den bisherigen Beruf, während die Arbeitsförderung und das Rentenrecht stärker auf die Frage schauen, welche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt grundsätzlich noch denkbar wären.

Das kann dazu führen, dass die eigene Selbsteinschätzung, die ärztliche Krankschreibung und die behördliche Einschätzung nicht deckungsgleich sind – mit unmittelbaren Auswirkungen auf Leistungsansprüche.

Arbeitslosengeld I trotz Krankheit: Wie die Brücke funktioniert

Im normalen Verständnis setzt Arbeitslosengeld I voraus, dass jemand arbeitslos ist und grundsätzlich bereit sowie in der Lage wäre, eine Beschäftigung aufzunehmen. Bei langer Krankheit ist genau das häufig nicht gegeben. Hier greift die Nahtlosigkeitsregelung: Sie eröffnet den Zugang zu Arbeitslosengeld I, obwohl die Verfügbarkeit eingeschränkt ist, weil die Leistungsfähigkeit längerfristig gemindert sein kann und die Rentenfrage noch nicht entschieden ist.

In der Praxis bedeutet das: Betroffene stellen bei der Agentur für Arbeit einen Antrag auf Arbeitslosengeld I, obwohl sie weiterhin arbeitsunfähig geschrieben sind. Die Agentur prüft dann nicht nur Versicherungszeiten und formale Voraussetzungen, sondern auch, ob die gesundheitlichen Einschränkungen voraussichtlich länger anhalten und ob die Rentenversicherung eine verminderte Erwerbsfähigkeit bereits festgestellt hat oder noch feststellen muss.

Häufig wird der Ärztliche Dienst eingebunden, um die Leistungsfähigkeit einzuschätzen. Die medizinische Bewertung hat dabei erhebliches Gewicht, weil sie den Rahmen dafür setzt, welche Mitwirkung verlangt werden kann und ob die Leistung nach der Nahtlosigkeitsregelung überhaupt weiterläuft.

Voraussetzung Höhe des Arbeitslosengeldes I
Ohne berücksichtigungsfähiges Kind 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt)
Mit mindestens einem berücksichtigungsfähigen Kind (im Sinne des Steuerrechts) 67 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt)

Mitwirkungspflichten: Reha, Teilhabe und Rentenantrag als Bedingung

Die Nahtlosigkeitsregelung ist an klare Pflichten gebunden. Die Agentur für Arbeit kann Betroffene auffordern, innerhalb einer bestimmten Frist einen Antrag auf medizinische Rehabilitation oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen. Zudem kann verlangt werden, dass ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt wird.

Hinter dieser Praxis steht ein steuernder Gedanke: Zuerst sollen Möglichkeiten der Rehabilitation und beruflichen Wiedereingliederung geprüft werden, bevor dauerhaft eine Rente gezahlt wird. Gleichzeitig soll verhindert werden, dass Verfahren „liegen bleiben“ und die Arbeitsförderung auf unbestimmte Zeit eine Aufgabe übernimmt, die eigentlich im Renten- oder Reha-System entschieden werden muss.

Für Betroffene kann das jedoch zur Belastungsprobe werden. Ein Reha-Antrag ist nicht nur eine organisatorische Entscheidung, sondern kann rentenrechtliche Folgen haben, weil unter bestimmten Voraussetzungen ein Reha-Antrag als Rentenantrag gelten kann.

Das kann den Zeitpunkt beeinflussen, ab wann eine Rente überhaupt als beantragt gilt und wann gegebenenfalls Rentenleistungen einsetzen. Wer sich in dieser Lage befindet, sollte die Tragweite solcher Anträge kennen, gerade weil Fristen kurz sein können und verspätete Mitwirkung dazu führen kann, dass Ansprüche vorübergehend ruhen.

Parallel existiert auch im Krankengeldrecht ein Instrument, das in diese Richtung wirkt: Krankenkassen können Versicherten eine Frist setzen, innerhalb der ein Reha- oder Teilhabeantrag gestellt werden muss.

Auch hier geht es darum, Reha vor einer dauerhaften Leistung zu prüfen und das Verfahren zu beschleunigen. Zusammengenommen entsteht ein enges Netz aus Fristen, das Betroffene leicht überfordert, wenn sie nicht frühzeitig beraten werden oder die Post nicht konsequent im Blick behalten.

Wenn die Agentur Arbeitssuche verlangt

Ein besonders konfliktträchtiger Punkt ist die Frage, ob und in welchem Umfang Betroffene dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssen. Wer nicht unter die Nahtlosigkeitsregelung fallen will oder wer eine Leistungsfähigkeit attestiert bekommt, die aus Sicht der Agentur eine Vermittlung erlaubt, kann aufgefordert werden, Bewerbungen zu schreiben und Termine wahrzunehmen. Vermittelt werden in der Praxis häufig Tätigkeiten mit geringeren körperlichen oder psychischen Anforderungen, oft auch außerhalb der bisherigen Qualifikation.

Das kann als Zumutung empfunden werden, ist aber Teil der Logik des Arbeitslosengeldes: Arbeitslosengeld I ist eine Versicherungsleistung, die an Mitwirkung geknüpft ist.

