Rente nach längerer Krankheit ohne Krankengeld: Wenn nach der AU nichts mehr kommt

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Die Versorgungslücke beginnt oft an einem Datum, das in der Praxis unscheinbar wirkt: Die Arbeitsunfähigkeit endet – oder sie wird formal nicht weiter bescheinigt – obwohl die gesundheitliche Belastbarkeit im Alltag weiterhin eingeschränkt ist.

In den Akten ist das ein sauberer Statuswechsel. Im Leben bedeutet es nicht selten: Die letzte laufende Ersatzleistung ist bereits ausgelaufen oder greift nicht, während eine Rentenentscheidung noch aussteht.

Typisch ist ein Ablauf wie dieser: Die Entgeltfortzahlung ist längst vorbei, Krankengeld steht nicht (mehr) zur Verfügung, und der Rentenweg läuft in seinem eigenen Takt – mit Antrag, Unterlagen, Gutachten und gesetzlichen Beginnregeln.

Wer in dieser Phase auf einen „nahtlosen Übergang“ hofft, erlebt häufig etwas anderes: einen Zeitraum ohne laufende Zahlung, ohne klare „Ablehnung“, sondern schlicht, weil die Systeme nicht gleichzeitig umschalten.

Der Kern des Problems liegt nicht in einem Einzelfehler, sondern in der Trennung der Rechtslogiken. Das Krankenversicherungsrecht arbeitet mit Arbeitsunfähigkeit und Krankengeldvoraussetzungen, das Arbeitsförderungsrecht mit Verfügbarkeit und Sonderregeln für eingeschränkte Leistungsfähigkeit, das Rentenrecht mit Erwerbsminderung, Antrag und Rentenbeginn.

Was medizinisch als fortbestehende Einschränkung erlebt wird, wird rechtlich in drei Kategorien verhandelt – und genau dort entstehen die stillen Zwischenräume.

Warum es nach der AU „leer“ werden kann

Der erste Irrtum ist die Erwartung, eine lange Krankheit führe automatisch in eine Rentenzahlung. Rente wird nicht „aktiviert“, weil ein Zustand lange genug anhält. Entscheidend sind Anspruchsvoraussetzungen, Antrag, Nachweise – und beim Thema Erwerbsminderung zusätzlich der gesetzliche Rentenbeginn, der nicht mit dem Ende der AU identisch sein muss.

Der zweite Irrtum betrifft das Krankengeld. Die verbreitete Vorstellung „nach sechs Wochen kommt automatisch Krankengeld“ passt nur, wenn der Versicherungsstatus und die konkrete Konstellation den Anspruch tragen.

In bestimmten Lebenslagen fehlt Krankengeld von vornherein (etwa bei fehlender Absicherung über Krankentagegeld in der PKV oder bei Konstellationen, in denen der Anspruch nicht greift), in anderen Fällen endet es, bevor eine Rentenfrage geklärt ist. Dann steht nicht die Rente „zu spät“, sondern die Ersatzleistung ist schlicht nicht mehr da.

Die dritte, häufig unterschätzte Stelle ist die Zeitlogik im Rentenrecht – besonders bei befristeten Erwerbsminderungsrenten. Selbst bei Bewilligung kann der Rentenbeginn so geregelt sein, dass die Zahlung nicht unmittelbar einsetzt.

Grundsätzlich ist für befristete EM-Renten vorgesehen, dass sie nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach Eintritt der Erwerbsminderung beginnen; je nach Fallkonstellation sind abweichende Beginnregeln möglich. Für Betroffene ist entscheidend: Auch bei „klarer“ gesundheitlicher Lage kann der Zahlbeginn rechtlich nachgelagert sein.

Die Lücke als Zeitbild – ohne Dramatisierung, aber mit Wirkung

In der Realität sieht die Lücke selten wie ein einzelner Bruch aus, sondern wie eine Kette kleiner Verschiebungen: AU endet oder reißt formal, Krankengeld greift nicht oder endet, das Rentenverfahren läuft (oder startet spät), und der Rentenbeginn liegt dort, wo Antrag, Nachweise und Beginnregeln zusammenpassen.

Besonders groß wird die Lücke, wenn der Rentenantrag verspätet gestellt wird. Denn auch hier arbeitet das System nicht mit „Rückwirkungsgefühl“, sondern mit Fristen: Renten werden grundsätzlich ab dem Monat geleistet, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind – vorausgesetzt, der Antrag erfolgt rechtzeitig.

Bei späterem Antrag beginnt die Rente häufig erst mit dem Antragsmonat. Praktisch bedeutet das: Nicht nur die Krankheit, sondern auch der Zeitpunkt des Antrags entscheidet über Monate mit oder ohne Zahlung.

Die zentrale Brücke, die viele übersehen: Arbeitslosengeld nach der Nahtlosigkeitsregelung

Öffentlich wird längere Krankheit meist als Zuständigkeit von Krankenkasse und Rentenversicherung gedacht. Die Agentur für Arbeit wird gedanklich oft erst dann relevant, wenn jemand „wieder fit“ ist. Genau diese Erwartung ist riskant, weil das Arbeitsförderungsrecht für die Übergangsphase eine eigene Konstruktion kennt: die Nahtlosigkeitsregelung (§ 145 SGB III).

Sie ist darauf angelegt, eine finanzielle Brücke zu ermöglichen, wenn die Leistungsfähigkeit längerfristig eingeschränkt ist und die Klärung über Reha oder Erwerbsminderung noch aussteht.

