Jobcenter-Mitarbeiter sagt: “Ich bin nur zu 5 Prozent Jobvermittler” – Bürgergeld

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Stimmungsmacher agitieren gegen Leistungsberechtigte beim Bürgergeld mit der einfachen, aber falschen Rechnung Fachkräftemangel hier, Bürgergeld da. Die Wirklichkeit ist aber kompliziert.

Die Probleme sind vielschichtig

Viele Leistungsberechtigte beim Bürgergeld haben vielschichtige Probleme. Sie leiden an Ängsten, an Suchtkrankheiten, sie sind körperlich eingeschränkt oder sind Fachleute mit Fähigkeiten, die den heutigen Arbeitsmarkt nicht interessieren.

Fachleute einer vergangenen Zeit

Frank P. ist ein absoluter Experte im Reparieren von Funkgeräten und Radios – im digitalen Zeitalter fragt danach keine Arbeitgeber.

Zu solchen aussterbenden Berufen gehören Angestellte von Reisebüros, Schuhmacher oder Datentypisten. Digitalisierung und Roboter erledigen deren Arbeiten schneller und effektiver als Menschen.

Gerd S., Sachbearbeiter im Jobcenter sagt: “Vermittler bin ich vielleicht zu fünf Prozent. Der Rest ist: Schulden, Drogen, Krankheit oder irgendwelche alltäglichen Probleme.”

Soziale Isolation

Der zitierte Mitarbeiter des Jobcenters erwähnt auch die soziale Isolation vieler Leistungsberechtigter. So sei er für einige der einzige Kontakt zur Außenwelt. “Ansonsten gehen viele kaum noch raus.”

Soziale Betreuung statt Qualifikation

Der zitierte Mitarbeiter und eine beim Jobcenter arbeitende Pädagogin sagen, zwar sei der Fokus gewesen, Menschen in Qualifizierung, Ausbildung oder Beruf zu bringen. Doch: “Mittlerweile verschiebt sich unsere Arbeit immer mehr in den sozialen Bereich.”

Die Pädagogin zählt Probleme auf: Obdachlosigkeit, Sucht, Schulden oder psychische Erkrankungen.

Sie sagt: “Der Gedanke oder der Ausblick, jemanden in eine Ausbildung oder Arbeit zu bringen, rückt in den Hintergrund, weil wir erstmal die Problemlage bewerkstelligen müssen.”

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Interviewter Mitarbeiter übt keinen Zwang aus

Der Mitarbeiter betont, mit den Leistungsberechtigten würden die nächsten Schritt besprochen und festgelegt. Er sagt: “Hier geht auch keiner raus und wird das Gefühl haben, er muss irgendwas machen, sondern im Normalfall hat er verstanden, was wir wollen, wo wir hinwollen, was er in seiner Situation machen muss, um beruflich wieder Fuß zu fassen. Dieser Zwang ist nicht da.”

Interviewter repräsentiert eine Minderheit

Mit seinem Standpunkt, die Leistungsberechtigten nicht zu zwingen, steht der Interviewte allerdings für eine Minderheit der Mitarbeiter in Jobcentern.

So ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Universität Bochum, dass eine Mehrheit der befragten Mitarbeiter schärfere Sanktionen gegen Leistungsberechtigte befürwortet.

Junge Mütter benachteiligt

Die Pädagogin berichtet, dass Unternehmen junge Mütter oft nicht einstellten, weil sie befürchten, dass diese häufig bei der Arbeit fehlen würden. So sucht eine Leistungsberechtigte seit zwei Jahren verzweifelt nach einer Anstellung, bekommt aber nur Absagen auf ihre Bewerbungen.

Die Betroffene ist mit den Nerven am Ende: “Das liegt eventuell daran, dass ich frische Mutter bin und alleinerziehend. Ich habe echt keine Ahnung.”