Zugleich zeigt sich hier eine soziale Schieflage, über die Betroffene regelmäßig berichten: Wer lange krank war, hat oft lückenhafte Erwerbsbiografien, gesundheitliche Einschränkungen und einen geschrumpften beruflichen Handlungsspielraum. Die Erwartung, sich auf „leichtere“ Tätigkeiten zu bewerben, kollidiert dann mit der Realität medizinischer Belastbarkeit, mit Angst vor Rückfällen und mit dem Gefühl, in eine Rolle gedrängt zu werden, die weder der bisherigen Arbeit noch der aktuellen Gesundheit gerecht wird.

Dauer und Höhe des Arbeitslosengeldes I: Nahtlosigkeit folgt den normalen Regeln

Auch im Rahmen der Nahtlosigkeitsregelung gelten für die Höhe des Arbeitslosengeldes I die bekannten Grundsätze. Maßgeblich ist das beitragspflichtige Arbeitsentgelt aus der Vergangenheit, aus dem ein pauschaliertes Leistungsentgelt berechnet wird.

Daraus ergibt sich in der Regel ein Leistungssatz von 60 Prozent, bei mindestens einem berücksichtigungsfähigen Kind häufig 67 Prozent. Das ist für viele ein weiterer Einschnitt, weil bereits das Krankengeld unter dem früheren Netto liegt und der Übergang zu Arbeitslosengeld I die finanzielle Lage nochmals spürbar verändern kann.

Für die Bezugsdauer kommt es vor allem auf Alter und Versicherungszeiten an. Wer jünger ist und die nötigen Versicherungszeiten erfüllt, erhält Arbeitslosengeld I typischerweise für einige Monate bis höchstens ein Jahr.

Ab höheren Altersstufen verlängert sich die maximale Bezugsdauer stufenweise und kann unter bestimmten Voraussetzungen bis zu zwei Jahren reichen. Entscheidend ist dabei, dass die versicherungspflichtigen Zeiten in einem bestimmten Zeitraum vor der Meldung liegen müssen und dass die Anwartschaftszeit erfüllt ist.

Die Nahtlosigkeitsregelung verlängert diese Grenzen nicht, sie sorgt nur dafür, dass der Zugang zur Leistung trotz eingeschränkter Verfügbarkeit nicht von vornherein versperrt ist.

Nach dem Arbeitslosengeld: Bürgergeld oder andere Leistungen

Endet der Anspruch auf Arbeitslosengeld I, ist die Rentenfrage in manchen Fällen noch immer nicht entschieden. Dann kann – abhängig von Vermögen, Einkommen und Bedarfsgemeinschaft – Bürgergeld als nachrangige Leistung in Betracht kommen. Gleichzeitig hängt vieles davon ab, ob eine Erwerbsminderung festgestellt wird und ob die Zuständigkeit perspektivisch eher im Bereich der Grundsicherung bei Erwerbsminderung liegt.

Für Betroffene fühlt sich dieser Übergang oft wie ein weiteres Kapitel im Zuständigkeitswechsel an, obwohl das eigentliche Problem unverändert bleibt: Die gesundheitliche Situation ist nicht stabil genug für eine Rückkehr in den Beruf, und die endgültige sozialrechtliche Einordnung ist noch offen.

Was Betroffene wissen sollten

Wer von langer Krankheit betroffen ist, steht nicht nur vor medizinischen Entscheidungen, sondern vor einem strukturierten Verfahren mit Fristen und Folgen. Die Erfahrung zeigt: Je früher der drohende Übergang vom Krankengeld in Richtung Agentur für Arbeit ernst genommen wird, desto geringer ist das Risiko einer finanziellen Lücke.

Dazu gehört, Schreiben der Krankenkasse zur Aussteuerung nicht als bloße Information abzulegen, sondern als Startsignal für den nächsten Antrag zu verstehen. Ebenso wichtig ist, medizinische Unterlagen geordnet verfügbar zu haben, weil sowohl Krankenkassen als auch Agenturen und Rentenversicherung Entscheidungen häufig auf Gutachten und Befundlagen stützen, die über Monate und Jahre zusammengetragen werden.

Genauso wichtig ist der Blick auf Mitwirkungspflichten. Wer Aufforderungen zu Reha-, Teilhabe- oder Rentenanträgen ignoriert, riskiert Leistungsunterbrechungen, die sich später nur schwer reparieren lassen. Gleichzeitig lohnt sich in komplizierten Fällen eine unabhängige Beratung, weil dieselbe Antragstellung je nach Konstellation unterschiedliche rechtliche Wirkungen entfalten kann.

Die Nahtlosigkeitsregelung ist als Schutz gedacht, entfaltet ihre Wirkung aber nur dann, wenn Betroffene den formalen Weg konsequent mitgehen können – und genau daran scheitert es in der Praxis häufig, weil Krankheit die eigene Handlungsfähigkeit einschränkt und weil die Verfahren komplex sind.

Quellen

Bundesagentur für Arbeit: Fachliche Weisungen zu § 145 SGB III „Minderung der Leistungsfähigkeit“ (Stand 03/2022), Bundesagentur für Arbeit: Informationen zur Aussteuerung und dem Vorgehen nach Ende des Krankengeldes (Beispielseite einer Agentur).