In dieser Logik wird nicht so getan, als sei jemand uneingeschränkt verfügbar, sondern es wird eine Übergangslösung gebaut – mit dem Preis, dass sich Betroffene in ein Verfahren begeben, in dem ärztliche Unterlagen, Einschätzungen zur Leistungsfähigkeit und Mitwirkung eine zentrale Rolle spielen. Das ist für viele weniger „Hilfegefühl“ als Systemwechsel. Es ist aber oft genau der Mechanismus, der verhindert, dass der Zeitraum bis zur Renten- oder Reha-Entscheidung vollständig ungesichert bleibt.

Reha statt Rente: Warum Übergangsgeld die zweite relevante Übergangslösung ist

Nicht jede gesundheitliche Krise führt unmittelbar in eine Rentenleistung. Häufig prüft die Deutsche Rentenversicherung vorrangig Rehabilitation und Teilhabe, bevor eine Erwerbsminderungsrente überhaupt in den Mittelpunkt rückt. Wird eine Reha bewilligt, kann für die Dauer der Maßnahme Übergangsgeld gezahlt werden.

Das ist keine pauschale Zahlung „wegen Krankheit“, sondern eine Leistung im Zusammenhang mit der bewilligten Teilhabe, die den Lebensunterhalt während der Maßnahme absichern soll. Je nach Ablauf kann die Auszahlung in der Praxis auch zeitversetzt erfolgen – was die Übergangsphase zusätzlich empfindlich machen kann, wenn keine andere Leistung greift.

Der Kipppunkt liegt zwischen Alltag und Akte

Für Betroffene wirkt die Lage oft eindeutig: Man ist gesundheitlich eingeschränkt, Termine, Therapie, Unsicherheit – der Alltag ist bereits von Krankheit geprägt. Das Rechtssystem verlangt dafür jedoch bestimmte Marker: lückenlose Feststellungen, Antragsdaten, Gutachten, Beginnregeln, Zuständigkeiten.

Die stille Lücke entsteht dort, wo sich diese Marker nicht decken. Nicht, weil jemand „nichts hat“, sondern weil die Systeme erst dann zahlen, wenn ihre jeweilige Definition erfüllt und ihr jeweiliger Zeitpunkt erreicht ist.

Kurz und klar: Wo die Lücke typischerweise entsteht

Typische Konstellation Warum die Versorgungslücke entsteht
Kein Krankengeld nach Ende der Entgeltfortzahlung Der Versicherungsstatus oder Tarif sieht kein Krankengeld vor, oder der Anspruch ist bereits entfallen. Nach dem AU-Ende fehlt damit jede laufende Lohnersatzleistung.
Krankengeld ausgelaufen („Aussteuerung“) – Rente noch offen Das Krankengeld ist zeitlich begrenzt, während das Rentenverfahren noch läuft oder erst angestoßen wird. Die Systeme greifen zeitlich nicht ineinander.
Erwerbsminderungsrente wird bewilligt, beginnt aber später Gesetzliche Beginnregelungen – insbesondere bei befristeten EM-Renten – führen dazu, dass der Rentenstart Monate nach dem medizinischen Eintritt liegt.
Rentenantrag verspätet gestellt Wird der Antrag nicht fristgerecht gestellt, verschiebt sich der Rentenbeginn auf den Antragsmonat – selbst wenn die Voraussetzungen früher vorlagen.
Reha ist vorrangig, aber noch nicht umgesetzt Übergangsgeld fließt erst mit Beginn der bewilligten Maßnahme. Zwischen Bewilligung, Organisation und Start entsteht ein finanzielles Zeitfenster.
Gesundheitlich eingeschränkt, aber „formal arbeitslos“ Ohne Nutzung der Nahtlosigkeitsregelung bleibt unklar, welches System zuständig ist – mit dem Risiko, dass zunächst gar keine Leistung gezahlt wird.

FAQ

Beginnt eine Rente automatisch, wenn die AU endet?
Nein. Renten müssen beantragt werden, und der Rentenbeginn folgt gesetzlichen Regeln – AU-Ende ist dafür kein Automatismus.

Warum kann eine befristete EM-Rente „erst später“ starten, obwohl man längst krank ist?
Weil der Beginn befristeter EM-Renten gesetzlich an eine zeitliche Startregel gebunden sein kann, die nicht am AU-Ende hängt.

Welche Rolle spielt die Agentur für Arbeit, wenn jemand gesundheitlich nicht voll arbeitsfähig ist?
Über die Nahtlosigkeitsregelung kann Arbeitslosengeld eine Brücke sein, bis Reha oder Erwerbsminderung geklärt sind.

Ist Übergangsgeld einfach „Krankengeld unter anderem Namen“?
Nein. Übergangsgeld ist an bewilligte Reha-/Teilhabeleistungen gekoppelt und wird für die Dauer dieser Maßnahmen gezahlt.

Warum sind Antragsdaten so entscheidend?
Weil verspätete Rentenanträge den Rentenbeginn nach hinten verschieben können – und damit die Lücke vergrößern.

Quellenübersicht

Sozialgesetzbuch III: § 145 SGB III (Nahtlosigkeitsregelung)
Bundesagentur für Arbeit: Fachliche Weisungen zu § 145 SGB III (PDF)
Sozialgesetzbuch VI: § 99 SGB VI (Beginn von Renten)
Sozialgesetzbuch VI: § 101 SGB VI (Beginn befristeter Renten wegen Erwerbsminderung)
Deutsche Rentenversicherung: Übergangsgeld (Info-Seite „Warum Reha? – Übergangsgeld“)
Deutsche Rentenversicherung: Studientext „Übergangsgeld“ (PDF)